Infos und Gedanken zu Georges Ettlin – „Ich bin das Dorf“ (Mat5281)

Worum es hier geht:

Das Gedicht „Ich bin das Dorf“ von Georges Ettlin ist interessant, weil es scheinbar einfache Äußerungen präsentiert, die aber nicht einfach zu klaren Aussagen zu verarbeiten sind.

Vor allem ist nicht von vornherein klar, ob hier ein lyrisches Ich spricht, das sich in die Situation und Perspektive eines Dorfes versetzt oder hier wirklich ein Dorf sprechen darf. Theoretisch könnte hier ein menschliches Ich sich auch in ein Dorf hineinfantasieren.

Weiter unten haben wir diese Frage ChatGPT gestellt und auch eine Antwort bekommen.

Aber zunächst mal unsere eigenen, unvollkommenen Überlegungen.

Zu finden ist das Gedicht u.a. hier.

https://gedichte.xbib.de/Ettlin_gedicht_Ich+bin+das+Dorf.htm

Versuch der Erläuterung der einzelnen Äußerungen des lyrischen Ichs

  • Überschrift:
    • Der Titel macht deutlich, dass das lyrische Ich sich mit einem oder auch dem Dorf allgemein gleichsetzt.
    • Man ist als Leser gespannt, wie das zu verstehen iste.
    • Vers 1:
      • Beschreibung der Situation des lyrischen Ichs
        • Einsamkeit und
        • Müdigkeit
        • Anscheinend ist ihm sogar das Ich-Subjekt vor Müdigkeit verloren gegangen 😉
      • Vers 2
        • Nach der konkreten Situation
        • Nun eine allgemeine
        • Anscheinend gibt es in dem Dorf eine Mückenplage im Sommer.
      • Vers 3 und 4:
        • Wechsel des Blicks auf die Frauen „des Landmanns“ – seltsam, hat er mehrere? Wahrscheinlich ist das ein Gattungsbegriff – alle Landfrauen sind gemeint
        • Sie sind brav
        • Und „trinken meine Träume“: Hypothese, nehmen ihm die Träume, das wäre dann nicht sehr frauenfreundlich oder frauenverstehend.
        • Hinweis auf den Wein am Sonntag: Nur da können sie sich vor lauter Arbeit mal etwas gönnen.
        • Hypothese: Diese Frauen sind nur mit Arbeit beschäftigt, nichts für das lyrische Ich.
      • Vers 5 und 6
        • Das lyrische Ich scheint selbst mindestens eine Kuh zu haben.
        • Der Winter um Weihnachten rum beeinflusst das lyrische Ich: Es fühlt sich wie der Schnee und die Welt draußen.
      • Vers 7 und 8
        • Selbstbeschreibung des lyrischen Ichs – eine fast kindliche Regression (Rückkehr zu den Anfängen)
        • Es hat auch alles verloren, was nach Veränderung oder gar nach Sehnsucht aussieht.
      • Vers 9 und 10
        • Möglicherweise meint das lyrische Ich sich damit selbst.
        • Auf jeden Fall wird die Idee des Schlafs aufgenommen,
        • Aus dem es nur selten erwacht
        • Und dann kurzzeitig an „verbotne Liebe“ denkt.
        • Gemeint ist damit wohl, dass es zumindest von einem kleinen Exzess träumt, was durchaus menschlich wäre.
      • Vers 11 und 12
        • Auch hier wird wieder deutlich, wie die Umwelt das lyrische Ich geprägt hat.
        • Es fühlt sich selbst „verschneit“, weit entfernt von den Aufbrüchen des Frühlings und dem Genuss von Sommer und Herbst.
        • Am Ende bezeichnet es sich als „kalt“ und damit beschäftigt, „seine Triebe“ zu kühlen. Das würde die Hypothese bestätigen, dass hier aus der Sicht eines „alten Mädchens“ geschrieben wird.

Zusammenfassung:

Das Gedicht zeigt

  • Wie sehr ein lyrisches Ich sich hier fühlt wie seine Umgebung, was die Überschrift erklärt,
  • Dass es schon zumindest ein bisschen von einem anderen Leben träumt, das aber aus irgend einem Grunde in sich bekämpft.

 

Insgesamt ein Gedicht,

  • Das auf besondere Weise mit der Erfahrung oder dem Gefühl spielt, mit seiner Umwelt zu verschmelzen oder von ihr gewissermaßen verschlungen zu werden.

 

Kreative Anregung:

Man könnte die Idee des Gedichtes aufnehmen und mal selbst eine Situation in einem Gedicht gestalten, bei dem man in der Umgebung gewissermaßen aufgeht.

Da ist alles möglich: Von einem Südseetraum mit Palmen über den Besuch eines Konzerts bis hin zur Situation in der Schule – zwischen Utopie und Dystopie.

Wie ChatGPT die Frage nach dem lyrischen Ich beantwortet

Wir präsentieren die Sicht von ChatGPT hier als Diskussionsanregung und werden auch noch kritisch darauf eingehen.

Der Titel lautet „Ich bin das Dorf“ – das legt schon stark nahe, dass hier das lyrische Ich selbst die Stimme des Dorfes ist. Es redet also nicht ein Mensch über ein Dorf, sondern das Dorf spricht selbst in der Ich-Form.

Belege im Text:

  • „Sehr einsam bin … ich atme in den Sommern Mücken ein“ – das klingt nicht nach einer menschlichen Erfahrung, sondern nach Landschaft.

  • „Im Winter schläft in meinem Stall die Kuh“ – nur ein Dorf (als Gesamtheit mit Stall und Kuh) kann so sprechen.

  • „Zur Weihnacht bin ich weiss und stille“ – auch das ist eine dörfliche Szenerie, keine menschliche Empfindung.

Gleichzeitig arbeitet der Text mit Vermenschlichung (Personifikation): das Dorf hat ein „Herz“, es „sucht die Ruh“, es „macht die Tür nicht auf“.

👉 Antwort also:
Es spricht nicht ein Mensch, der sich als Dorf fühlt, sondern der Dichter lässt das Dorf selbst sprechen – er gibt ihm eine menschliche Stimme und Gefühle.

Dann die Frage nach Aussagen und Deutungsmöglichkeiten

1. Aussagen des Gedichts

  • Einsamkeit und Abgeschiedenheit: Das Dorf wird als einsam beschrieben, in sich gekehrt, fast schläfrig.

  • Jahreszeiten bestimmen das Leben: Sommer (mit Mücken, Arbeit, Träumen) und Winter (Stall, Schnee, Stille) prägen das Dasein.

  • Das Dorf als lebendiges Wesen: Es „atmet“, „träumt“, hat ein „Herz“ – es wird vermenschlicht.

  • Bewusste Ruhe und Passivität: „dass nichts geschieht, ist oft mein Wille“ – das Dorf will Stille und Abwehr von Aufregung.

  • Unterdrückte Sehnsucht: Nur „manchmal“ regt sich etwas – ein „altes Mädchen“ mit verbotener Liebe. Doch das Dorf „macht die Tür nicht auf“ und bleibt kalt.


2. Deutung

  • Das Gedicht zeichnet ein Bild des Dorfes als Ort der Stille und Abgeschlossenheit – ein Lebensraum, der Sicherheit und Ruhe bietet, aber auch Enge und Unterdrückung.

  • Das Dorf verkörpert ein konservatives, bewahrendes Prinzip: Tradition, Ordnung, Abwehr des Fremden („die Tür nicht aufmachen“).

  • Gleichzeitig klingt eine Ambivalenz an: Wärme („mein Herz ist klein und warm“) auf der einen Seite, Unterdrückung von Sehnsucht und Leidenschaft auf der anderen.

  • Man kann es auch als Kritik an dörflicher Enge lesen: dort, wo Gefühle „verboten“ sind, bleibt nur seufzende Einsamkeit.

  • Oder positiver: das Dorf hält die Zeit an, verweigert sich dem Rausch und Chaos – ein Ort der bewussten Ruhe.


👉 Kurz gesagt:
Das Dorf spricht wie eine Figur, die zwischen Geborgenheit und Beklemmung schwankt. Es ist Ort des Friedens, aber auch der unterdrückten Wünsche.

Weitere Infos, Tipps und Materialien