Anmerkungen zur These von Andreas Platthaus, der Roman „Der Trafikant“ sei mit „bösem Zauber“ geschrieben (Mat5495)

Im Folgenden geht es um eine Rezension zum Roman „Der Trafikant“, die am 2.11.2012 in der FAZ erschienen ist.

Abgedruck worden ist sie in Einfach Deutsch. Der Trafikant. Von Anette Sosna, Bildungshaus Schulbuchverlage, 2017, S. 128 (ISBN: 987-3-14-022690-5)

In der Vorbemerkung heißt es da:

„Robert Seethaler hat einen Roman mit bösem Zauber geschrieben…“

Am Ende wird das dann wie folgt erklärt:

  • „Franz ist ein Hoffnungsträger, und Seethalers Bosheit – er ist Wiener – besteht darin, auch uns als Leser auf den jungen Mann hoffen zu lassen. Lange blüht er fort. Dann verglüht er.“
  • Dann wird darauf hingewiesen, dass Franz, als er von der Gestapo abgeholt wird, die Tür zur Trafik mit den Worten verschließt: „Weil wer weiß schon, was sein wird?“
  • Dann heißt es: „Wir wissen es, und Seethaler weiß das. Aus diesem wechselseitigen Wissen entsteht der böse Zauber dieses Romans.“

Anmerkungen dazu:

  1. Zunächst einmal unterstellt Platthaus den Lesern, dass sie nicht unterscheiden können zwischen der fiktiven Welt des Romans und der wirklichen Geschichte.
  2. Um es ganz klar zu sagen: Das weitere Schicksal von Franz gibt es gar nicht – und es interessiert den Roman bzw. seinen Erzähler auch gar nicht.
  3. Woher soll also hier „der böse Zauber“ kommen?
  4. Im Gegenteil: Es könnte ein überaus gelungenes literarisches Mittel sein, dass Anezka nach sieben Jahren bei der Trafik vorbeikommt und sich zumindest die dortige aktuelle Situation und besonders dann für den Zettel an der Tür interessiert. Zugleich gehört zur Welt des Romans, dass sie – ganz gleich, wie geläutert sie vielleicht ist – diesen Franz niemals mehr wiederfinden wird.
  5. Sie wird also ggf. damit leben müssen, dass sie durch Anpassung – nicht nur an das System, sondern sogar an einen SS-Mann, also einen der Schergen, zwar überlebt hat, aber eben auch kein „Zeichen“ gesetzt hat. Damit hat sie im Sinne dessen, was Sigmund Freud Franz als Devide für gelingendes Leben mitgegeben hat, letztlich versagt. Auch hier gibt es über sie nichts, was über den Roman hinaus geht.
  6. Außerdem sind die Signale der Abholungsszene am Ende des Romans ziemlich eindeutig:
    • „Wir hatten ja schon das Vergnügen“ – Franz ist also für die Gestapo keiner, der aus Versehen was falsch gemacht hat. Er lebte in den Augen des Systems nur noch auf Bewährung.
    • Dann heißt es „Es wird halt Zeit“ – was bedeutet, jetzt ist es vorbei mit dem bisherigen Leben. Das wird später unterstrichen mit den Worten des Obergestapo-Beamten: „Das hat doch keinen Sinn mehr, Burschi!“
    • Ein wichtiges Signal ist die symbolische Szene, bei der an einem Fenster „eine Hand mit einer Schere“ erscheint und „einer Geranie ihren Blütenkopf“ abschneidet. Interessant, dass hier nur eine Hand und kein Mensch zu sehen ist. Ebenso interessant, was mit dem Geranienkopf passiert: „Er plumpste auf das Fensterbrett und fiel von dort auf den Gehsteig hinunter, wo er leuchtend liegen blieb.“ Deutlicher geht es nicht: Hier fällt etwas, aber es leuchtet. Das ist genau die Situation des Zeichen-Trägers Franz.
  7. Damit schließt sich der Kreis für unsere Vermutung, dass eine Aussage des Romans eben darin besteht, dass Anezka im Unterschied zu Franz zwar überlebt, aber nicht leuchtend.
  8. Das wiederum kann verstanden werden als Verneigung des nachgeborenen Robert Seethaler vor all denen, die Widerstand geleistet haben, ohne Hoffnung auf direkten Erfolg, und verdient volle Anerkennung.
  9. Auf jeden Fall sind wir Andreas Platthaus und seiner Rezension sehr dankbar, dass sie uns dazu gebracht hat, sich – ausgehend vom Schicksal des Franz Huchel – noch etwas intensiver mit dem Aussagepotenzial des Romans zu beschäftigen.

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