„Trümmerliteratur“ am Beispiel von Jüngers Gedicht „Im Grase“ und Eichs Gedicht „Inventur“
Am Beispiel eines Gedichtes von Friedrich Georg Jünger („Im Grase“, 1952) und eines Gedichtes von Günter Eich („Inventur“, 1948) werden Varianten des literarischen Umgangs mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der NS-Herrschaft deutlich.
Zu den Texten der Gedichte:
Aus urheberrechtlichen Gründen können wir die beiden Gedichte hier nicht abdrucken. Wir gehen davon aus, dass sie vorliegen.
Ggf. sind sie zum Beispiel auch hier zu finden.
Induktive oder deduktive Herangehensweise
Es gibt zwei grundsätzliche Möglichkeiten, mit Literatur umzugehen
Wählt man den induktiven Weg, dann schaut man sich erst die Texte an – und lässt sich dann erst von der Wissenschaft über Dinge aufklären, auf die man nicht selbst gekommen ist.
Wir ziehen diesen Weg immer vor, weil er besser vor Vorurteilen schützt.
Geht man nämlich deduktiv vor, dann hat man vorher eine Meinung, die man dann nur noch nachzuweisen versucht.
Dazu kommt, dass gerade Schüler größere Spielräume haben, wenn sie nicht alles gleich wissen müssen, sondern sich erst mal heranarbeiten können.
Eigener Eindruck im Hinblick auf die beiden Gedichte:
Eich, Inventur:
- Das Gedicht enthält eine Art Bestandsaufnahme, die sich auf Lebensnotwendiges bezieht. Von Luxus keine Rede.
- Wenn man weiß, wann das Gedicht entstanden ist, kann man Beziehungen herstellen – nämlich auf die unmittelbare Nachkriegszeit, bei der viele Menschen tatsächlich schauen mussten, was sie überhaupt noch zum Leben besaßen.
- Deutlich wird, dass das bisschen Besitz kostbar ist („Namen geritzt“, „niemand verrate“) und dass das lyrische Ich nicht mal ein Dach über dem Kopf hat.
- Dass das Gedicht autobiografische Züge enthalten kann, zeigt sich an der 6. Strophe, denn dort merkt man, dass dem Lyrischen Ich das Schreiben wichtig ist.
- Am Ende aber bleibt der Eindruck der kargen Situation, in der es wohl nur um Überleben geht.
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Auf der folgenden Seite sind wir noch genauer auf dieses Gedicht eingegangen:
https://textaussage.de/guenter-eich-inventur-nachdenken-ueber-das-wesentliche
Jünger, Im Grase
- Schon der Titel setzt einen anderen Akzent, es geht nicht um „Inventur“, sondern um eine schon fast idyllische Situation „im Grase“. Da hat jemand anscheinend Zeit und Muße für Ausruhen und Nichtstun.
- Wichtig ist, dass dabei alles vergessen werden kann, die Natur eine beruhigende Wirkung auf das Lyrische Ich hat.
- Es fällt auf, dass dieses Gedicht eher allgemeine Lebensweisheiten von sich gibt, während das Gedicht von Eich sehr subjektiv, individuell auf eine Person bezogen ist.
- Diese Graswelt ist nicht nur eines des Ausruhens, sondern auch eine himmlischer Geborgenheit („In der Himmlischen Schoß“).
- Außerdem wird man „Weise“, d.h. gewinnt einen übergeordneten Standpunkt.
- Am Ende hat das Lyrische Ich sich fast in einen Rausch hineingesteigert: „Wird die Welt Tanz, wird Gesang.“
Vergleich
- Das Gedicht „Inventur“ ist sachlich, fast buchhalterisch, vor allem Vorsicht ist angesagt und ein bisschen Ausweg in Richtung Schreiben, Literatur.
- „Im Grase“ dagegen findet sich eine idyllische Welt, in der man sich ausklinkt aus der Wirklichkeit, sich einer vermeintlich höheren hingibt. Insgesamt wirkt das Gedicht sehr künstlich, gewollt, fast ein bisschen wie schöne Werbung. Wer jemals im Gras gelegen hat, hat bald auch unangenehme Erfahrungen gemacht – davon ist hier keine Rede.
- Man kann das Gedicht verstehen als Flucht aus der Wirklichkeit heraus mit sogar ein bisschen Autosuggestion, wenn man sich am Ende in Tanz und Gesang hineinfühlt.
Literaturgeschichtlicher Hintergrund:
Kommen wir jetzt zu dem, was die Wissenschaft an Hintergrund und Erklärung liefert.
- Die beiden Gedichte werden meistens stellvertretend für zwei Varianten des Umgangs mit der Wirklichkeit nach dem Zweiten Weltkrieg eingesetzt.
- Eichs Gedicht steht dabei für die sogenannte „Trümmerliteratur“, in der die Menschen erst mal wieder zu Verstand kommen und ihre Lage checken mussten – mit nur wenig Möglichkeiten, noch Freude am Leben zu fühlen.
- Jüngers Gedicht steht für die sogenannte „naturmagische Lyrik“: Hier flieht man aus der Wirklichkeit in eine vermeintlich bessere Welt des einfachen Lebens und der einfachen Naturerfahrung hinein, die man sich „schön fühlt“ und in der man glaubt, sich auch wieder in größeren Zusammenhängen sehen zu können.
Weitere Infos, Tipps und Materialien
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