Gegengedicht zu Brentano, „Der Spinnerin Nachtlied“ (Mat7365)

Eine tolle Idee

  • Es gibt sie doch – die Lehrkräfte, die den Deutschunterricht mal etwas aus dem Dickicht des Gewöhnlichen herauslösen.
  • In diesem Fall stand plötzlich für die überraschten Schülis die Aufgabe im Raum, zu einem Gedicht von Brentano eine Reaktion zu verfassen.
  • Glücklicherweise haben wir mit Contro da Salvo Lyrics, was natürlich ein Pseudonym ist, einen Schüler, der mit uns nicht nur auf Augenhöhe interessante Fragen des Deutschunterrichts durchspricht – sondern durchaus auch zu eigenständigem Denken und kreativem Schreiben fähig ist.
  • Er hat sich gedacht, dass es für ihn nicht viel Sinn ergab, das lyrische Ich auf den Autor reagieren zu lassen. Denn natürlich sind beide nicht zwangsläufig identisch, aber jeder Autor schreibt doch letztlich für die Leute draußen, die seine Werke lesen.
  • Also versetzte sich Contro einfach in die Lage eines Lesers und verfasste eine kreative Antwort auf Brentanos Gedicht „Der Spinnerin Nachtlied“.
  • Dabei flossen Beobachtungen ein, dass dieses Gedicht als Volkslied weniger auf individuelle Aussage hin getrimmt ist, sondern eher auf Breitenwirkung.
  • Nach dem Motto: Viele sollen in diesem Gedicht ihre Gefühle entdecken und entfalten, an die der Autor gar nicht denken konnte oder wollte.
  • Wir hoffen, dass Contros Lehrkraft das, was jetzt folgt, als durchaus angemessene Lösung der Hausaufgabe akzeptiert, gewissermaßen als eine kreative Schülervariante dessen, was man normalerweise als „Literaturkritik“ bezeichnet.
  • Die Perspektive des lyrischen Ichs im folgenden Gedicht ist ein kritischer Blick auf ein Gedicht, das als Volkslied so ganz anders ist als die gedankenschweren Texte, die normalerweise zu analysieren sind.
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  • Das Folgende ist mit freundlicher Genehmigung des Autors hier eingefügt worden.
  • Weiter unten verweisen wir auf Brentanos Vorlage.

Das Gegengedicht

Contro da Salvo Lyrics

An Clemens Brentano,
der sich wahrscheinlich gefreut hätte,
wenn er einen solch kritischen Leser
seines berühmten Spinnerin-Nachtliedes kennengelernt hätte

  1. Ach, Clemens, was hast du gemacht?
  2. Um mich herum die Leute weinen
  3. Ein jeder denkt an das, was ihn betrifft.
  4. Fühlt sich verstanden, ja erleichtert.
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  5. Jedoch: was hast du wirklich uns geboten
  6. Ein bisschen Mond, ein bisschen Klage
  7. Und dazu auch noch Gottvertrauen.
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  8. Die Leute hier, die unter Tränen
  9. Sich dir und deinem Lied hingeben
  10. Die merken nicht einmal,
  11. Dass ganz am Schluss die Lage
  12. Genauso ist wie vorn am Anfang.
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  13. Es hat sich nichts geändert
  14. Du bietest nichts als eine kleine Flucht
  15. Aus all dem Jammer, den man spürt.
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  16. Man hätte auch mit guten Freunden
  17. In eine Kneipe gehen können
  18. Dort gibt es mehr als schöne Worte …
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  19. was das genau sein könnte,
  20. Das sei der Fantasie all derer überlassen,
  21. Die jetzt noch weinen und
  22. bald ganz enttäuscht
  23. auf Ihren nächsten Clemens warten,
  24. Der ihnen Bonbons bietet
  25. Weit weg von jeder Anteilnahme
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  26. Selbst die KI hat da wohl mehr zu bieten.
    …
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Die Vorlage

Clemens Brentano

Der Spinnerin Nachtlied

  1. Es sang vor langen Jahren
  2. Wohl auch die Nachtigall,
  3. Das war wohl süßer Schall,
  4. Da wir zusammen waren.
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  5. Ich sing‘ und kann nicht weinen,
  6. Und spinne so allein
  7. Den Faden klar und rein
  8. So lang der Mond wird scheinen.
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  9. Als wir zusammen waren
  10. Da sang die Nachtigall
  11. Nun mahnet mich ihr Schall
  12. Daß du von mir gefahren.
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  13. So oft der Mond mag scheinen,
  14. Denk‘ ich wohl dein allein,
  15. Mein Herz ist klar und rein,
  16. Gott wolle uns vereinen.
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  17. Seit du von mir gefahren,
  18. Singt stets die Nachtigall,
  19. Ich denk‘ bei ihrem Schall,
  20. Wie wir zusammen waren.
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  21. Gott wolle uns vereinen
  22. Hier spinn‘ ich so allein,
  23. Der Mond scheint klar und rein,
  24. Ich sing‘ und möchte weinen.
Quelle:
Clemens Brentano: Werke. Band 1, München [1963–1968], S. 131.
Permalink:
http://www.zeno.org/nid/20004596382
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