Erich Kästner, „Ganz vergebliches Gelächter“ – ein Gedicht der neuen Sachlichkeit? (Mat5200)

Worum es hier geht:

Erläutert wird das Gedicht „Ganz vergebliches Gelächter“ von Erich Kästner. Dazu kommt der Versuch, die Zugehörigkeit zur Epoche der Neuen Sachlichkeit zu klären.

Zu finden ist es z.B. hier.

Anmerkungen zu Strophe 1

  • Die erste Strophe
    • beginnt mit der plötzlichen Einsicht eines Menschen, dass er schon seit langem nicht mehr gelacht hat.
    • Es folgt die Beschreibung der Konsequenz, die er daraus zieht.
    • Die wirkt sehr rational und geht davon aus, dass man so etwas selbst an seinem Lebenslauf prüfen kann.

Anmerkungen zu Strophe 2

  • Die zweite Strophe
    • präsentiert dann das Ergebnis seiner Untersuchungen.
    • Als erster Grund wird etwas rätselhaft, genannt, dass er manchmal alles für Sünde gehalten hat.
    • Das sieht nach einer puritanischen Selbstbeschränkung aus und erinnert daran, dass es im Mittelalter wohl den Mönchen zum Beispiel verboten war zu lachen, wie es der Roman und der Film „Der Name der Rose“ zeigt.
      Dazu die Wikipedia vom 28.4.23, 10:59
      https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Name_der_Rose
      „Die Spur führt William und Adson in die als nahezu unzugängliches Labyrinth angelegte Klosterbibliothek zu dem blinden Bibliothekar Jorge von Burgos. Dieser greise Mönch hütet dort einen besonderen Schatz, nämlich das womöglich einzige erhaltene Exemplar des „Zweiten Buches der Poetik“ des Aristoteles, in dem – nach der Tragödie im ersten Teil – die Komödie behandelt wird. Jorge hält die in diesem Buch vertretene positive Einstellung zur Freude und zum Lachen für derart gefährlich, dass er es mit einem Gift versehen hat und es lieber vernichten würde, als es in fremde Hände fallen zu lassen.
    • Der zweite Grund, der genannt wird, geht auch in den religiösen Bereich. Es geht um das Fluchen und das ist in streng christlichen Kreisen ja auch verpönt.
    • Das dritte Ergebnis verlässt diesen religiösen Bereich und sieht den Hintergrund darin, dass für alles Gründe gesucht wurden. Das sieht genau nach der Rationalität aus, mit der er jetzt versucht, das Problem des Lachverlustes zu lösen.
    • Das Beispiel mit den Kragenknöpfen könnte deutlich machen, dass hier sehr pingelig, kleinkariert vorgegangen worden ist.

Anmerkungen zu Strophe 3

  • Die dritte Strophe
    • zeigt dann die nächste Stufe der Konsequenz.
    • Es wird nicht weiter nach Gründen gesucht, sondern das Gegenteil probiert: „lustig sein und lachen“
    • Es folgt der Versuch, an frühere Fähigkeiten anzuknüpfen, indem er das Lachen einfach bewusst ausprobiert.

Anmerkungen zu Strophe 4

  • Die vierte Strophe
    • macht ein deutlich, dass das nicht funktioniert, denn heraus kommt nur ein „schreckliches Gelächter“.
    • Es wird erkannt, dass dieses Lachen wohl nicht echt gewesen ist.
    • Auch hier wieder die rationale Reaktion und Feststellung, dass man nicht „weiß“, wie das sein konnte.

Anmerkungen zu Strophe 5

  • In der fünften Strophe
    • kommt dieser Mann endlich auf den Gedanken, andere Menschen in seine Problematik mit einzubeziehen.
    • Das Problem dabei ist, dass er nicht mit seinen Freunden und Verwandten über seine Problematik spricht,
    • sondern nur dort, wo viel gelacht wird, mitzumachen.
    • Aber auch das gelingt nicht. Er schafft nicht mal ein Lächeln.

Anmerkungen zu Strophe 6

  • In der sechsten Strophe
    • versucht er dann, sich einmal zu „vergeuden“.
      • Man weiß nicht genau, was damit gemeint ist. Aber es dürfte sich wohl um die Gegenwelt handeln, in der er bisher gelebt hat.
      • Jetzt versucht er also, nicht mehr rational zu sein, nicht mehr pingelig. Einfach mal ausgelassen sein.
    • Aber auch so kann er anscheinend sein Problem nicht lösen.
    • Er spürt allerdings, dass er „mit der Freude und den Freuden“ so etwas wie Mitleid hat.
    • Damit dürfte wohl gemeint sein, dass er auf diese Gefühlsregungen immer noch hinabblickt, sie ihm nicht wieder zur selbstverständlichen menschlichen Kultur geworden sind.

Anmerkungen zu Strophe 7

  • Wie richtig man als Leser mit dieser Annahme liegt, zeigt der Beginn der siebten Strophe,
    • wo von einem falschen „Hochmut“ die Rede ist.
    • Die Reaktion darauf ist eine Art Selbstmitleid.
    • Man kennt es ja. Wenn man etwas etwas Unabänderliches vor sich sieht, z.B. einen nächtlichen Heimgang bei Regen ohne Bus oder Taxi. Dann sagt man schon mal so etwas wie „Na dann mal Prost.“
    • Am Ende der wird noch mal seine aktuelle Situation zusammen gefasst.
      • Er ist „nicht mehr froh“ und „noch nicht wieder“.
      • Das heißt: Er ist genau in diesem Übergangsbereich zwischen der Erkenntnis eines Problems und der noch nicht gefundenen Lösung dafür.
    • Bezeichnenderweise, ist jetzt von „Trost“ die Rede, der ihm fehlt. Und das ist etwas anderes als rationale Erkenntnis.

Anmerkungen zu Strophe 8

  • Die achte Strophe
    • Zeigt dann rein körperlich den Sprung aus dieser Situation und zwar in einen Bus hinein.
    • Interessant ist das Wort „blindlings“, denn das zeigt die Entfernung von seinem früheren Verhalten.
    • Am Ende dann die ultimative Erkenntnis: Er muss warten, bis er ganz von selber wieder lacht.
    • Das bedeutet nichts anderes, als dass die unreflektierte Natürlichkeit zurückkehrt.
    • An dieser Stelle könnte man als Vergleich heranziehen,
      • dass man sofort ins Stolpern gerät, wenn man anfängt, über das Gehen nachzudenken.
    • Und auch Schlaflosigkeit wird nicht dadurch besser, dass man zwanghaft versucht zu schlafen.

Zusammenfassung

  • Insgesamt ein Gedicht,
    • das einen Menschen zeigt,
      • der in eine unnatürliche Lebensweise hinein geraten ist,
      • es merkt,
      • dann versucht das Problem auf die bisherige rationale, künstliche Weise zu lösen.
      • Am Ende dann die Erkenntnis, dass man als Mensch, zumindest im Hinblick auf das Lachen dem Leben seinen natürlichen Lauf lassen muss.

Zur Interpretation und Auseinandersetzung mit dem Gedicht

  • Am einfachsten bietet sich eine Interpretation an, die gegen zu viel Rationalität plädiert und für mehr spontane Natürlichkeit.
  • Die Frage ist, wie man für sich die Grenzlinie findet, zwischen notwendigem rationalen Verhalten und der Sorge dafür, dass dabei nicht wichtige Bereiche der natürlichen Menschlichkeit verboten werden.
  • Von Goethe stammt wohl der Satz, der sinngemäß lautet:
    Dem Leben tut ein bisschen Unregelmäßigkeit manchmal ganz gut.
    Das könnte man auch auf die Aussage dieses Gedichtes beziehen.
    Leider können wir ihn nicht dokumentieren – aber diskutieren kann man darüber trotzdem.
  • Beschäftigt mit der Problematik dieses Gedichtes hat sich erfreulicherweise der Leistungskurs eines Gymnasiums:
    https://web.musikgymnasium.de/die-wichtigkeit-des-lachens-lk-deutsch-2015-2016/
  • Man könnte auch das sogenannte „Lach-Yoga“ hinzuziehen, das ja anscheinend genau das versucht, was in dem Gedicht schief geht.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Lachyoga

Frage der Zugehörigkeit zur Epoche der Neuen Sachlichkeit?

  1. Ausgangspunkt ist natürlich erst mal die Frage, was diese Epoche kennzeichnet.
    Hierauf sind wir auf dieser Seite genauer eingegangen:
    https://textaussage.de/schnell-durchblicken-die-epoche-der-neuen-sachlichkeit
    Dort gibt es auch weitere Beispielgedichte, die man vergleichend heranziehen kann.
  2. Als wesentliche Kennzeichen ergab sich:
    1. Konzentration auf eine distanzierte Wahrnehmung und Beschreibung der Wirklichkeit
    2. Weniger künstlerische Überhöhung als im poetischen Realismus und weniger Engagement als im Naturalismus#
  3. Überprüfung an diesem Gedicht:
    1. Vorhanden ist sicher eine „distanzierte Wahrnehmung und Beschreibung der Wirklichkeit“.
    2. Auch gibt es keine künstlerische Überhöhung  und auch kein direktes Engagement für etwas.
    3. Darauf muss der Leser selbste kommen.
    4. Man könnte allenfalls feststellen, dass in diesem Gedicht weniger Mitgefühl zumindest ansatzweise deutlich wird als in dem Gedicht „Sachliche Romanze“.
    5. Dafür geht es eher in die Richtung mancher Gedichte von Eugen Roth, in der menschliches Verhalten auf ähnliche Weise kritisch präsentiert wird.
      Eugen Roth, „Das Sprungbrett“, zu finden z.B. hier.

Weitere Infos, Tipps und Materialien