Ilse Aichinger, „Das Fenstertheater“ (Mat2044)

Worum es hier geht:

In der Kurzgeschichte „Das Fenstertheater“ geht es um die Distanz und die Vorurteile, die zwischen Menschen herrschen, die sich zu wenig umeinander kümmern.

Das Besondere ist, dass all das an einer Stelle aufgehoben wird – und das auf eine sehr beeindruckende und „nachdrückliche“ Weise.

Wir stellen die Geschichte vor und machen Vorschläge, was man mit ihr machen kann.

Zu finden ist die Geschichte unter anderem hier.

Kurz-Info zum Inhalt

Eine Frau wird durch die Wirklichkeit beschämt, als sie glaubt, einem Nachbarschaftsskandal auf der Spur zu sein.

Themen der Kurzgeschichte

  • Ein Thema ist ja immer eine Frage- oder Problemstellung.
  • In dieser Geschichte gibt es mehrere Themen:
    • Zum einen um die Frage, wie Menschen mit ihrer Einsamkeit umgehen.
    • Dann um die Frage, wie sehr in den Menschen ein Voyeur steckt, also jemand, der besonders interessiert ist an außergewöhnlichen oder sogar schrecklichen Dingen – wie etwa einem Autounfall, den er gleich fotografiert.
    • Es geht aber auch um die Frage, wie Menschen andere positiv beeinflussen können, so wie es hier der alte Mann mit dem Kleinkind macht.
    • Wahrscheinlich gibt es noch mehr mögliche Themen, also Fragen, auf die die Geschichte eine antwort gibt.

Inhaltsangabe:
Die Geschichte beginnt damit, dass eine Frau ihrer üblichen Tätigkeit nachgeht, aus ihrer hochgelegenen Wohnung hinauszuschauen, ob vielleicht ein Unfall o.ä. vor ihren Augen passiert.
Als sie sich schon enttäuscht abwenden will, sieht sie, dass im Haus gegenüber ein dort wohnender alter Mann am helllichten Tag das Licht anzündet und dann beginnt, auf dem Balkon allerlei Faxen zu machen.
Zunächst fühlt die Frau sich angesprochen und findet das dann auch interessant. Als der Mann dann aber sogar einen Kopfstand macht, ruft sie die Polizei.
Als die kommt, folgt sie den Polizisten, die die Tür aufbrechen müssen, weil – wie sisch dann herausstellt, der Mann schwerhörig ist und nicht öffnet.
Zum großen Erstaunen aller stellt sich heraus, dass der alte Mann mit seinem seltsamen Theater am Fenster nur einen kleinen Jungen unterhalten wollte, der mit seiner Familie in die Wohnung oberhalb der Frau eingezogen ist.
Die Geschichte endet damit, dass der kleine Junge das Lachen, das der Mann ihm hinübergeschickt hat, den Polizisten ins Gesicht wirft.

Bedeutung der Geschichte: -> Was zeigt die Geschichte?
1. Die Geschichte zeigt zum einen die Langeweile und den damit verbundenen Voyeurismus der Frau,
2. dann aber auch das Engagement und den Einfallsreichtum des alten Mannes,
3. der bei seinem Gegenüber, dem kleinen Jungen sehr gut ankommt.
4. Letztlich läuft die Geschichte auf eine Beschämung der Sensationsgier der Frau hinaus, an der sich auch die anderen Bewohner des Hauses beteiligen, als die Polizei die Wohnung stürmt.

Schaubild

Anmerkungen zum Schaubild:
Das Schaubild zeigt die entscheidende Gegenüberstellung zwischen den beiden Hochhäusern und den beiden sehr unterschiedlichen Menschen: Da ist links die Frau mit ihrer Sensationsgier und ihren Vor-Urteilen, was das Verhalten des Mannes gegenüber angeht. Möglicherweise schwingt aber auch ein bisschen Sorge mit, wenn sie die Polizei ruft.

Auf der anderen Seite ein Mann, der auf ganz natürliche Weise Mensch ist und sich auf die besondere Begegnung mit dem Jungen im Nachbarhaus einlässt.

Wichtig ist natürlich die unterschiedliche Perspektive: Die Frau weiß nichts von den neu Eingezogenen in der Wohnung über ihr – was auch ein Zeichen der Distanz in solchen Großwohnanlagen sein kann.

Aufgelöst wird alles, als die Polizei die Wohnung stürmt. Wunderbar der Einfall der Autorin mit dem Lachen, das zunächst zwischen den beiden Positiv-Menschen in dieser Geschichte hin und hergeht, dann aber auch die Polizisten erreicht. Allerdings wird es ihnen und vor allem den wohl zum Teil mitstürmenden Nachbarn „ins Gesicht geworfen“. Gemeint ist damit, dass die schon ein bisschen der Schlag der Erkenntnis trifft. Zum einen geht es eben um die Offenheit des alten Mannes, zum anderen um ihre eigene Verschlossenheit und Beschränktheit.

Die Frage ist, was sie mit dieser auch ein bisschen „einschlagenden“ Erkenntnis machen – aber die Frage richtet sich vor allem an den Leser.

Inwiefern und inwieweit handelt es sich um eine Kurzgeschichte?.
Es handelt sich um eine typische Kurzgeschichte, die die Vorgeschicht nicht weiter als unbedingt nötig klärt und sich dann voll und ganz auf den besonderen „Ausriss“ aus dem Leben der Frau konzentriert, die hier eine wichtige Erfahrung macht. Ob die bei ihr positive Folgen hat, lässt die Geschichte offen.

Anmerkungen zum Einsatz als Klassenarbeit.
Die Geschichte lässt sich sehr gut als Klassenarbeit einsetzen – besonders im Hinblick auf die Merkmale der Kurzgeschichte, aber auch eine Beurteilung des Verhaltens der Frau.
Damit verbinden könnte man die Aufgabe, zum einen die Überschrift zu erklären, zum anderen auch eine neue zu erfinden.
Möglich wäre etwa:
– Missverständnis
– Engagement: Hier kann man gut Varianten unterscheiden, die Frau ruft aus einem doppelten Motiv heraus die Polizei, der alte Mann hat nur ein einziges, sehr gutes Motiv.

Ideen zum Einsatz im Unterricht

  • Auf die Möglichkeiten alternativer Überschriften wurde schon eingegangen.
  • Reizvoll könnte es sein, die Geschichte weiterzuschreiben:
    „Am nächsten Tag trafen sich die Frau und der alte Mann beim Einkaufen. Er schaute gar nicht vorwurfsvoll, sondern lud sie einfach zu einem Kaffee in die Restaurantabteilung des Kaufhauses ein.
    Sie zögerte erst, ließ sich aber dann doch darauf ein.
    Dann die Überraschung: Als sie mit ihren Kaffeetassen am Tisch saßen, sagte der alte Mann plötzlich: „Danke, das war gut, dass Sie gestern die Polizei gerufen haben.“
    Und als sie dann erst mal ihr Erstaunen verarbeiten musste, fügte er hinzu:
    „Na ja, das Eintreten der Tür war nicht so schön, aber einer unserer Nachbarn ist ja Schreiner, der hat das schnell wieder in Ordnung gebracht – zumindest vorläufig.“
    Und dann erzählte der Mann, wie er, nachdem er sich beruhigt und sein Hörgerät geholt hatte, zunächst mit der Polizei gesprochen hatte und dann mit ihnen zur Wohnung gegenüber gegangen sei.
    Wir kürzen das jetzt mal ab.
    Ziel aber ist es zu zeigen, dass der alte Mann genauso einsam gewesen ist wie die Frau, aber eben vom Schicksal seine Chance bekommen und sie auch genutzt hatte.
    Vielleicht braucht die Familie des Jungen ja einen Babysitter, der ihren Jungen auch weiterhin zum Lachen bringt.
    Vielleicht ist da auch eine alleinstehende Mutter, die dem alten Mann die fehlende Tochter ersetzt.
    Das kann sich jetzt jeder selbst überlegen.
  • Ansonsten kann man die Geschichte mit Blick auf die sogenannten „Gaffer“ bei Autobahnunfällen aktualisieren.
    Im Extremfall könnte man sogar eine entsprechende Neufassung der Kurzgeschichte entwickeln, bei dem jemand als „Gaffer“ Rettungsarbeiten behindert – und am Ende feststellen muss, dass das genau die Sekunden waren, die zum Überleben des Opfers fehlten – das sich dann als ein Freund herausstellt.

Hajo Frerichs, „Zu schnell – zu langsam“ – Das Ende eines Gaffer-Tages

Weitere Infos, Tipps und Materialien 

https://textaussage.de/weitere-infos