Bertolt Brecht, „Vom Glück des Gebens“ – oder die Frage: Ist dieses Gedicht ernst gemeint? (Mat5198)

Worum es hier geht:

Bertolt Brechts Gedicht „Vom Glück des Gebens“ ist ein besonders krasses Beispiel für die Notwendigkeit, Aussagen des Gedichtes auf den Prüfstand zu stellen. Das erstreckt sich hier sogar bis hin zur Gesamtaussage und damit auch der Interpretation.

Zu finden ist das Gedicht z.B.  hier.

Abgedruckt ist es auch in
Die Gedichte von Brecht in einem Band, Suhrkamp 1981, s. 1968

Anmerkungen zu Strophe 1

    • Insgesamt Präsentation einer angeblichen Lebensweisheit
    • Als höchstes Glück wird angesehen, dass man
    • denen, „die es schwerer haben“
    • „beschwingt“ und mit „frohen Händen“
    • „die schönen Gaben“
    • Das klingt insgesamt sehr edel und dürfte in der Praxis auf viele Probleme stoßen. Die sollte man hier schon im Auge behalten:
      • Menschen werden als „höchstes Glück“ wohl auch andere Dinge wichtig finden, etwa die Sorge für die eigene Familie,
      • statt offensichtlich ziemlich viel an „schönen Gaben“ regelrecht „auszustreun“.
      • Insgesamt hat man den Eindruck, dass hier ein sehr unrealistisches Bild gezeichnet wird, was schnell in die Nähe eines selbstzerstörerischen Helfer-Syndroms kommen kann.
      • Anmerkung: Ein sehr schönes Beispiel für die Möglichkeiten der Analyse und Interpretation, wenn man allgemeine Thesen mal auf Praxistauglichkeit prüft – d.h. mit den möglichen Problemen in der Realität anschaulich konfrontiert.

Anmerkungen zu Strophe 2

  • Die zweite Strophe wiederholt die gleiche These noch mal in neuen Bildern.
  • Mögliche Probleme werden auch hier nicht angesprochen.

Anmerkungen zu Strophe 3

  • Die letzte Strophe scheint dann noch mal in die gleiche Richtung zu gehen.
  • Allerdings wird jetzt das Abgehobene noch stärker durch die Wiederholung des „allen“.
  • In den letzten Zeilen wird die Formulierung so drastisch verallgemeinert, dass man den Eindruck hat, dass hier im Missionarston Unmögliches verlangt wird
  • Oder aber das Gedicht gerade in der realitätsfernen Moralisier-Freudigkeit auf Probleme beim Helfen aufmerksam machen will, auf die der Leser allerdings selbst kommen muss.

Anmerkungen von Fachleuten

In dem genannten Sammelband
Die Gedichte von Brecht in einem Band, Suhrkamp 1981, wird auf der S. 1297 vermerkt, dass dieses Gedicht für die Oper „Persische Legende“ von Rudolf Wagner-Regeny und Caspar Neher verwendet wurde.

Das schafft natürlich einen ganz eigenen Kontext, der mit dem Wort „Legende“ schon mal andeutet, dass es sich hier um eine besondere Vorstellung von Realität handelt.

Dieses Gedicht und die biografische Realität des Dichters

Wer sich ein bisschen mit der Biografie Brechts auskennt, ist sicher auf Infos gestoßen, die eher das Gegenteil dieser Gedichtsaussage zeigen.

Auf der Seite

https://www.tagblatt.ch/kultur/bertolt-brecht-genie-und-egoist-ld.1104779

wird sogar im Titel einer Rezension zu einem Dokudrama zum Dichter darauf verwiesen, dass Brecht „Genie und Egoist“ gewesen sei.

Dies nur als Anregung für weitere Recherchen.

Weitere Infos, Tipps und Materialien