Georg Herwegh, „Die Tendenz“ – mit Seitenblick auf die Kritik Heines (Mat5166)

Worum es hier geht:

Im folgenden wollen wir mal zeigen, wie man zum Beispiel bei einer Klausur schnell Kontakt aufnehmen kann zu einem Gedicht, nämlich

  • zum Inhalt,
  • zur Aussage
  • und zu den literarischen Mitteln, die die Aussage unterstützen

Das Gedicht ist zum Beispiel hier zu finden.

Wie wir vorgehen, um möglichst erfolgreich zu sein

  • Wichtig ist, dem linearen Verlauf der Äußerungen des lyrischen Ichss zu folgen. Denn damit verbunden ist ja eine gewisse Erwartungshaltung des Lesers, die sich durchaus ändern kann.
  • Das entspricht auch dem induktiven Verfahren, das am ehesten den Erfolg bei einer Gedichtinterpretation garantiert.
  • Wenn dazu noch die „hermeneutische“ Kontrolle kommt, kann man recht sicher sein, dass man am Ende nicht auf einem Holzweg gelandet ist.

Anmerkungen zur Überschrift und zu Strophe 1

Aufruf

Reißt die Kreuze aus der Erden!
Alle sollen Schwerter werden,
Gott im Himmel wird’s verzeihn.
Lasst, o lasst das Verseschweißen!
Auf den Amboß legt das Eisen!
Heiland soll das Eisen sein.

  • In diesem Falle sitzt der Titel einen ersten Akzent. Es geht um einen Aufruf, also den Versuch, andere Leute von etwas zu überzeugen und zu etwas zu bewegen.
  • Wenn man weiß, dass Georg Herwegh an ein Dichter des Sturm und Drang ist, kann man vermuten, dass es sich um Politik angeht, wahrscheinlich verbunden mit Kritik am aktuellen Herrschaftssystem.
  • Die erste Strophe beginnt auch sehr radikal.
    • Es sollen nämlich Kreuze aus der Erde gerissen werden, um daraus Schwerter zu machen.
    • Letzteres steht natürlich in einem übertragenen Sinne für Waffen beziehungsweise bewaffneten Widerstand. Denn in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kämpfte niemand mehr mit Schwertern.
    • Dass gerade Kreuze verwendet werden sollen, könnte eine Kritik an der Kirche sein, die in der Regel die Obrigkeit unterstützt. Statt der Konzentration auf den Glauben ginge es dann um Konzentration auf Widerstand
    • Gegebenenfalls könnte einem hier auch das Motto einfallen: Schwerter zu Pflugscharen. Das würde dann nämlich deutlich machen, dass man nicht unbedingt Kreuze nehmen müsste, damit also eine besondere Bedeutung verbunden ist.
  • Die dritte Zeile bestätigt dann die Vermutung, dass es hier um die oben angesprochene Akzentverlagerung geht, wenn Gott um Verzeihung gebeten wird.
  • Interessant die nächste Zeile, denn sie bedeutet eine aktuelle Absage an die normale Literatur und deutlich machen, dass die Schriftsteller in dieser Kampfzeit unterstützende Arbeit leisten sollen.
  • Am Ende wird dann noch einmal der Gedanke der Schwerterherstellung aufgenommen. Verbunden wird er auch noch einmal mit dem religiösen Bezug, der den Widerstand zu einem aktuellen Sache des Glaubens macht.

Anmerkungen zu Strophe 2

Eure Tannen, eure Eichen –
Habt die grünen Fragezeichen
Deutscher Freiheit ihr gewahrt?
Nein, sie soll nicht untergehen!
Doch ihr fröhlich Auferstehen
Kostet eine Höllenfahrt.

  • Zu Beginn der zweiten Strophe werden dann – fast schon in romantischer Manier – Elemente des Waldes zu Elementen deutscher Freiheit gemacht.
  • Die zweite Hälfte der Strophe macht dann die eigene Entschlossenheit deutlich, aber auch das Bewusstsein, dass es bei dem Kampf um alles geht. Auch hier wieder ein religiöse Bezug.

Anmerkungen zu Strophe 3

Deutsche, glaubet euren Sehern,
Unsre Tage werden ehern,
Unsre Zukunft klirrt in Erz;
Schwarzer Tod ist unser Sold nur,
Unser Gold ein Abendgold nur,
Unser Rot ein blutend Herz!

  • Die dritte Strophe fordert dann die Deutschen auf, denen zu glauben, die so etwas sind wie Propheten.
  • Zu denen rechnet sich das lyrische Ich und indirekt wohl auf der Dichter selbst.
  • Da wird noch einmal das Motiv des Eisens aufgenommen als Zeichen für Stärke und Kampf.
  • Am Ende dann eine düstere Prophezeiung unter Hinweis auf weitere Opfer.

Anmerkungen zu Strophe 4

Reißt die Kreuze aus der Erden!
Alle sollen Schwerter werden,
Gott im Himmel wird’s verzeihn.
Hört er unsre Feuer brausen
Und sein heilig Eisen sausen,
Spricht er wohl den Segen drein.

  • In dieser Strophe gibt es eine Wiederholung früherer Forderungen und Perspektiven.
  • Dann noch einmal die Selbstvergewisserung, dass Gott diesen Kampf segnen werde.

Anmerkungen zu Strophe 5

Vor der Freiheit sei kein Frieden,
Sei dem Mann kein Weib beschieden
Und kein golden Korn dem Feld;
Vor der Freiheit, vor dem Siege
Seh‘ kein Säugling aus der Wiege
Frohen Blickes in die Welt!

  • Diese Strophe betont noch einmal die Kriegssituation und die Notwendigkeit des Verzichtes auf alles, was zu friedlichem Glück gehört.
  • Die Bereitschaft zur Entschlossenheit und Opfer wird sogar auf Säuglinge ausgedehnt.

Anmerkungen zu Strophe 6

In den Städten sei nur Trauern,
Bis die Freiheit von den Mauern
Schwingt die Fahnen in das Land;
Bis du, Rhein, durch freie Bogen
Donnerst, lass die letzten Wogen
Fluchend knirschen in den Sand.

  • Die sechste Strophe knüpft dann noch einmal an an Elemente wie Höllenfahrt und Tod.
  • Sie verbindet das aber auch mit positiven Zukunftsperspektiven, die sich zum einen allgemein auf Freiheit beziehen und dann damals typische Gebietshoffnungen im Hinblick auf den Rhein als Grenzstrom zu Frankreich.
  • Interessant, mit welcher Penetranz in diesem Gedicht selbst die letzte Welle eines siegreichen Stroms verbunden wird mit Fluchen, was im krassen Gegensatz steht zum christlichen Glauben.).

Anmerkungen zu Strophe 7

Reißt die Kreuze aus der Erde!
Alle sollen Schwerter werden,
Gott im Himmel wird’s verzeihn.
Gen Tyrannen und Philister!
Auch das Schwert hat seine Priester,
Und wir wollen Priester sein!

  • Die letzte Strophe wiederholt noch mal diesen Anfangsrefrain. Noch einmal wird deutlich gemacht, gegen wen es geht:
    • Zum einen die Tyrannen als negative Herrscher,
    • Dann aber auch Philister (auch ein Negativbegriff aus der Romantik) als nur auf ihr Wohl ergehen bedachte Bürger.
  • Am Ende dann noch einmal eine Selbstbeschreibung, bei der alle Kämpfer sich als Priester fühlen sollen.
  • Es kann natürlich auch sein, dass das lyrische Ich und in diesem Falle wohl auch Herwegh selbst diesen Status den oben angesprochenen Sehern zuschreibent. Das würde dann bedeuten, dass die anderen gewissermaßen (nur) das kämpfende Fußvolk sind.
  • Es kann aber auch sein, dass dieses Gedicht sich in erster Linie an die Schriftstellerkollegen wendet, die nicht alle so martialisch auftraten wie Herwegh. Besonders Heinrich Heine nahm hier ja eine recht kritische Position ein.
    Hier drei interessante Beispiele – die Texte hängen wir weiter unten an und gehen später auch noch genauer darauf ein.

    • Direkt „An Georg Herwegh“
    • „Die Tendenz“
    • „An einen politischen Dichter“

Thema des Gedichtes

Als Thema des Gedichtes könnte man die Frage formulieren, welche Aufgabe, das lyrische Ich in einer ganz bestimmten Situation den aktiven Menschen und besonders den Schriftstellern zuschreibt

Aussagen des Gedichtes

Das Gedicht zeigt die radikale Entschlossenheit zum Kampf und deutliche Anleihen bei der Religion. Die damit verbundenen Gefühle sollen offensichtlich für den Kampf genutzt werden.

Literarische Mittel

  1. Damit ist man auch schon bei einem zentralen, literarischen Mittel, nämlich der vielfachen Verwendung religiöser Symbole für die Stärkung der Kampfkraft.
  2. Dazu kommt das fast schon Hineintrommeln des Ausgangsbildes von den Kreuzen und den Schwertern.
  3. Die Aufforderungswiederholung in I,4 – macht den appellativen Charakter deutlich.
  4. Die Bedeutung von Farben: schwarz und rot – Beispiel für einfache Gegensätze, wie sie für Propaganda üblich sind.
  5. Personifierung der Freiheit in VI,3 – Versuch einer Ausmalung zentraler Ziele
  6. Direkte Anrede des Rheins – damit Wecken von Gefühlen, die damals in der deutschen Bevölkerung sehr lebendig waren – Angst vor den Franzosen.

Kritik Heines:

Die Gedichte mit der Kritik haben wir hier herausgelöst und auf eine eigene Seite gepackt:
https://textaussage.de/heines-literarische-kritik-an-seinem-dichterkollegen-herwegh

Vorgestellt werden die folgenden Texte:

Heinrich Heine,  „An Georg Herwegh“

Heinrich Heine, „Die Tendenz“

Heinrich Heine, „An einen politischen Dichter“

Heinrich Heine, „Georg Herwegh“

Weitere Infos, Tipps und Materialien