Speed-Dating mit Gedichten: Annette von Droste-Hülshoff, „Locke und Lied“ – „Unterwegssein“ als Überbrückungshilfe (Mat6140)

Worum es hier geht:

Wir wollen zeigen, wie man ganz schnell – wie beim Speed-Dating mit Partnersuche – Kontakt mit einem Gedicht aufnehmen kann. Das wird begleitet von der Frage: „Ist mein Gegenüber was für mich – oder sollte ich weitersuchen.

Auf jeden Fall lohnt es sich in beiden Fällen – sowohl beim Treffen in einem Restaurant oder auch beim ersten Lesen eines Gedichtes – genauer hinzuschauen. Manchmal trügt der erste Eindruck auch – und man will doch nicht die große Liebe seines Lebens verpassen 😉

Das Gedicht, um das es hier geht – mit Kommentaren:

Das Gedicht ist u.a. hier zu finden.

Annette von Droste-Hülshoff

Locke und Lied.

  1. Meine Lieder sandte ich dir,
  2. Meines Herzens strömende Quellen,
  3. Deine Locke sandtest du mir,
  4. Deines Hauptes ringelnde Wellen;
  5. Hauptes Welle und Herzens Flut,
  6. Sie zogen einander vorüber;
  7. Haben sie nicht im Kusse geruht?
  8. Schoss nicht ein Leuchten darüber?
  • Das Gedicht beginnt mit der reizvollen Vorstellung.
  • Offensichtlich geht es um zwei Menschen, die sich etwas zu sagen haben.
  • Leider sind sie getrennt –
  • Und so schicken sie beide etwas auf die Reise.
  • Das lyrische Ich, das man wohl weitgehend mit der Dichterin hier gleichsetzen kann, schickt ihre Lieder, gemeint sind wohl auch ihre Gedichter an das Gegenüber, einen Menschen, zu dem sie viel Vertrauen haben muss.
  • Und dieser Mensch schickt eine Locke zurück – seine Form der Kommunikation.
  • Dann die Vorstellung: Die beiden Sendungen könnten sich begegnet sein und sich – im übertragenen Sinne sogar geküsst oder zumindest ein wechselseitiges „Leuchten“ in den Augen erzeugt.
  • Zwischenfazit: Das Gedicht fängt gut an – eine schöne Idee.

 

2

  1. Und du klagest: verblichen sei
  2. Die Farbe der wandernden Zeichen;
  3. Scheiden tut weh, mein Liebchen, ei,
  4. Die Scheidenden dürfen erbleichen;
  5. Warst du blass nicht, zitternd und kalt,
  6. Als ich von dir mich gerissen?
  7. Blicke sie an, du Milde, und bald,
  8. Bald werden den Herrn sie nicht missen.
  • Diese Strophe geht dann ins Negative.
  • Auf der anderen Seite die Klage, dass die „wandernden Zeichen“ verblichen sind, also irgendwie nicht mehr aktuell.
  • Dann ist von „Scheiden“ die Rede – und dass es „weh“ tut.
  • Dann ein konkreterer Hinweis: Offensichtlich hat das lyrische Ich sich vom Anderen regelrecht „gerissen“. Offen bleibt, was da genau dahintersteckt.
  • Aber es sieht so aus, als wäre das Gegenüber bei der Trennung nicht nur „zitternd“ gewesen, sondern auch „kalt“.
  • Das sieht nach einer komplizierten Liebesgeschichte aus.
  • Der Schluss ist etwas dunkel, deutet aber ein Sich-Abfinden mit der Situation an.

 

3

  1. Auch deine Locke hat sich gestreckt,
  2. Verdrossen, gleich schlafendem Kinde,
  3. Doch ich hab’ sie mit Küssen geweckt,
  4. Hab’ sie gestreichelt so linde,
  5. Ihr geflüstert von unsrer Treu’,
  6. Sie geschlungen um deine Kränze,
  7. Und nun ringelt sie sich aufs neu,
  8. Wie eine Rebe im Lenze.
  • Dann die Gegenposition des lyrischen Ichs.
  • Ihm ist es gelungen, die „Locke“, das Zeichen der Liebe, wieder in eine frische Form zu bringen.
  • Außerdem ist von „unsrer Treu‘“ die Rede – wobei erst mal unklar ist, ob das Anspruch ist oder noch aktuelle Realität.

4

  1. Wenig Wochen, dann grünet der Stamm,
  2. Hat Sonnenschein sich ergossen,
  3. Und wir sitzen am rieselnden Damm,
  4. Die Hand’ in einander geschlossen,
  5. Schaun in die Welle und schaun in das Aug’
  6. Uns wieder und wieder und lachen,
  7. Und Bekanntschaft mögen dann auch
  8. Die Lock’ und der Liederstrom machen.
  • Die letzte Strophe präsentiert Hoffnung, ausgehend vom Erwachen der Natur.
  • Dazu sogar eine schöne Zukunfts-Fantasie des gemeinsamen Sitzens an einem Teich, See oder Fluss.
  • Am Ende dann der Ringschluss zum Anfang: Auch die Sendboten der Liebe können dann die „Bekanntschaft“ machen, die unterwegs verständlicherweise schwer möglich war.

 

Insgesamt ein Gedicht,

  1. das von einer Beziehung ausgeht, die aktuell durch Entfernung erschwert,
  2. aber durch wechselseitige Sendungen am Leben erhalten wird.
  3. Der letzte Abschied ist schwergefallen,
  4. Aber das lyrische Ich geht davon aus, dass die versprochene Treue gewahrt wird
  5. Und man sich bald schon wiedersehen wird.
  6. Und dann sind sowohl die Kümmernisse des Abschieds und die nur ansatzweise möglichen Begegnungen des Austausch wohl mit der Post vorbei
  7. Und man genießt das Leben in vertrauter Gemeinsamkeit.

Speed-Dating-Ergebnis:

Ein schönes Gedicht, das sich vor allem mit einem originellen Einfall hervortut.

Man kann es leicht auf heutige Zeiten übertragen, wo es noch ganz andere Möglichkeiten gibt, sich auch über große Entfernungen hinweg „treu“ zu bleiben.

Bezug zum Thema „Unterwegssein“

Das Gedicht stammt aus der Zeit des Biedermeier, in dem man sich auf sich selbst und das Vertraute zurückzog.

So wird auch hier keine Leidenschaft auf expressive Weise ausgedrückt,

wohl aber angedeutet.

Sehr schön der Gedanke, dass man gewissermaßen etwas stellvertretend verschicken kann, was die eigenen Gefühle für das Gegenüber deutlich macht.

Das wird dann noch auf originelle Weise durch die Vorstellung verstärkt, dass die Sendungen sich ja unterwegs begegnet sein könnten.

Am Ende werden sie dann auch noch in die schöne Gegenwart der realen Gemeinsamkeit einbezogen.

Weitere Infos, Tipps und Materialien

Zum Thema „Unterwegssein“ – Reisegedichte
https://textaussage.de/reisegedichte-themenseite

Zu Liebesgedichten
https://textaussage.de/sammlung-von-liebesgedichten

Zu weiteren Themen des Deutschunterrichts
https://textaussage.de/weitere-infos