Vergleich von „Ilias“ und „Nibelungenlied“ (Mat 4696)

Was ist das Besondere an der Ilias?

  • Es handelt sich um ein Epos, also eine Verserzählung aus altgriechischer Zeit.
  • In ihr wird ein Abschnitt des Trojanischen Krieges präsentiert.
  • Zentrales Thema ist der „Zorn“ von Helden, der letztlich einen schicksalhaften, aber eben auch „menschengemachten“ Verlauf nimmt.
  • Im Zentrum steht Achilleus, der auf besonders grausame Weise Hektor, den stärksten Trojaner, tötet und schließlich auch selbst umkommt.
  • Die Götter spielen auch eine Rolle, aber sie haben weniger eine religiöse als eine dramaturgische Funktion,.
    Näheres lässt sich gut dem Wikipedia-Artikel entnehmen:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Ilias#Menschen
  • Bekannt ist das „Trojanische Pferd“, mit dem der listige Odysseus griechische Kämpfer in das belagerte Troja einschmuggelte, was schließlich zu seinem Untergang führte.

Was ist das Besondere am Nibelungenlied?

  • Hier handelt es sich um eine Verserzählung aus der Anfangszeit des 13. Jhdts – in mittelhochdeutscher Sprache.
  • Im Mittelpunkt steht der Held Siegfried, der am Hof der Burgunder in Worms eine wichtige Rolle bei der Brautwerbung von König Gunther spielt.
  • Problematisch ist die Rolle, weil Siegfried – geschützt durch eine Tarnkappe – teilweise an Gunthers Stelle auftritt – sowohl im Kampf gegen und um die starke Brünhild als auch schließlich im Ehebett.
  • Zur Katastrophe kommt es, als Kriemhild, Siegfrieds Frau, Brünhild, inzwischen Frau Gunthers und Königin, tödlich beleidigt, indem sie die Wahrheit über die Rolle ihres Mannes am Hof preisgibt.
  • Der Held Hagen von Tronje übernimmt die Aufgabe der Rache an Siegfried, was zu seiner Ermordung führt.
  • Kriemhild wiederum übernimmt die Bestrafung Hagens, nachdem sie Ehefrau von Etzel, König der Hunnen, geworden ist. Sie lockt die Burgunder zu einem Besuch in ihr neues Heimatland, wobei die Gäste nach einem grausamen Kampfgeschehen alle umkommen.

Vergleich

  1. Gemeinsam ist beiden Werken das Fehlverhalten einzelner Menschen, in das ganze Völker hineingezogen werden.
  2. In der Ilias kann man dabei das Verhalten der Helden eher nachvollziehen – bis hin zum extremen Verstoß des Achill gegen die Gesetze der Sittlichkeit.
  3. In der Nibelungensage dagegen hat man den Eindruck, dass persönliche Auseinandersetzungen in fast wahnhafter Weise auf die Spitze getrieben werden – sichtbar vor allem im Verhalten Hagens und dann besonders Kriemhilds.
  4. Nicht von ungefähr ist die Nibelungensage zu einem deutschen Nationalepos geworden, das dann mit Vorstellungen von „Nibelungentreue“ verbunden wurde, die auch die Gefahr des eigenen Untergangs mit einschließt.

Tipp 1 zur näheren Auswertung eines Textes aus der Wissenschaft

https://download.uni-mainz.de/studgen/ws0001/schwerp1/expose/heinzleschmitt.htm

Interessant besonders die Stelle:

  • „Beide Epen haben eine grundlegende Bedeutung für das Bewußtsein einer kulturellen oder nationalen Einheit;
  • beide gestalten in poetischer Weise eine große geschichtliche Vergangenheit;
  • in beiden gibt es gemeinsame Züge der Handlungs- und Konfliktgestaltung (hier wie dort besteht ein Mißverhältnis zwischen dem König, der die größte Macht besitzt – Agamemnon, Gunther – und einem für die Erhaltung dieser Macht wichtigen Helden, der die größte Tapferkeit aufweist – Achill, Siegfried –,
  • und hier wie dort ist ein Ehrkonflikt, der sich aus diesem Mißverhältnis entwickelt, die Ursache für den tragischen Handlungsverlauf).“

Als Fragen werden angedeutet:

  • nach einer literarisch einheitlichen Handlungsgestaltung,
  • einer allgemeinen Sinndeutung,
  • nach dem Verhältnis von Geschichte und Dichtung,
  • dem Verhältnis von Charakter und Handlung,
  • nach den Wirkungsabsichten (gibt es eine moralische Deutung oder ist die Darstellung ganz frei von moralischen Bewertungen?),
  • nach den eingesetzten ästhetischen Mitteln und deren Bedeutung für die Gesamtkonzeption, usw.“

Tipp 2 zur näheren Auswertung eines Textes aus der Wissenschaft

Sehr ausführlich ist die folgende Darstellung:

https://openscience.ub.uni-mainz.de/bitstream/20.500.12030/525/1/2637.pdf

Wir werten hier mal eine interessante Textstelle aus:

„Bei der homerischen Götterdarstellung – um zunächst eine allgemeine Überlegung vorauszuschicken – scheint es mir angebracht, etwa folgende drei Aspekte zu unter- scheiden.

  1. Erstens die Vorstellung von persönlichen Göttern,
    [Rolle der Götter im Leben der Menschen]

    1. die einerseits – fernab auf dem Olymp – ihr eigenes Familienleben führen und insofern mit ihren eigenen Problemen beschäftigt sind,
    2. andererseits aber gleichzeitig auch sämtliche Vorgänge auf der irdischen Bühne kontinuierlich überwachen und – bei aller Zerstrittenheit untereinander – nach ihrem Willen lenken (was in letzter Konsequenz bedeuten würde, daß sie das menschliche Leben eigentlich bis in die einzelnen Entscheidungen hinein steuern).
  2. Zweitens die unverkennbare Absicht des Dichters,
    1. diese anthropomorphen olympischen Göttergestalten zugleich jeweils als Repräsentanten von·Wirklichkeitsbereichen zu charakterisieren und in ihnen die allem irdischen Geschehen zugrundeliegenden Seinskräfte bzw. Prinzipien zu erfassen, die Götter also für eine sozusagen sachlich-wissenschaftliche Welterklärung in Anspruch zu nehmen, die den Antagonismus der Prinzipien zur Grundlage einer – quasi nach den Mechanismen des Marktes bzw. des Konkurrenzkampfes – sinnvoll geregelten Selbststeuerung des Weltgeschehens macht;
    2. insofern diese Prinzipien (apxai) je- weils nur“den Anstoß und – in ihrem Zusammenwirken – einen gewissen Rahmen vorgeben~‘ den Menschen im übrigen jedoch (soweit diese sich nicht selbst in die Quere kommen) freien Handlungsspielraum einräumen wird der menschlichen Spontaneität und Selbständigkeit hier offensichtlich wesentlich größere Bedeutung beigemessen als bei der Geschehenssteuerung durch personale Götter, die bei der Durchsetzung ihres Willens den Menschen letzten Endes ja immer überlegen sind.
  3. „Der dritte Aspekt oszilliert gewissennaßen zwischen den beiden zuerst genannten:
    [Sehr moderne Vorstellung von Menschen, die zwischen übergeordneten Mächten und eigener Verantwortung stehen]
    1. die Götter werden zwar (wie bei 1) mythisch als individuelle Personen vorgestellt, wirken aber nicht mehr durchgängig, sondern nur noch begrenzt (sei es punktuell, sei es partiell) ins irdische Geschehen hinein,
    2. wodurch sich für menschliches Denken und Handeln – sozusagen im Zwischenraum zwischen den göttlichen Interventionen – (ähnlich wie bei 2) ein gewisser Freiraum ergibt.
    3. Eben dieser dritte Aspekt ist im homerischen Heldenepos nun dominierend, so daß sich eine auf irritierende Weise schillernde Darstellung menschlichen Handelns ergibt, deren Ambivalenz uns aus der Alltagserfahrung freilich durchaus vertraut ist:
    4. bald scheint der Mensch in seinen Entscheidungen von übergeordneten Mächten gegängelt, bald scheint er innerhalb gewisser Grenzen – eigenständig und in eigener Verantwortung zu handeln.“

Fazit

Vor diesem Hintergrund ergibt sich die Frage, wer im Nibelungenlied die Verantwortung trägt.

Eine Hypothese könnte sein, dass es auch dort äußere Einflüsse gibt, aber eher der geltenden Moral (Ehrbegriff) als göttlicher Gesetze, dass aber die Individualität von Menschen wie Kriemhild und Hagen eine größere Rolle spielt.

Weitere Infos, Tipps und Materialien 

https://textaussage.de/weitere-infos