5-Min-Tipp zu Goethes Rede „Zum Schäkespears Tag“ (Mat5472)

Worum es hier geht

Wir zeigen, wie man einen solchen Text schnell und sicher auswerten kann.

Als erstes zerlegen wir ihn in seine Bestandteile.

Dann fassen wir zusammen, was Goethe da sagt und worum es ihm geht.

Schließlich kümmern wir uns um zwei entscheidende Stellen:

  1. [Zunächst beschreibt Goethe seine innere Unruhe und sein Verhältnis zu Shakespeare. Er hat über ihn wenig nachgedacht, aber viele Ahnungen, Gefühle gehabt.]
    Erwarten Sie nicht,

    1. daß ich viel und ordentlich schreibe,
    2. Ruhe der Seele ist kein Festtagskleid;
    3. und noch zur Zeit habe ich wenig über Schäkespearen gedacht;
    4. geahndet, empfunden, wenn’s hoch kam, ist das Höchste, wohin ich’s habe bringen können.
  2. [Anschließend berichtet er von seinem ersten Shakespeare-Erlebnis, das ihn auf Dauer zu einem Shakespeare-Fan machte. Er hatte das Gefühl, etwas völlig neu zu sehen, das ihm neue Welten eröffnete und ihn fast schmerzlich beschäftigte.]
    Die erste Seite, die ich in ihm las,

    1. machte mich auf zeitlebens ihm eigen,
    2. und wie ich mit dem ersten Stocke fertig war,
    3. stund ich wie ein Blindgeborner,
      1. dem eine Wunderhand das Gesicht in einem Augenblicke schenkt.
      2. Ich erkannte, ich fühlte aufs lebhafteste meine Existenz um eine Unendlichkeit erweitert,
      3. alles war mir neu, unbekannt,
      4. und das ungewohnte Licht machte mir Augenschmerzen.
  3. [Dann geht Goethe näher auf die neue Erkenntnis ein. Es geht um die Ablehnung der bisherigen Theaterzwänge (Einheit des Ortes, der Handlund und der Zeit). Er sieht das als Befreiung, die ihn glücklich macht.]
    Nach und nach lernt ich sehen, und, dank sei meinem erkenntlichen Genius, ich fühle noch immer lebhaft, was ich gewonnen habe.
  4. Ich zweifelte keinen Augenblick, dem regelmäßigen Theater zu entsagen.
    1. Es schien mir die Einheit des Orts so kerkermäßig ängstlich,
    2. die Einheiten der Handlung und der Zeit lästige Fesseln unsrer Einbildungskraft.
    3. Ich sprang in die freie Luft und fühlte erst, daß ich Hände und Füße hatte.
  5. [Am Ende dieses Abschnittes blickt er sehr kritisch auf die früheren falschen Vorstellungen zurück, die noch viele Menschen behindern. Als Konsequenz zieht er daraus die Bereitschaft zum Kampf für die neuen Ideen.]
    Und jetzo, da ich sahe,

      1. wieviel Unrecht mir die Herrn der Regeln in ihrem Loch angetan haben,
      2. wieviel freie Seelen noch drinne sich krümmen,
    1. so wäre mir mein Herz geborsten,
      1. wenn ich ihnen nicht Fehde angekündigt hätte
      2. und nicht täglich suchte ihre Türne zusammenzuschlagen.

Klärung von zwei wichtigen Textstellen

  1. Ich zweifelte keinen Augenblick, dem regelmäßigen Theater zu entsagen
    • Goethe bezieht sich hier auf das deutsche Theater zur Zeit Gottscheds, einige Jahrzehnte früher.
    • Der versuchte, ein Theater, das aus recht primitiven „Haupt- und Staatsaktionen“ bestand, also nur auf Effekte aus war und auch schauspielerisch nicht viel zu bieten hatte, etwas Besseres zu machen.
    • Dabei griff er auf das hochentwickelte Theater der Franzosen zurück, die sich stark an Aristoteles und seinen Regeln für das Theater orientierten (Einheit der Handlung, Einheit des Ortes, Einheit der Zeit, Ständeklausel = nur Könige, Feldherren u.ä., weil das für effektvoller gehalten wurde.
    • Das will Goethe jetzt nicht mehr – und daraus entstehen Theaterstücke wie „Götz von Berlichingen“ und der „Urfaust“, die sich stärker an Shakespeare orientieren. Der hält sich an keine Regeln – außer der des optimalen Ausdrucks von Gefühlen und Konflikten.
  2. wieviel Unrecht mir die Herrn der Regeln in ihrem Loch angetan haben
    • Damit meint Goethe, dass Leute wie Gottsched einfach die Möglichkeiten eines Dichters eingeschränkt haben.
    • Davon will er sich befreien.

Verweis auf ein Video, das die Geschichte des Theaters zeigt

Lernvideo Theatergeschichte von Aristoteles bis heute

Videolink

Die entscheidenden Infos zum Hintergrund von Goethes Text aus dem Video

Stufe 2: Shakespeare – Gottsched – Lessing

  1. In der Neuzeit gibt es mit Shakespeare um 1600 in England ein Theatergenie, der sich an keine Regeln zu halten scheint, sondern das Menschlich-Allzumenschliche in all seinen Facetten überaus wirksam auf die Bühne bringt. Eine gewisse Fallhöhe gibt es bei Shakespeare schon noch, wie man etwa bei King Lear sehen kann, der den falschen Töchtern vertraut und bald einsam über die Heide irrt.
    Goethe wird später bei Shakespeare die sogenannten „Fetzenszenen“ loben, die er gerne in seinem „Götz von Berlichingen“ übernimmt. Überhaupt hat er eine hohe Meinung von dieser urwüchsigen Theaterkraft, die er in seiner berühmten „Rede zum Schäkespears Tag“ aus dem Jahre 1771 lobt.
  2. Im völligen Kontrast zu Shakespeare steht das sogenannte „Regeldrama“ der französischen Klassik um 1700, das sich eng an die Vorgaben des Aristoteles anlehnte. Die wichtigsten Autoren dieses vom Adel und Hof sehr geschätzten Theaters waren Corneille und Racine.
  3. In Deutschland setzte sich vor allem Gottsched im „Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Teutschen“ (1730) für diese Art des Theaters ein. Berühmt geworden ist eine Art Gebrauchsanweisung für die Herstellung eines Theaterstücks:
    „Der Poet wählet sich einen moralischen Lehrsatz, den er seinen Zuschauern auf eine sinnliche Art einprägen will. Dazu ersinnt er sich eine allgemeine Fabel, daraus die Wahrheit eines Satzes erhellet. Hiernächst sucht er in der Historie solche berühmte Leute, denen etwas ähnliches begegnet ist: und von diesen entlehnet er die Namen, für die Personen seiner Fabel, um derselben also ein Ansehen zu geben. Er erdenket sodann alle Umstände dazu, um die Hauptfabel recht wahrscheinlich zu machen, und das werden die Zwischenfabeln, oder Episodia nach neuer Art, genannt. Dieses theilt er dann in fünf Stücke ein, die ohngefähr gleich groß sind, und ordnet sie so, daß natürlicher Weise das letztere aus dem vorhergehenden fließet; bekümmert sich aber weiter nicht, ob alles in der Historie wirklich so vorgegangen, oder ob alle Nebenpersonen wirklich so, und nicht anders geheißen haben.“
  4. Es war dann Lessing, der in seiner „Hamburgischen Dramaturgie“ (1767) für ein Theater eintrat, das stärker an der Wirklichkeit und den Interessen des aufsteigenden Bürgertums orientiert war. Damit wurde vor allem die Ständeklausel aufgegeben. Mehr Wert wurde auf Gefühle und Individualität gelegt. Im Zentrum stand das „Mitleid“, also die Fähigkeit, mit den Figuren auf der Bühne und ihrem Schicksal mitzufühlen. Daraus sollten sich positive moralische Einstellungen ergeben, was den Ideen des Aristoteles wohl mehr gerecht wird als die überholten drei Einheiten.

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