Worum es hier geht:
Das Gedicht „Sonett in der Emigration“ von Bertolt Brecht zeigt, wie es jemandem geht, der seine Heimat verlassen musste und in der neuen nicht vorbehaltlos aufgenommen wird.
Damit ergeben sich viele Parallelen zur Situation von Menschen, die heute Asyl suchen, aber deshalb noch nicht sofort auch eine Heimat finden.
Das Gedicht ist u.a. hier zu finden.
Anmerkungen zum Titel
Die Überschrift des Gedichtes verbindet zwei Welten – zum einen die der Kunst und dann die der Emigranten.
Anmerkungen zu Strophe 1
- Im Mittelpunkt steht die Situation im Exil.
- Dabei wird schnell deutlich, dass es um verkaufen geht, d.h. die Sicherung des Lebensunterhalts. Und man kann wohl davon ausgehen, dass Brecht hier an den Verkauf von Gedanken denkt und sich dabei auf seine literarische Produktion bezieht.
- Die Schlusszeile ist nicht ganz klar, weil sie zu wenig deutlich macht, was denn in der Produktion im Exil anders ist als zu Hause. Hier gibt es ja das Problem der Sprache, das Problem der Leser, wenn man zum Beispiel an das Verbot von Büchern denkt in der alten Heimat. Das bleibt hier alles erst mal offen.
- Es wäre vielleicht besser gewesen, wenn Brecht an der Stelle davon gesprochen hätte, dass die alten Wege neu gegangen werden müssen. Noch besser wäre vielleicht gewesen, wenn man nach neuen Wegen zu alten Zielen gesucht hätte.
Anmerkungen zu Strophe 2
- Der Beginn der zweiten Strophe bezieht sich wohl noch einmal auf die Weg-Situation. Das lyrische Ich stellt fest, dass es gewissermaßen ausgetreten, aber eben auch glatt geschliffen, d.h. gut und bequem gewordene Wege gibt. Neu ist aber der Tritt. Und hier geht Brecht sogar soweit, von „Hoffnungslosen“ zu sprechen. Damit bezeichnet er den untersten Gefühlsrand von Menschen, die in ein anderes Land fliehen mussten.
- Er macht dann deutlich, dass er zwar schon geht, aber das Ziel noch nicht klar ist.
- Der Schluss des Gedichtes bezieht sich dann auf den Bereich der Lebenswelt des Migranten, in dem die Fremdheitssituation besonders deutlich wird. Es geht nämlich um den Namen und der ist in der Regel mit der alten Sprache verknüpft. Und er muss hier sogar buchstabiert werden, d.h. in seine Bestandteile zerlegt werden, er verliert damit den gewohnten Klang.
- Die Strophe endet mit der etwas resignieren Feststellung, dass dieser Name zwar durchaus sich auf etwas Großes bezieht, dieses aber im Land des Exils nicht gleich dieselbe Bedeutung hat und damit auch nicht den gleichen Wert.
Anmerkungen zu Strophe 3
- Die nächste Strophe macht deutlich, dass der alte Name möglicherweise sogar zu einem Problem im neuen Land sein kann.
- Es liegt nahe hier von einem bestimmten Image, man könnte auch sagen: Vorurteil, auszugehen. Im Falle von Brecht war es eben die Verbindung mit dem Kommunismus und der war ja der Todfeind der Herrschenden in Deutschland und wurde auch im kapitalistischen Amerika von vielen kritisch gesehen.
- Der Schluss des Gedichtes macht dann eben mit dem Begriff „Steckbrief“ auch deutlich, dass man eben keinen Namen hat, der nicht mit irgendwelchen Urteilen oder besser: Vorurteilen verbunden ist.
- Etwas ironisch wird dann erwartet, dass man im neuen Land nicht gerade scharf auf das ist, was er anzubieten hat.
Anmerkungen zu Strophe 4
- Diese letzte Strophe macht noch einmal die Sorgen des lyrischen Ichs deutlich. Es ist natürlich immer wieder mit den gleichen Vorbehalten konfrontiert und die können sich dabei auch gewissermaßen anhäufen.
- Die Schlusszeile macht dann sichtbar, dass auch das lyrische Ich gewisse Vorbehalte hat gegenüber dem Land und seiner Kultur. Deutlich wird dabei sein Gefühl, von unten nach oben etwas anbieten zu müssen.
Zusammenfassung
- Insgesamt geht es in diesem Gedicht also weniger um die Auseinandersetzung von Emigranten mit ihrer Fluchtsituation und dem, was dazu geführt hat. Vielmehr geht es eher um Probleme mit dem Ort, der Kultur und den Menschen, die sie zwar aufnehmen, aber auch mit Vorbehalten behandeln. Deutlich wird durch die beiden Gedichte, in welcher Zwischen-Situation die Emigranten damals waren. Damit sind sie natürlich auch besonders interessant, um die Situation und Probleme heute Geflüchteter zu verstehen.
Zur Sonett-Eigenschaft des Gedichtes
Beim Sonett handelt es sich um eine Gedichtform mit vier Strophen, die allerdings eine Besonderheit hat:
- Zwei Quartette – mit jeweils vier Verszeilen
- Zwei Terzette – mit jeweils drei Verszeilen.
- Häufig enthalten die Quartette eine Situationsbeschreibung
- und die Terzette ziehen darauf die Konsequenz.
Wenn man das auf Brechts Gedicht anwendet, kann man Folgendes feststellen:
- Die Strophenform ist natürlich erfüllt.
- Die beiden Quartette zeigen auch verschiedene Aspekte der Situation eines Emigranten auf.
- Die Terzette beschreiben dann die Konsequenz – besonders im Hinblick auf die „Dienste“, die dieser Emigrant im neuen Land anbieten kann.
- Zum Versmaß:
- Strophe 1: Jambus mit unterschiedlicher Zahl von Hebungen: 5,7,5,5
- Strophe 2: 6, 5, dann weiter regelmäßig, wenn man am Ende „name“ englisch als einsilbig versteht.
- Strophe 3: normaler fünfhebiger Jambus
- Strophe 4: normaler fünfhebiger Jambus
- Insgesamt interessant, wie jemand die Brecht, der im epischen Theater vor allem die Zuschauer aus ihrer „Besoffenheit“ an schöner Kunst herauslösen wollte, bei diesem Sonett ganz in der Tradition bleibt.
Daraus könnte sich die reizvolle Aufgabe ergeben, hier an der richtigen Stelle eine Rhythmusstörung einzubauen – die vielleicht sogar durch eine inhaltliche Veränderung oder Erweiterung unterstützt wird. Wie wäre es mit einer einzelnen Schlusszeile nach dem letzten Terzett?
Ein anderes Gedicht von Brecht zu diesem Thema:
Brecht, „Über die Bezeichnung Emigranten“
https://textaussage.de/brecht-ueber-die-bezeichnung-emigranten
Weitere Infos, Tipps und Materialien
https://textaussage.de/weitere-infos