Anstoßtextext, Die gläserne Decke (Mat392)

Worum es hier geht:

Dieser Text soll eine Diskussion anstoßen, ob nicht auch im edlen Bereich der Kunst die Neigung besteht, Nachwuchs eher fernzuhalten. Das gilt leider auch im Bereich der Literatur – und das ist vor allem schade in der Schule. Dort könnte nämlich mit einem intuitiven bis kreativen Umgang mit Texten eine Menge Frust abgebaut und „Lust“ auf schöne Texte erzeugt werden.

Der Text

Anstoßtext: Die gläserne Decke
Es können einem die Tränen kommen, wenn man all die Sprüche hört, mit denen den Leuten klargemacht werden soll: Jeder ist ein Künstler! Natürlich gibt man zu: Einige können mehr als andere. Aber möglichst viele sollten es einfach probieren.
Die Wirklichkeit sieht doch in weiten Teilen anders aus: Es gibt einen Kunstmarkt und tausend Methoden und Techniken, um dort weiterzukommen. In vielen Fällen hat man dann auch den Eindruck wie in Andersens Märchen Des Kaisers neue Kleider, dass es beim Marketing besser geklappt hat als beim Kunst-Werken.
Es gibt also eine Art gläserne Decke über allen Kunstbemühungen, bei denen die Erfolgreichen nicht als höchstes Ziel haben, sich Konkurrenz nachzuziehen.
Für uns ist die Frage, ob das auch für den Bereich der Literatur und hier für die Schule gilt. Das beginnt schon damit, dass Schüler häufig mit dem gequält werden, was die Deutschlehrer in ihrem Germanistikstudium gelernt haben. Auch wenn man sich die Vorgaben der Schulministerien der Länder angeht: Warum muss ein Gedicht nach allen Regeln des Faches analysiert werden, statt den Schülern zu erklären, welche Varianten des Umgangs mit  literarischen Texten es insgesamt gibt, und ihnen ansonsten nicht die Freude an ihnen vergällt ein schönes altes Wort, das mit Gallezusammenhängt.
Also: Natürlich braucht man im Vorfeld der Allgemeinen Hochschulreife eine Einführung in die Analyse dann aber sollte man sich mehr aufs Kreative konzentrieren. Was 100 Jahre alt ist oder mehr, das schreit doch geradezu nach Aktualisierung. Im Theater ist das im Bereich des Bühnengeschehens problemlos möglich, während der Text auf der Bühne noch genauso gesprochen wird, wie er in einem völlig anderen Sprachkontext entstanden ist.
Und damit sind wir beim entscheidenden Punkt: Jeder sollte eigentlich wissen, dass es (zumindest früher war das so) Millionen von Menschen gibt, die irgendwas Geschriebenes in der Schublade haben. Wenn es etwas Ernsthaftes ist, bleibt es dort auch wie in einem Safe. Höchstens ein lustiges Gedicht zur Hochzeit oder zu einem runden Geburtstag, das kann man vortragen, ohne mit sehr fremden Wertmaßstäben konfrontiert zu werden.
Also dann: Luft in den Deutschunterricht der Schule Lust am Spiel mit Sprache und gerne auch mal die eine oder andere Laune. Warum nicht auch dichten, wie einem der Schnabel gewachsen ist, es rauslassen, was in einem brodelt. Anschließend kann man nur noch hoffen, dass es erfahrene, feinfühlige, aber auch wohlwollende Mitmenschen gibt, die Fragen stellen und Vorschläge machen.
Also sollte der Deutschunterricht mehr zur Schreibwerkstatt werden und keine Sorge: Die Fähigkeit zur Analyse wird dabei nicht ausgeblendet. Denn jeder, der spürt oder gesagt bekommt, dass da eine Wendung oder ein Textabschnitt noch nicht so ganz die Zuhörer oder Leser beglückt, der muss ja erst erkennen, was da noch etwas schief ist und kann dann von der Diagnose zu einer Therapie übergehen. Die bringt dann nicht nur Heilung mit sich, sondern eben auch das Gefühl des Glücks, das mit jedem Kunstwerk verbunden ist. Vor allem dann, wenn es als etwas Rundesvor den staunenden Augen der Betrachter liegt.
Gehen wir also weiter davon aus, dass in jedem Menschen ein Künstler steckt. Natürlich muss er das finden, was zu ihm passt. Vor allem braucht er aber genügend Löcher in der Decke zwischen dem Laien und dem Profi. Denn jeder hat mal klein angefangen schade nur, wenn irgendetwas unnötig oder gar aus eigennützigen Motiven am Wachsen gehindert wird.
Nachwort des Verfassers: Dann verzichten wir mal auch hier auf Aufgaben und hoffen auf die Kreativität der Leser. Denen wird hierzu schon was einfallen und über das Kontaktformular kann man das auch voller Zorn, Sorge oder auch Begeisterung an uns loswerden.
www.schnell-durchblicken.de/kontakt/

Druckvorlage

Mat392 Anstoßtext – Die gläserne Decke

Siehe auch die kreative Variante:

Manuel Schormack, „Die gläserne Decke“
https://textaussage.de/manuel-schormack-decke