5-Minuten-Tipp zur Kurzgeschichte „Zug um Zug“ von Jörn Birkholz (Mat5803)

Die Kurzgeschichte ist u.a. hier zu finden.

Hier zunächst nur ein paar Anmerkungen:

  1. Die Kurzgeschichte scheint zunächst nur eine allgemeine Bahnmisere zu beschreiben. Auffallend ist allerdings, dass die Hauptfigur der Erzählung, ein Herr Glogowski „zustimmend“ „lächelte“. Er scheint mit den Verzögerungen kein Problem zu haben – ganz im Gegenteil.
  2. Dennoch ist man erstaunt, dass dieser Mann am Ende gar nicht in den Zug steigt, sondern einfach wieder nach Hause fährt.
  3. Die Schlüsselstelle ist dort zu finden, wo Glogowski auf das Bild seiner Frau blickt – und zwar „schwermütig“ „wie jedes Mal“. Man kann also davon ausgehen, dass er seine tote Ehefrau betrauert.
  4. Etwas sehr übergangslos ist dann am Ende davon die Rede, dass dieser seltsame Bahnhofsbesuch sich wiederholt. Wichtig dann der Hinweis, dass er dabei „wieder unter Menschen“ ist – und zwar unter lebenden.
  5. Fazit: Dieser Mann bewältigt also seine Trauer in der Weise, dass er die Erinnerung an seine Frau im Auge behält und zugleich sich auf dem Bahnhof unter Menschen begibt. Da vorher von Verzögerungen die Rede ist, die durch Suizide, also Selbstmorde verursacht worden sind, und Glogowski dabei besonders Anteil nimmt, spricht einiges dafür, dass seine Frau auf die gleiche Weise Selbstmord begangen hat.
  6. Problematisch bleibt aber die so stark reduzierte Darstellung der Gefühle des Mannes, dass man als Leser fast nicht drauf kommt, was sie verursacht hat.
  7. Es lohnt sich sicher, daüber nachzudenken, ob das eher eine Schwäche des Textes ist oder ein besonderes literarisches Mittel. Das könnte eben darin bestehen, dass der Mann seine Verlust-Gefühle gar nicht ertragen könnte, wenn er sich ihnen hingeben und sie dabei auch dem Leser mitteilen würde. Vielleicht ist sein Verhalten, so wie es hier angedeutet wird, der einzige Level, der ihm aktuell möglich ist. Das wäre dann eine ganz besondere Art der Trauerdarstellung.

Tipp für ein schnelleres Textverständnis

  • „Am Beispiel dieser Geschichte kann man schön sehen, dass man beim Lesen die entscheidenden Signale erkennen und dann auch zusammensetzen muss:
    Also: Bitte die Schülis nicht überschütten mit irgendwelchen Analyse-Details, sondern sie erst mal den Kern der Geschichte erkennen und verstehen lassen.

    • Da wartet jemand mit vielen anderen auf den verspäteten Zug.
    • Zwischendurch hört man den Hinweis, es habe einen Personenschaden gegeben – und die Hauptfigur der Erzählung weiß sofort, dass es sich um einen Selbstmord vor/unter dem Zug handelt, was er als sichere Methode bezeichnet. Er hat also Ahnung, lebt aber noch selbst.
      = Signal 1
    • Als der Zug kommt, verlässt der Mann aber locker den Bahnhof und fährt nach Hause. Anscheinend wollte er gar nicht mitfahren. Warum also die Aufregung?
      = Signal 2
    • Zu Hause legt er sich aufs Bett, blickt auf das Bild seiner toten Frau und schließt die Augen.
      Spätestens hier muss es klicken – tote Frau – Erinnerung an Suizid auf Schienen.
      Signal 3:
    • Am nächsten Morgen geht er wieder zum Bahnhof – und dann ein verräterischer Satz: „Er war wieder unter Menschen“.
      Signal 4
    • Damit ist eine sehr wahrscheinliche Deutungshypothese klar:
      • Der Mann hat seine Frau durch verloren, die sich vor einen Zug geworfen hat.
      • Er verarbeitet das auf zweierlei Weise: Zunächst geht er immer wieder auf den Bahnhof, also an den Ort, der über den Zug seiner Frau den Tod gebracht hat.
      • Außerdem ist er wieder unter Menschen – er will und kann also ins Leben zurück.

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