Achim von Arnim, “Des ersten Bergmanns ewige Jugend” (Mat 4999)

Worum es hier geht:

6.7.23

Wir stellen hier die Ballade „Des ersten Bergmanns ewige Jugend“ von Achim von Arnim vor, einem Dichter  der Romantik.

Diese Ballade hat viel Ähnlichkeit mit dem Gedicht „Wisst Ihr von des Bergmanns Leiche“ von Carl Bernhard von Trinius. Es macht schon im Titel deutlich, dass es sich eher um eine Moritat handelt, also eine aufregende Geschichte, die man von einer Art Podium interessierten Zuhörern mündlich vortrug.
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Aus dieser Ballade kann man vor allem Merkmale des Romantischen herausarbeiten.

Anmerkungen zu Strophe 1

Die erste Strophe beschreibt, wie ein Junge für sich in einem Brunnen den Zugang zu einer anderen Welt entdeckt.

  1. Ein Knabe lacht sich an im Bronnen,
  2. Hält Festtagskuchen in der Hand,
  3. Er hatte lange nachgesonnen,
  4. Was drunten für ein neues Land.
  5. Gar lange hatte er gesonnen
  6. Wie drunten sei der Quelle Lauf;
  7. So grub er endlich einen Bronnen,
  8. Und rufet still in sich, Glück auf!
  9. Ihm ist sein Kopf voll Fröhlichkeiten,
  10. Von selber lacht der schöne Mund,
  11. Er weiß nicht, was es kann bedeuten,
  12. Doch thut sich ihm so vieles kund.

Anmerkungen zu Strophe 2

Für eine Tanzveranstaltung ist der Junge noch zu jung, aber zumindest sein Spiegelbild wird schon von einer  Frau geküsst.

  1. Er höret fern den Tanz erschallen,
  2. Er ist zum Tanzen noch zu jung,
  3. Der Wasserbilder spiegelnd Wallen
  4. Umzieht ihn mit Verwandelung,
  5. Es wandelte wie Wetterleuchten
  6. Der hellen Wolken Wunderschaar,
  7. Doch anders will es ihm noch deuchten,
  8. Als eine Frau sich stellet dar:
  9. Da weichen alle bunten Wellen,
  10. Sie schauet, küsst sein spiegelnd Bild,
  11. Er sieht sie, wo er sich mag stellen,
  12. Auch ist sie gar kein Spiegelbild.

Anmerkungen zu Strophe 3

Offensichtlich handelt es sich bei dieser Frau um ein Wesen der Tiefe, die ihn auf irgendeine Art und Weise lockt und er empfindet das als eine reizvoller Alternative zu seiner Familiensituation.

  1. „Ich hab nicht Fest, nicht Festes Kuchen,
  2. Bin in den Tiefen lang verbannt!“
  3. So spricht sie, möchte ihn versuchen,
  4. Er reicht ein Stück ihr mit der Hand;
  5. Er kann es gar kein Wunder nennen,
  6. Viel wunderbarer ist ihm heut,
  7. In seinem Kopf viel Lichter brennen
  8. Und ihn umfängt ganz neue Freud;
  9. Von seiner Schule dumpfem Zimmer,
  10. Von seiner Eltern Scheltwort frei,
  11. Umfließet ihn ein sel’ger Schimmer,
  12.  Und alles ist ihm einerlei.

Anmerkungen zu Strophe 4

Die Frau aus der Tiefe versucht, den Jungen zu sich hinabzuziehen,  doch er gewinnt den Kampf.

Sie bietet ihm als Entschädigung Geld, aber dem Jungen reicht ihr Anblick.

  1. Sie fasst die Hand, dem Knaben schaudert,
  2. Sie ziehet stark, der Knabe lacht,
  3. Kein Augenblick sein Muth verzaudert,
  4. Er zieht mit seiner ganzen Macht,
  5. Und hat sie kräftig überrungen
  6. Die Königin der dunklen Welt,
  7. Sie fürchtet harte Misshandlungen
  8. Und bietet ihm ihr blankes Geld.
  9. „Mag nicht Rubin, nicht Goldgeflimmer,“
  10. Der starke Knabe schmeichelnd spricht,
  11. „Ich mag den dunklen Feuerschimmer
  12. Von deinem wilden Angesicht.“

Anmerkungen zu Strophe 5

Die Königin der Unterwelt nutzt das, um ihm die Schönheit ihrer dunklen Welt zu zeigen, und er folgt ihr.

  1. „So komm zur Kühlung mit hinunter!“
  2. Die Königin, ihm schmeichelnd, sagt,
  3. „Da unten blüht die Hoffnung bunter
  4. Wo bleichend sich das Grün versagt.
  5. Dort zeige ich dir große Schätze,
  6. Die reich den lieben Eltern hin,
  7. Die streichen da nach dem Gesetze,
  8. Wie ich Dir streiche über’s Kinn.“
  9. So rührt sie seiner Sehnsucht Saiten,
  10. Die Sehnsucht nach der Unterwelt,
  11. Gar schöne Melodien leiten
  12. Ihn in ihr starres Lagerzelt.

Anmerkungen zu Strophe 6

Der Junge ist dann in der Unterwelt ziemlich aktiv und arbeitet aus dem Felsgestein eine Menge Gold heraus. Anscheinend fühlt er auch eine innere Verbundenheit zu der Königin der Unterwelt. Schließlich wird er von seinen Eltern gerufen und kehrt auch zu ihnen zurück

  1. Gar freudig klettert er hinunter,
  2. Sie zeigt ihm ihrer Adern Gold,
  3. In Flammen spielt Krystall da munter,
  4. Der Knabe spielt in Minnesold.
  5. Er ist so gar ein wackrer Hauer
  6. Mit wilder Kühnheit angethan,
  7. Hat um sein Leben keine Trauer,
  8. Macht in den Tiefen neue Bahn,
  9. Und bringet dann die goldnen Stufen
  10. Von seiner Kön’gin Kammerthür,
  11. Als ihn die Ältern lange rufen
  12. Zu seinen Ältern kühn herfür.

Anmerkungen zu Strophe 7

Die Eltern freuen sich über das Gold, das der Junge aus der Erde schafft, und wollen immer mehr. Schließlich gibt es oben ein großes Fest.

Als der Junge mit dazukommen will und mit einem schönen Mädchen tanzt, vertreibt die Familie ihn. Sie will offensichtlich das haben und nutzen, was er heranschafft, aber sie erkennen ihn nicht wirklich an und gönnen ihm auch das, was ihm zusteht.

  1. Die Eltern freuen sich der Gaben
  2. Und sie erzwingen von ihm mehr,
  3. Viel Schlösser sie erbauet haben
  4. Und sie besolden bald ein Heer:
  5. Er muss in strenger Arbeit geben,
  6. Worin sie prunken ohne Not.
  7. Einst hört er oben festlich Leben,
  8. Den trocknen Kuchen man ihm bot.
  9. Da kann die Kön’gin ihn nicht halten
  10. Mit irdisch kaltem Todesarm,
  11. Denn in dem Knaben aufwärts walten
  12. So Licht als Liebe herzlich warm.
  13.  Er tritt zum Schloss zum frohen Feste,
  14. Die Eltern staunen ihn da an,
  15. Es blickt zu ihm der Jungfraun Beste,
  16. Es fasst ihr Blick den schönen Mann,
  17. Im Bergkleid tritt er mit zum Tanze
  18. Und hat die Jungfrau sich erwählt,
  19. Und sie beschenkt ihn mit dem Kranze,
  20. Er hat die Küsse nicht gezählt.
  21. Da sind die Brüder zugetreten
  22. Und seine Eltern allzugleich,
  23. Die alle haben ihn gebeten
  24. Dass er doch von dem Feste weich.

Anmerkungen zu Strophe 8

Der Junge wehrt sich aber und setzt auch durch, dass er dem auserwählten Mädchen einen Ring ansteckt. Am Ende ist er ziemlich betrunken und geht zu seinem Schacht in die Unterwelt zurück.

  1. Da hat er trotzig ausgerufen:
  2. „Ich will auch einmal lustig sein,
  3. Und morgen bring ich wieder Stufen
  4. Und heute geh ich auf das Frein!“
  5. Da hat er einen Ring genommen,
  6. Vom Gold, wie es noch Keiner fand,
  7. Den hat die Jungfrau angenommen,
  8. Als er ihn steckt an ihre Hand,
  9. Dann sitzt er froh mit ihr zum Weine,
  10. Hat manches Glas hinein gestürzt;
  11. Spät schwankt er fort und ganz alleine,
  12. Manch liebreich Bild die Zeit verkürzt.

Anmerkungen zu Strophe 9

Die Königin der Unterwelt ist eifersüchtig und sorgt nicht für ausreichendes Licht. Der Junge stürzt sich in seinem Zustand zu Tode. Er wird dann von ihr in einen goldenen Sarg gelegt, das ist ihr letzter Liebesbienst.

Man wird hier ein bisschen erinnert, an den Schluss des Dramas „Der Besuch  der alten Dame“. Auch dort sorgt eine Frau aus Rache für den Tod des ehemals Geliebten, verschafft ihm aber auch ein fürstliches Begräbnis.

  1. Die Lieb ist aus, das Haus geschlossen
  2. Im Schacht der reichen Königin;
  3. Er hat die Türe eingestoßen
  4. Und steigt so nach Gewohnheit hin.
  5. Die Eifersücht’ge hört ihn rufen,
  6. Sie leuchtet nicht, er stürzt herab,
  7. Er fand zur Kammer nicht die Stufen,
  8. So findet er nun dort sein Grab.
  9. Nun seufzt sie, wie er schön gewesen,
  10. Und legt ihn in ein Grab von Gold,
  11. Das ihn bewahrt vor dem Verwesen,
  12. Das ist ihr letzter Minnesold.

Anmerkungen zu Strophe 10

In der Oberwelt ist der Junge bald vergessen, andere graben jetzt in der Erde, aber Gold wird nicht mehr gefunden.

Der einzige Mensch, der wirklich um den toten Jungen trauert, ist das Mädchen, mit dem er den letzten Abend verbracht hat.

  1. Die Eltern haben ihn vergessen,
  2. Da er nicht kommt zum Licht zurück,
  3. Und andre Kinder unterdessen
  4. Erwühlen neu der Erde Glück,
  5. Und bringen andre schöne Gaben,
  6. An Silber, Kupfer, Eisen, Blei,
  7. Doch mit dem Gold, was er gegraben,
  8. Damit scheint es nun ganz vorbei.
  9. Die Jungfrau lebet nur in Thränen,
  10. Die Liebe nimmt der Hoffnung Lauf,
  11. Und meint in ihrer Hoffnung Wähnen,
  12. Ihr steh das Glück noch einmal auf.

Anmerkungen zu Strophe 11

In den nächsten Jahrzehnten verteidigt die Königin der Unterwelt, das Grab ihres toten Geliebten. Die Menschen setzen dann aber Maschinen ein und stoßen schließlich auf die Leiche und sehen, dass sie noch Gold in den Händen hat.

  1. Glück auf! nach funfzig sauren Jahren
  2. Ein kühner Durchschlag wird gemacht,
  3.  Die Kön’gin kämpfet mit den Schaaren
  4. Und hat gar viele umgebracht.
  5. Sie hat gestellt viel böse Wetter,
  6. Die um des Lieblings Grabmal stehn,
  7. Doch Klugheit wird der Kühnen Retter,
  8. Sie lassen die Maschinen gehn;
  9. Da haben sie den Knaben funden
  10. In kalten Händen kaltes Gold,
  11. So hat er sterbend noch umwunden
  12. Die Königin, die ihm einst hold.

Anmerkungen zu Strophe 12

Hier wird auf die zeitliche Distanz verwiesen. Niemand kennt den immer noch jungen Mann mehr. Die Atmosphäre in der Unterwelt hat ihn wohl gut erhalten.

  1. Zur Luft ihn tragend alle fragen,
  2. „Weiß keiner, wer der Knabe war,
  3. Ein schöner Bursche, zum Beklagen,
  4. Gar viele rafft hinweg das Jahr,
  5. Doch Keiner je so wohl erhalten
  6. Kam aus der Erde Schooß zurück,
  7. Denn selbst die flüchtigen Farben walten
  8. Noch auf der Wangen frohem Glück;
  9. Es sind noch weich die starken Sehnen,
  10. Es zeigt die Tracht auf alte Zeit,
  11. Er kostete wohl viele Thränen,
  12. Jetzt kennt ihn keiner weit und breit.“

Anmerkungen zu Strophe 13

In dieser Strophe geht die Ballade auf die ehemalige Freundin des Toten ein, die ihn jetzt sieht und sich sofort voller Verbundenheit auf ihn stürzt.

  1. Die Jungfrau war tief alt geworden
  2. Seit jenem Fest, wo sie ihn sah,
  3. Spät trat sie in den Nonnenorden
  4.  Und geht vorbei und ist ihm nah;
  5. Sie kommt gar mühsam hergegangen,
  6. Gestützt auf einem Krückenstab,
  7. Ein Traum hielt sie die Nacht umfangen,
  8. Daß sie den Bräut’gam wieder hab.
  9. Sie sieht ihn da mit frischen Wangen,
  10. Als schliefe er nach schöner Lust,
  11. Gern weckte sie ihn mit Verlangen,
  12. Hier stürzt sie auf die stille Brust.

Anmerkungen zu Strophe 14

Diese Strophe geht zum einen auf die Verwunderung der anderen Leute ein, die nicht verstehen können oder wollen, was die alte Frau von diesem jungen Mann will.

Am Ende wird angedeutet, dass die künstlich erhaltene Jugendlichkeit bei der Leiche schnell verloren geht.

  1. Da fühlt sie nicht das Herz mehr schlagen,
  2. Die Männer sehn verwundert zu:
  3. „Was will die Hexe mit dem Knaben,
  4. Sie sollt ihm gönnen seine Ruh.
  5. Das wär doch gar ein schlimm Erwachen,
  6. Wenn er erwachte, frisch gesund
  7. Und sie ihn wollte froh anlachen
  8. Und hätte keinen Zahn im Mund.“
  9. Jetzt schauet sie sein hart Erstarren
  10. An dieser neuen Himmelsluft,
  11. Die Farbe will nicht länger harren,
  12. Die treu bewahrt der Kön’gin Gruft.

Anmerkungen zu Strophe 15

Diese Strophe beschäftigt sich mit der Unvereinbarkeit, dieser toten Jugend und der abgebrochenen Liebe.

Am Ende wird versucht das Gedicht auszudrücken, was die alte Frau beim Anblick ihres ehemaligen Freundes empfindet. Verglichen wird er mit der Statue eines Gottes, den man verehrt, zu dem man aber keine Beziehung unter gleichen aufnehmen kann.

  1. Hier ist die Jugend, dort die Liebe,
  2. Doch sind sie beide nicht vereint,
  3. Die schöne Jugend scheint so müde,
  4. Die alte Liebe trostlos weint.
  5.  Was hülf es ihr, wenn er nun lebte,
  6. Und wäre nun ein alter Greis,
  7. Ihr Herz wohl nicht mehr zu ihm strebte,
  8. Wie jetzt zu dieses Todten Preis.
  9. Wie eine Statue er da scheinet
  10. Von einem lang vergeßnen Gott,
  11. Die Alte treu im Dienst erscheinet
  12. Und ist der jungen Welt zum Spott.

Anmerkungen zu Strophe 16

Die letzte Strophe gesteht der Fürst zu, dass die Leiche der alten Frau übergeben wird. Am Ende wird beschrieben, was sie –  alleingelassen mit ihm – empfindet. Ihr gemeinsames Schicksal wird auf den Punkt gebracht, dass jemand, der bei einer anderen alten Frau der Enkel wäre, hier ihr Bräutigam ist.

  1. Es mag der Fürst sie nimmer scheiden,
  2. Er schenket ihr den Leichnam mild,
  3. Verlassne möchten ihr wohl neiden
  4. Ein also gleich und ähnlich Bild.
  5. Da sitzet sie nun vor dem Bilde,
  6. Die Hände sanft gefalten sind,
  7. Und sieht es an und lächelt milde,
  8. Und spricht: „Du liebes, liebes Kind,
  9. Kaum haben solche alte Frauen,
  10. Wie ich noch solche Kinder schön,
  11. Als meinen Enkel muss ich schauen,
  12. Den ich als Bräut’gam einst gesehn.“

Vergleich mit einer Kalendergeschichte:

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