Heines literarische Kritik an seinem Dichterkollegen Herwegh – verschiedene Gedichte (Mat5170)

Worum es hier geht:

Auf der Seite:

https://textaussage.de/georg-herwegh-die-tendenz-mit-seitenblick-auf-die-kritik-heines

haben wir ein Gedicht aus der Zeit des Vormärz vorgestellt, das auf besonders enthusiastische Weise zum Kampf für die Freiheit auffordert.

Das Gedicht stammt von Georg Herwegh, einem Zeitgenossen Heines und durchaus auch Freund. Aber das verhinderte nicht Kritik – und die wird an den folgenden Gedichten Heines sehr deutlich.

Vereinfacht gesagt:

Während Herwegh sich schnell im Agitatorischen verlor, versuchte Heine immer, den besonderen Blick des Künstlers auf die Wirklichkeit zu bewahren.

Kritik Heines: Beispiel 1: „An Georg Herwegh“

Heinrich Heine,

An Georg Herwegh

I             Herwegh, du eiserne Lerche,

Mit klirrendem Jubel steigst du empor

Zum Heiligen Sonnenlichte!

Ward wirklich der Winter zu nichte?

Steht wirklich Deutschland im Frühlingsflor?

 

II            Herwegh, du eisere Lerche,

Weil du so himmelhoch dich schwingst,

Hast du die Erde aus dem Gesichte

Verloren – nur in deinem Gedichte

Lebt jener Lenz, den du besingst.

 

  • Hier macht Heine sich lustig über seinen Kollegen, indem er ihn mit einem Vogel vergleicht, der eigentlich nicht fliegen kann, da er aus Eisen ist.
  • Daraus entsteht die Infragestellung der positiven Zukunftsprophezeiungen Herweghs.

Kritik Heines: Beispiel 2: „Die Tendenz“

Heinrich Heine, Die Tendenz

I             Deutscher Sänger! sing und preise

Deutsche Freiheit, dass dein Lied

Unserer Seelen sich bemeistre,

Und zu Taten uns begeistre,

In Marseillerhymnenweise.

  • Ebenfalls ein Aufruf, aber einer, der von den Formulierungen her schon in ein problematisches Licht gerückt wird.

 

II            Girre nicht mehr wie ein Werther,

Welcher nur für Lotten glüht –

Was die Glocke hat geschlagen,

Sollst du deinem Volke sagen,

Rede Dolche, rede Schwerter!

  • Hier wird Distanz durch Übertreibung deutlich.

 

III           Sei nicht mehr die weiche Flöte,

Das idyllische Gemüt –

Sei des Vaterlands Posaune,

Sei Kanone, sei Kartaune,

Blase, schmettre, donnre töte!

  • Ebenso hier.

 

IV          Blase, schmettre, donnre täglich,

Bis der letzte Dränger flieht –

Singe nur in dieser Richtung,

Aber halte deine Dichtung

Nur so allgemein als möglich.

  • Jetzt wird die Katze aus dem Sack gelassen und deutlich Kritik geübt.
  • Vorgeworfen wird, dass man sehr allgemein bleibt – und damit kann man wohl „eisern“ sein, aber keine positive Zukunft herbeischaffen.

 

Kritik Heines: Beispiel 3:

  • Eine kurze Vorbemerkung zum Thema „Inhaltsangabe be einem Gedicht“
    Es hat sich im Deutschunterricht eingebürgert, dass man auch bei Gedichten den Inhalt der Strophen „beschreibt“ – also eine Art Inhaltsangabe macht.
    Das ist natürlich schwierig bei Texten, die wenig oder gar keine Handlung enthalten.
    Wir bemühen uns hier schon lange um eine Lösung.
    Grundsätzlich auf Möglichkeiten sind wir hier eingegangen:

An einen politischen Dichter

Heinrich Heine,

An einen politischen Dichter

I
Du singst wie einst Tyrtäus sang,
Von Heldenmut beseelet,
Doch hast du schlecht dein Publikum
Und deine Zeit gewählet.

  • Hier Anspielung auf einen antiken Dichter/Sänger,
  • Dann der Hinweis, dass man jetzt nicht in solchen sagenhaften Zeiten lebe und auch nicht das entsprechende Publikum habe.

II
Beifällig horchen sie dir zwar,
Und loben schier begeistert:
Wie edel dein Gedankenflug,
Wie du die Form bemeistert.

  • Kritische Sicht auf das Publikum

III
Sie pflegen auch beim Glase Wein
Ein Vivat dir zu bringen,
Und manchen Schlachtgesang von dir
Lautbrüllend nachzusingen.

  • Wird hier fortgesetzt – die Formulierungen verweisen auf eine bierselige Kneipen-Atmosphäre.

 

IV
Der Knecht singt gern ein Freiheitslied
Des Abends in der Schenke:
Das fördert die Verdauungskraft
Und würzet die Getränke.‘

  • Auch hier am Ende die klare Aussage,
  • Dass es sich um möglicherweise um ein Freiheitslied handelt,
  • Aber eins, das keine positiven Auswirkungen auf die Politik hat.

Und dann der Hammer: Heine, „Zeitgedichte XII“ – „Georg Herwegh“

Zu finden ist das Gedicht u.a. hier:

Anmerkungen zur Überschrift

Georg Herwegh

  • Schon die Überschrift zeigt, dass es sich hier um einen Grenzfall der Literatur handelt. Denn es wird direkt nicht nur ein Element der Wirklichkeit genannt wie eine Statue, sondern ein konkreter Zeitgenosse. Es geht um einen Schriftsteller, der auf der einen Seite mit Heinrich Heine befreundet war, auf der anderen Seite aber auch ganz anders war als er selbst und entsprechend kritisiert wurde.
  • Kern des Streits war, dass Heinrich Heine die Kunst und damit auch die Literatur nicht komplett der Politik unterordnen wollte. Vor allem wollte er einen offenen Blick für die Wirklichkeit behalten.
  • Herwegh war ihm einfach zu enthusiastisch und damit auch zu weit von der Wirklichkeit entfernt.
  • Das wird in diesem Gedicht sehr deutlich.
Vorbemerkung zum Hintergrund des Gedichtes – Nutzung eines Handbuches:
  • „Das Gedicht bezieht Stellung zu einem Ereignis, das 1842 Deutschland große Beachtung fand.
  • Georg Herwegh, der Verfasser der im Mai 1841 im Schweizer Exil erschienenen „Gedichte eines Lebendigen“, war im Herbst 1842 auf einer Reise durch Deutschland von der national-liberalen Opposition begeistert gefeiert worden.
  • Schließlich wurde er im November auch von Friedrich Wilhelm IV. (Anm: dem preußischen König) empfangen.
  • Wegen der Veröffentlichung seines Briefes an den König
    • wurde er dann jedoch im Dezember aus Preußen ausgewieser
    • und von der Polizei bis an die Grenze gebracht.“

entnommen: Heinrich Heine, Sämtliche Gedichte. Kommentierte Ausgabe, Hrsg. Von Bernd Kortländer, Reclam: 1990/1997

 

Anmerkungen zu Strophe 1

1

Mein Deutschland trank sich einen Zopf,

Und du, du glaubtest den Toasten!

Du glaubtest jedem Pfeifenkopf

Und seinen schwarz-rot-goldnen Quasten.

  • Auch in der ersten Strophe gibt es einiges, was man nicht unbedingt sofort versteht.
  • Dabei geht es allerdings mehr um Sprache und historische Umstände.
  • Die erste Zeile bezieht sich auf die Bereitschaft von Studenten, sich zu betrinken
  • Die zweite Zeile versteht man dann schon eher, denn einen Toast ausbringen, heißt ja einen Trinkspruch formulieren, dem möglichst alle zustimmen können, die am Tisch sitzen
  • Beim Pfeifenkopf wird es wieder schwierig. Hier muss man schon den oben erwähnten Kommentar zurateziehen, der deutlich macht, dass Heine den Begriff gerne verwendet hat, um Burschenschaftler, also Vertreter studentischer Verbindungen zu bezeichnen.
  • Und die schwarz-rot-goldene Quasten bezeichnen dann an den Mützen befestigte  Schnüre in den Farben der damaligen deutschen Freiheitsbewegung.
Anmerkungen zu Strophe 2

Doch als der holde Rausch entwich,

Mein teurer Freund, du warst betroffen –

Das Volk wie katzenjämmerlich,

Das eben noch so schön besoffen!

  • Die zweite Strophe macht dann deutlich, dass die Situation bei einer solchen festlichen Veranstaltung sich schnell verändert, wenn der Rausch verflogen ist.
  • Anschließend wird das Volk kritisiert, das bei den schönen Freiheitsreden begeistert mitgegangen ist, anschließend sich allerdings jämmerlich – und gemeint ist wohl wohl feige – verhält.
Anmerkungen zu Strophe 3

Ein schimpfender Bedientenschwarm,

Und faule Apfel statt der Kränze –

An jeder Seite ein Gendarm,

Erreichtest endlich du die Grenze.

  • Die dritte Strophe bezieht sich dann wohl auch auf die Flucht in die Emigration
  • Begleitet wird der Flüchtling von einem Schwarm von Bedienten, also abhängigen Leuten, die aus irgendeinem Grunde schimpfen, vielleicht auf ihn.
  • Dann ist von faulen Äpfel die Rede, gemeint sind wohl Menschen, die innerlich bei weitem nicht so sauber sind, wie das Äußere es zunächst vermuten lässt.
  • In Verbindung mit den Kränzen als Zeichen der Ehrung könnte auch gemeint sein, dass man mit faulen Äpfel beworfen worden ist.
  • Dann der Hinweis auf die Bedrohung durch staatliche Organe und die Erleichterung, wenn man dann endlich die Grenzlinie der Bedrohung erreicht hat.
Anmerkungen zu Strophe 4

Dort bleibst du stehn. Wehmut ergreift

Dich bei dem Anblick jener Pfähle,

Die wie das Zebra sind gestreift,

Und Seufzer dringen aus der Seele:

  • Die vierte Strophe soll dann wohl das Zögern des Flüchtlings deutlich machen, der nicht leichten Herzens sein Vaterland verlässt.
  • Das Bild des Zebras bezieht sich dabei auf die Grenzpfähle
  • Und die Seufzer stehen für innere Gefühle, die etwas zu tun haben mit ein bisschen Befreiung und ganz viel Trauer um das, was man aufgeben musste.
Anmerkungen zu Strophe 5

»Aranjuez, in deinem Sand,

Wie schnell die schönen Tage schwanden,

Wo ich vor König Philipp stand

Und seinen uckermärkischen Granden.

  • Die fünfte Strophe bezieht sich auf das Verhältnis Georg Herweghs zum preußischen König siehe die obige Vorbemerkung.
  • Auch der Hinweis auf Aranjuez ist nicht jedem sofort klar. Gemeint ist damit der Ferienort der spanischen Königsfamilie in Schillers Drama „Don Carlos“. Dort geht es auch um einen Freiheitskampf. Der Königssohn muss jetzt einen Ort verlassen, an dem er einigermaßen frei leben konnte. Und am Königshof ist er wieder in die Zwänge des damaligen absolutistischen Systems eingebunden und das eigentliche Drama beginnt.
Anmerkungen zu Strophe 6

Er hat mir Beifall zugenickt,

Als ich gespielt den Marquis Posa;

In Versen hab ich ihn entzückt,

Doch ihm gefiel nicht meine Prosa.«

  • Hier hat man das Gefühl eines Perspektivenwechsel. Denn jetzt lässt das lyrische Ich Georg Herwegh selbst sprechen.
  • Angespielt wird auf eine Situation, in der die Verse, also die Literatur, von Herwegh offensichtlich Gefallen gefunden haben.
  • Dann geht es um den Brief, den Herwegh dem König geschrieben hat und der sein Missfallen ausgelöst hat. Das hat wohl letztlich auch die Emigration erzwungen.
  • Was den Marquis Posa angeht, so ist das eine der Hauptfiguren von Schillers Drama, ein Freund des Kronprinzen. Er macht sich zunächst auf dem König gefällig, und der muss am Ende erkennen, dass dieser Mann dem Widerstand gegen ihn angehört.

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