Domin „Rückkehr der Schiffe“ – Wie ein Interpretationsservice beim Verständnis eines schwierigen Gedichtes helfen kann ;-)(Mat6012)

Worum es hier geht

Wir freuen uns, wenn jemand uns ein Gedicht liefert, das er nicht versteht oder zu dem er Fragen hat.

Hier läuft nämlich eine Langzeitwette, ob es stimmt, dass wir alle Gedichte „knacken“ können.

Eine Hilfe ist dabei eine ganz einfache Methode, die auf folgendem Wege bisher zum Erfolg führte.

  1. Klärung dessen, was im Gedicht steht, ggf. Wörter nachfragen oder nachschlagen.
  2. Beschreibung dessen, was das lyrische Ich präsentiert: Es beschreibt, es behauptet, es bedauert usw. Dabei auf Leserlenkung achten: Wohin führt das Lyrische Ich den Leser?
  3. Versuch der Klärung von unklaren Stellen – die sind ganz normal. Verständnislücken dürfen vom Leser gefüllt werden – aber erst, nachdem er das ernst genommen hat, was das lyrische Ich einem mitteilt.
  4. Herausarbeiten von Signalen, also Textstellen, die eine größere Bedeutung zu haben scheinen.
  5. Versuch einer Bündelung dieser Signale zu Aussagen des Gedichtes

Wir präsentieren hier mal das, was bei diesem Service herausgekommen ist.

Aus Gründen des Urheberrechts präsentieren wir nur unser Verständnis.

Das Gedicht selbst haben wir z.B. hier gefunden:
https://www.sbfi.admin.ch/dam/sbfi/de/dokumente/2022/03/domin-gedichte.pdf.download.pdf/gedichte-auswahl-domin.pdf

Wer unseren Service selbst mal nutzen will, findet unten einen Link.

Überschrift

  • Die Überschrift beschreibt nur, dass Schiffe zurückkehren.
  • Man erwartet als Leser, dass sie etwas mitbringen – an Ladung oder auch als Erfahrung.

Strophe 1

  • Anrede an ein Du
  • Feststellung, Vorwurf? Dieses Du habe alles „fortgehen lassen“, „was dir gehörte“
    Leserlenkung -> Verständnis-Hypothesen:

    • Bewusster Verzicht auf Eigentum?
    • Oder einfach nur Fatalismus: Man lässt alles geschehen, ohne sich drum zu kümmern
  • Dann Präzisierung: „Auch die Erwartung“
    • Leserlenkung -> Verständnis-Hypothese: Es könnte sich um Liebe zwischen dem Du und dem lyrischen Ich handeln.
  • Bild des Schiffs für den Abschied
  • Hinweis „aus deiner Bucht“ = auch die gehört also dem Du
    • Leserlenkung -> Verständnis-Hypothese: Wenn es sich um Liebe handelt, könnte das bedeuten, dass dieses Du die Entscheidungsgewalt über all das hatte, worum es hier geht
    • Auch die Liebe? Wenn denn diese Hypothese stimmt

Strophe 2

  • Erweiterung der Feststellungen/Vorwürfe?
    • Das Du verliert auch sein „Gesicht“ als Zentrum der sichtbaren Individualität
  • Beschreibung der Situation des Du:
    • Körperfunktionen funktionieren noch
    • Aber nicht mehr die Wahrnehmungen
    • Gefühle bleiben körperlich, dringen nicht nach innen
  • Leserlenkung -> Verständnis-Hypothese:
    • Fraglich, ob es sich um Liebe handelt,
    • Eher um die Selbstaufgabe, das Vergehen, das Sterben des Du

 

Strophe 3

  • Wechsel von der Beschreibung
  • Hin zu einer eigenen Erwartung des lyrischen Ichs
  • Aus dem Sterben wird ein Schlafen und
  • Die Erwartung des Wiederkommens, der Wiederherstellung
  • Dann die Einschränkung
    • Dass es nicht um eine Wiederkehr der alten Situation geht,
    • Sondern um etwas Neues, aber eben doch Lebendiges

 

Strophe 4

  • Erweiterung auf das Schiff
  • Und die, die dem Du gehören
    • Leserlenkung -> Verständnis-Hypothese:
      Offensichtlich geht es nicht um den die Wegfahrt mit einem beliebigen Schiff, sondern um ein allgemeines Phänomen
    • Eher unwahrscheinlich, dass das Du ein Reeder mit vielen Schiffen ist.
    • Also sind die Schiffe wohl symbolisch zu verstehen. Vielleicht stehen sie für die Veränderungen eines Menschen. Bei denen gibt es aus Sicht des LI solche, die das Du ihm näherbringen und andere, die es von ihm entfernen.
    • Vielleicht geht es doch um eine Art von Liebe, die sich aber hier auf das Wesen, die Situation, die Probleme des Du konzentriert, sie aber nur andeutet.

 

Strophe 5

  • Hier könnte es sich um einen Wunsch handeln
    • Zunächst wohl des Du
    • Vielleicht auch des LI
  • Sehnsucht nach „Weite und Licht“
    • Bleibt sehr allgemein, muss wohl verstanden werden von den Gegenteilen her, dann merkt man das Positive, das hier gewünscht wird.
  • Dann geht es um „Versöhnung“ und war im Hinblick auf „alles“. Das sieht sehr umfassend aus. Da scheint es aktuell ein allgemeines Unheil zu geben, das geheilt werden soll.
  • Am Ende dann die Beschreibung einer Situation, in der es zur Versöhnung kommen kann.
  • Aufgenommen wird bei „Einfahrt“ wieder die Welt der Schiffe, die wohl gleichzusetzen sind mit dem Du.
  • Das Du hat dann eine große Wunde, ohne Ränder, also möglicherweise beherrschbar
  • Erstaunlich dann, dass diese Wunde gefüllt ist „mit süßem Wasser“.

 

Zusammenfassung Auswertung und Deutung

Insgesamt ein Gedicht,

  1. Das sehr stark in eigenen Vorstellungen und Bildern bleibt
  2. Und es damit dem Leser schwer macht, eine klare Aussagen des Gedichtes zu erkennen.
  3. Damit gehört dieses Gedicht zu den eher „hermetischen“, die sich einem schnellen Verständnis verschließen.
  4. Das ist in der Schule immer ärgerlich, weil Schülis darauf gedrillt sind, eine lösbare Aufgabe zu bekommen.
  5. Hier allerdings handelt es sich eben um Kunst – und die entsteht ja voll und ganz erst „im Auge des Betrachters“.
  6. Also wäre es wichtig, dass Schülis nach Feststellung dieser Interpretationssituation auch wissen, dass sie jetzt etwas hineinlegen dürfen, damit das Gedicht zumindest für sie eine einigermaßen klare Aussage bekommt.
  7. Denn jeder Mensch möchte eigentlich Klarheit – nur wenige können mit der sogenannten „Ambiguitätstoleranz“ leben, also Dinge einfach so lassen, wie sie sind.
  8. Wichtig ist nur, dass das eigene Verständnis, der Sinn, den man ins Gedicht hineinlegt, möglichst auch „sozialverträglich“ ist, d.h. anderen etwas bringt – im Idealfall ein gemeinsames Verständnis.

 

Versuch einer individuellen, aber möglichst „sozialverträglichen“ Sinngebung = Deutung

  1. Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass hier nur vom Du die Rede ist und nicht vom Ich.
  2. Deshalb die Deutungshypothese:
    Das lyrische Ich spricht sich selbst an.
  3. Es hat auf alles verzichtet, auch auf jede Art von Erwartung.
  4. Das lyrische Ich vergisst sich selbst, kann sich noch bewegen, kann auch noch weinen, merkt es aber nicht einmal.
  5. Dann plötzlich eine Art Selbst-Erweckung, Rückkehr der Erwartung, aber Bereitschaft, auch eine neue Lebenswirklichkeit anzunehmen.
  6. Dann die Erweiterung von dem einen Schiff in mehrere, was dazu passt.
  7. Ansätze für Beruhigung („sanft“)
  8. Und als Symbol für neues Leben die Bäume.
  9. Hoffnung auf „Weite und Licht“, neue, bessere Lebensmöglichkeiten
  10. Vor allem auch Hoffnung auf Versöhnung und ein Schließen der Wunde, die mit einem „süssen Wasser“ gefüllt ist, also sich anders als nur negativ präsentiert.
  11. Erweiterung der Deutung/Sinngebung mit noch mehr Spekulation:
    Man könnte prüfen, inwieweit die Signale des Gedichtes passen zu einer menschlichen Verlustsituation wie dem Tod einer geliebten Person.

 

Weitere Infos, Tipps und Materialien