Die Kurzgeschichten und ihre Nachbarn – Ausflüge zu anderen Arten oder auch Orten des Erzählens (Mat4633)

Die Kurzgeschichten und ihre Nachbarn – Ausflüge zu anderen Arten oder auch Orten des Erzählens

Wer die besten Kurzgeschichten zusammenstellen möchte, muss zwei Dinge klären:

Erst mal, was Kurzgeschichten überhaupt sind – und das merkt man am besten, wenn man sich ihre „Nachbarn“ im Reich des Erzählens anschaut.

Dann muss er natürlich auch sagen, was denn nötig ist, damit eine Kurzgeschichte zu den besten gehört – und das wollen wir hier jetzt mal tun.

Ein bisschen Ordnung sollte schon sein – werden wir also zu Fachleuten des Erzählens

Wer Ahnung hat, der kann unterscheiden und einteilen
Wer auch immer sich in einem Bereich auskennt, weiß, dass das damit beginnt, dass man erst mal die Unterschiede kennenlernt – zusammen mit den richtigen Begriffen. Das ist bei den Spielsystemen im Fußball genauso wie in Musikrichtungen, bei Kochrezepten oder bei der Suche nach dem richtigen Hund für die Familie.

In der Literatur gibt es „Gattungen“
In der Literatur, also der Welt der ausgedachten Texte, spricht man von „Gattungen“. Da gibt es einmal die drei Hauptgattungen. Wenn man etwas in „Versform“ bringt, wobei man sich genau überlegt, wo man jede Zeile enden lässt, dann hat man ein „Gedicht“. Wenn man Leute auf die Bühne stellt und sie reden dort miteinander – und manchmal, aber meistens ziemlich wenig, tun sie auch was, dann hat man ein „Drama“ – auch wenn es überhaupt nicht Mord und Totschlag gibt. Diese beiden Arten von Literatur gab es schon seit den alten Griechen.

Die Urahnen des Erzählens – die Epen:
Daneben gab es die sogenannten „Epen“, das waren auch Gedichte, aber ziemlich lange, in denen viel erzählt wurde. Man spricht auch von Versepen, weil die einzelnen Zeilen eben immer auf besondere Art und Weise aufgebaut sind. Am berühmtesten ist die Geschichte vom Trojanischen Krieg und seinen Folgen- in der germanischen Welt kam später zum Beispiel das Nibelungenlied dazu – und da gab es dann wirklich Mord und Totschlag.

Immer noch lang und verwickelt – aber ohne Versform: Die Romane
Aus diesen Versepen sind später die Romane entstanden – da konnte man lang und breit erzählen (man spricht heute noch von epischer Breite, wenn jemand weit ausholt) – man musste aber nicht mehr auf eine besondere Zeilenform aufpassen. Darum werden heute auch viele Romane geschrieben – weil es zumindest von der Form her leicht ist.

Die Familie der „Kürzer-als-ein-Roman-erzählten-Texte“

Neben diesen in der Regel recht umfangreichen Romanen – mit vielen Personen, Orten und Handlungssträngen – gibt es auch einige Kurztext-Varianten, zu denen eben auch die Kurzgeschichte gehört.
Wenn einfach nur erzählt wird – ohne auf irgendwelche Vorgaben Rücksicht zu nehmen und ohne am Ende doch zu einem Roman ausgedehnt zu werden, dann hat man eben eine „Erzählung“ – das passt immer. Aber es gibt eben auch Sonderformen – und zu denen kommen wir jetzt.

1. Die Kurzgeschichte – der Ausriss aus dem Leben
Beginnen wir also mit ihr: Die Kennzeichen sind, dass sie mehr oder weniger kurz ist, auf jeden Fall sich auf einen besonderen Moment im Leben einer oder auch mehrerer Figuren konzentriert. Das wird dann wie ein „Ausriss“ präsentiert. Die Geschichte steigt direkt ins Geschehen ein und blickt nur zurück, soweit das für das Verständnis nötig ist. Außerdem enden Kurzgeschichten meistens offen und regen damit zum Nachdenken an.
Eine Kurzgeschichte, für die das zum Beispiel in besonderer Weise gilt, ist „Das Brot“ von Wolfgang Borchert.

2. Die Anekdote – historisch treffend, aber ausgedacht

Recht kurz sind auch Anekdoten. Dabei handelt es sich um kleine Geschichten, die nicht unbedingt stimmen müssen, aber sehr treffend eine mehr oder weniger bekannte Figur charakterisieren. Berühmt ist zum Beispiel die „Anekdote aus dem letzten preußischen Krieg“, in dem es um einen außergewöhnlich „coolen“ (würde man heute sagen) Soldaten geht, dessen (aus heutiger Sicht „vermeintliche“) Heldentat gerne weitererzählt.

4. Die Novelle – ein erzähltes Drama mit einem Dingsymbol

Sehr viel länger sind in der Regel Novellen. Das Besondere an ihnen ist, dass es sich um ein besonderes Ereignis handeln soll, bei dem es ziemlich dramatisch zugeht. Ein berühmtes Beispiel ist „Michael Kohlhaas“, die Geschichte eines Pferdehändlers, dem zu Unrecht an einer künstlich angelegten Zollgrenze die Tiere ausgespannt und dann fast „kaputtgearbeitet“ werden. Als er kein Recht bekommt, nimmt er es sich selbst – mit immer schlimmeren Folgen. Er wird schließlich zu einer Art Terrorist, der mit seinen Anhängern ganze Städte bedroht. Am Ende wird er hingerichtet, bekommt aber seine Pferde in sehr ordentlichem Zustand wieder. Sie sind also „das Ding“, das „symbolisch“ deutlich macht, wie hier aus Recht Unrecht und dann wieder Recht wird.

3. Die Parabel – eine Geschichte, mit der man „hinten rum“ was erreichen will:

  1. Auch Parabeln sind ziemlich kurz – sie sind so etwas Ähnliches wie Fabeln, allerdings nicht auf Tiere konzentriert, dafür aber mehr oder weniger auf eine reale Situation. Es handelt sich um „Gleichniserzählungen“.
    1. Präsentiert wird als „Bild-Teil“ eine „Gleichnis“-Geschichte, die
    2. auf einen „Gemeinsamen Punkt“ hinsteuert. Das ist eine Art Moral,
    3. die dann auf einene „Sach-„Teil übertragen werden soll.

    4. Von Kurzgeschichten entscheiden sie sich durch ihre Beispiel- oder Demo-Eigenart.
      Das bedeutet gleichzeitig eine gewisse Entfernung von der Alltagsrealität.
      Ein schönes Beispiel ist die Geschichte „Land der langen Löffel“
      https://textaussage.de/schnell-durchblicken-bei-der-geschichte-land-der-langen-loeffel-von-jorge-bucay
  2. Berühmt ist die sogenannte „Ring-Parabel“, die der Dichter Lessing seinen Dramenhelden Nathan (den Weisen) erzählen lässt.
    1. Der Mann hat nämlich ein Problem: Der (muslimische) Sultan fragt ihn, den Juden, der auch viel mit Christen zu tun hat, welche Religion denn nun die wahre sei.
    2. Statt einer klaren Antwort gibt es eine wunderschöne Geschichte. Da geht es um einen Vater, der einen Ring weiter vererben möchte, der bei Menschen beliebt macht.
    3. Nun hat er drei Söhne und kann sich nicht entscheiden, also lässt er zwei weitere machen und gibt jedem einen.
    4. Nach seinem Tod kommt es zum Streit – und der kluge Richter sagt: Lasst die Ringe doch einfach wirken, dann wird sich schon zeigen, wer der richtige ist.
    5. Der Sultan erkennt genauso wie der Leser, dass es also mehr um die gute Wirkung als um die Wahrheit und dann möglichen Streit geht.

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