Schnell durchblicken: Johann Peter Hebel, „Unverhofftes Wiedersehen“ (Mat4949)

Worum es hier geht:

Wir präsentieren hier die Kalendergeschichte „Unverhofftes Wiedersehen“ von Johann Peter Hebel.

Zu finden ist sie u.a. hier.

Tipps für die Inhaltsangabe:

  1. Man beginnt mit einer Einleitung, die direkt zur ersten Hauptfigur führt:
    „In der Kalendergeschichte … von … geht es um eine junge Frau, die von ihrem Freund den Termin für ihre Hochzeit gesagt bekommt.“
  2. Dann der Hinweis auf das Scheitern der Hoffnung:
    „Daraus wird aber nichts, weil der Bräutigam bei seiner Arbeit im Bergwerk umgekommen ist, ohne dass man ihn finden konnte.“
  3. Dann der Sprung zur Entdeckung seiner Leiche:
    „Erst etwa 50 Jahre später wird zufällig die Leiche entdeckt. Außer der Witwe kennt den Mann niemand mehr.
  4. Dann der Schluss:
    „Bei der Beerdigung macht die Witwe deutlich, dass sie sich auf ein Wiedersehen im Himmel freut.“

Erzählschritt 1: Liebe und Familienplanung

In Falun in Schweden küsste vor guten fünfzig Jahren und mehr ein junger Bergmann seine junge hübsche Braut und sagte zu ihr: »Auf Sankt Luciä wird unsere Liebe von des Priesters Hand gesegnet. Dann sind wir Mann und Weib, und bauen uns ein eigenes Nestlein.« – »Und Friede und Liebe soll darin wohnen«, sagte die schöne Braut mit holdem Lächeln, »denn du bist mein einziges und alles, und ohne dich möchte ich lieber im Grab sein, als an einem andern Ort.«

  • Rückblick: Ein junger Bergmann küsst seine Braut und verspricht ihr die Heirat zu baldigen Zeitpunkt, nämlich am Luciafest, das am 13. Dezember stattfindet:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Luciafest
  • Die Braut ist ganz glücklich, deutet aber auch schon an, dass sie lieber sterben als ihn verlieren möchte.

Erzählschritt 2: Der Tod als Störfaktor

Als sie aber vor St. Luciä der Pfarrer zum zweitenmal in der Kirche ausgerufen hatte: »So nun jemand Hindernis wüsste anzuzeigen, warum diese Personen nicht möchten ehelich zusammenkommen« – da meldete sich der Tod. Denn als der Jüngling den andern Morgen in seiner schwarzen Bergmannskleidung an ihrem Haus vorbeiging, der Bergmann hat sein Totenkleid immer an, da klopfte er zwar noch einmal an ihrem Fenster, und sagte ihr guten Morgen, aber keinen guten Abend mehr. Er kam nimmer aus dem Bergwerk zurück, und sie saumte vergeblich selbigen Morgen ein schwarzes Halstuch mit rotem Rand für ihn zum Hochzeittag, sondern als er nimmer kam, legte sie es weg, und weinte um ihn und vergaß ihn nie.

  • Der Erzähler macht es spannend, denn er versetzt den Leser direkt in die Hochzeitszeremonie
  • und lässt den Tod die Veranstaltung stören. Ein toller Trick der Darstellung.
  • Dann die Aufklärung: Der Bräutigam ist aus der Tiefe des Bergwerks nicht zurückgekommen – mehr erfährt man über das Unglück nicht.
  • Auch wird nicht auf die Gefühle der verlassenen Braut eingegangen.

Erzählschritt 3: Der Lauf der Zeit

Unterdessen wurde die Stadt Lissabon in Portugal durch ein Erdbeben zerstört, und der Siebenjährige Krieg ging vorüber, und Kaiser Franz der Erste starb, und der Jesuitenorden wurde aufgehoben und Polen geteilt, und die Kaiserin Maria Theresia starb, und der Struensee wurde hingerichtet, Amerika wurde frei, und die vereinigte französische und spanische Macht konnte Gibraltar nicht erobern. Die Türken schlossen den General Stein in der Veteraner Höhle in Ungarn ein, und der Kaiser Joseph starb auch. Der König Gustav von Schweden eroberte russisch Finnland, und die Französische Revolution und der lange Krieg fing an, und der Kaiser Leopold der Zweite ging auch ins Grab. Napoleon eroberte Preußen, und die Engländer bombardierten Kopenhagen, und die Ackerleute säeten und schnitten. Der Müller mahlte, und die Schmiede hämmerten, und die Bergleute gruben nach den Metalladern in ihrer unterirdischen Werkstatt.

  • Mit einem weiteren erzählerischen Trick wird verdeutlicht, was dieser Braut bevorgestanden hat – eine fast unendliche Kette von historischen Ereignissen, die alle von ihrem persönlichen Geschick unberührt bleiben.
  • Dann wendet sich der Erzähler den arbeitenden Menschen zu und macht am Ende deutlich, dass auch die Arbeit im Bergwerk weitergeht, als wäre nichts passiert.
  • Deutlich wird hier die Einsamkeit der Witwe – sie kann nichts als an ihren toten Bräutigam denken und trauern.

Erzählschritt 4: Überraschende Entdeckung

Als aber die Bergleute in Falun im Jahr 1809 etwas vor oder nach Johannis zwischen zwei Schachten eine Öffnung durchgraben wollten, gute dreihundert Ellen tief unter dem Boden gruben sie aus dem Schutt und Vitriolwasser den Leichnam eines Jünglings heraus, der ganz mit Eisenvitriol durchdrungen, sonst aber unverwest und unverändert war; also dass man seine Gesichtszüge und sein Alter noch völlig erkennen konnte, als wenn er erst vor einer Stunde gestorben, oder ein wenig eingeschlafen wäre, an der Arbeit.

  • Dann die Wende: Zufällig wird die Leiche des Verunglückten gefunden
  • und die Umstände vor Ort haben dafür gesorgt, dass sie nicht verwest ist.

Erzählschritt 5: Wiederbegegnung

Als man ihn aber zu Tag ausgefördert hatte, Vater und Mutter, Gefreundte und Bekannte waren schon lange tot, kein Mensch wollte den schlafenden Jüngling kennen oder etwas von seinem Unglück wissen, bis die ehemalige Verlobte des Bergmanns kam, der eines Tages auf die Schicht gegangen war und nimmer zurückkehrte. Grau und zusammengeschrumpft kam sie an einer Krücke an den Platz und erkannte ihren Bräutigam; und mehr mit freudigem Entzücken als mit Schmerz sank sie auf die geliebte Leiche nieder, und erst als sie sich von einer langen heftigen Bewegung des Gemüts erholt hatte, »es ist mein Verlobter«, sagte sie endlich, »um den ich fünfzig Jahre lang getrauert hatte, und den mich Gott noch einmal sehen lässt vor meinem Ende. Acht Tage vor der  Hochzeit ist er unter die Erde gegangen und nimmer heraufgekommen.«

  • Noch einmal wird das Ungeheuerliche der Situation verdeutlicht: Niemand kennt die Leiche, nur die inzwischen alt gewordene Braut.
  • Der Eindruck ist für sie so stark, dass sie mehr von „freudigem Entzücken“ bestimmt ist als von „Schmerz“.
  • Dann klärt sie die Umstehenden ganz sachlich auf.

Erzählschritt 6: Zwischen Liebe und Tod

Da wurden die Gemüter aller Umstehenden von Wehmut und Tränen ergriffen, als sie sahen die ehemalige Braut jetzt in der Gestalt des hingewelkten kraftlosen Alters und den Bräutigam noch in seiner jugendlichen Schöne, und wie in ihrer Brust nach 50 Jahren die Flamme der jugendlichen Liebe noch einmal erwachte; aber er öffnete den Mund nimmer zum Lächeln oder die Augen zum Wiedererkennen; und wie sie ihn endlich von den Bergleuten in ihr Stüblein tragen ließ, als die einzige, die ihm angehöre, und ein Recht an ihn habe, bis sein Grab gerüstet sei auf dem Kirchhof.

  • Im nächsten Schritt wird die Anteilnahme der anderen Leute deutlich.
  • Hervorgehoben wird vor allem der ungewöhnliche Eindruck, dass hier zwei Menschen sich innerlich ganz nah sind – und doch schon vom Äußeren her weit voneinander entfernt.
  • Besonders hervorgehoben wird das, was von ihm für die Braut nicht mehr ausgehen kann.
  • Ganz ruhig wird berichtet, was als nächstes getan wird.

Erzählschritt 7: Vorläufiger Abschied

Den andern Tag, als das Grab gerüstet war auf dem Kirchhof und ihn die Bergleute holten, schloss sie ein Kästlein auf, legte sie ihm das schwarzseidene Halstuch mit roten Streifen um, und begleitete ihn alsdann in ihrem Sonntagsgewand, als wenn es ihr Hochzeittag und nicht der Tag seiner Beerdigung wäre. Denn als man ihn auf dem Kirchhof ins Grab legte, sagte sie: »Schlafe nun wohl, noch einen Tag oder zehen im kühlen Hochzeitbett, und lass dir die Zeit nicht lange werden. Ich habe nur noch wenig zu tun, und komme bald, und bald wird’s wieder Tag. – Was die Erde einmal wiedergegeben hat, wird sie zum zweitenmal auch nicht behalten«, sagte sie, als sie fortging, und noch einmal umschaute.

  • Auch hier jetzt eine rein sachliche Darstellung, „als wenn es ihr Hochzeittag“ wäre.
  • Auch am offenen Grab kein Gefühlsausbruch, nicht einmal ein Hinweis auf Tränen, sondern eine Art Eheversprechen der besonderen Art – nicht „bis der Tod uns scheidet“, sondern „bis ich auch bei dir bin“.
  • Sehr anrührend sind die Worte, die die Braut an ihren Geliebten richtet, als könnte er sie hören.
  • Am Ende dann die Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft im Himmel. Dabei wird der ungeheure Vorgang der Wiedergabe durch die Erde verwendet als Signal für die Auferweckung aus dem Tod.

Was an der Geschichte auffällt

  1. Die distanzierte Darstellung des Scheiterns der gemeinsamen Pläne. Das könnte man probeweise mal moderner und gefühlsintensiver gestalten.
  2. Der Kontrast zwischen den vielen historischen Ereignissen in den 50 Jahren und der Nicht-Veränderung bei dem toten jungen Mann.
  3. Dann der Hinweis auf eine Liebe, die durch den Tod nicht wirklich ein Ende findet, sondern sogar über ihn hinausreicht.
  4. Interessant ist, dass die Geschichte mit einem ganz normalen kurzen Dialog beginnt und mit einer besonderen Art von Monolog endet. Damit bekommt die Geschichte eine ganz eigene Spannung in Richtung Zukunft, die durch die Witwe klar benannt wird.
  5. Sehr schön sehen kann man hier auch, was in der Inhaltsangabe ausgelassen wird,nämlich verschiedene besondere künstlerische Mittel:
    1. Zum einen die besondere Darstellung der Situation am Hochzeitstag,
    2. zum anderen der Hinweis auf die lange Zeit, die bis zum einseitigen Wiedersehen vergeht.
    3. Durch die Auswahl der Ereignisse wird deutlich, dass die junge Frau eigentlich kein eigenes Leben mehr hat. Offensichtlich wird ihr Inneres ganz durch die Erinnerung an den Toten ausgefüllt – für nichts anderes ist da noch Platz, muss also auch nicht erzählt werden. Eigentlich eine sehr traurige Geschichte, was aber auch der Situation entspricht. Allerdings gibt es ein besonderes Happy End, das zurZeit der Entstehung die meisten Menschen für sich nachempfinden konnten.

Vergleich dieser Geschichte mit zwei Balladen

Weitere Infos, Tipps und Materialien 

https://textaussage.de/weitere-infos