Kafka, „Das Stadtwappen“ – oder die Frage nach dem, was einen Erfolg verhindert

Worum es hier geht:

Kafkas kurze Erzählung „Das Stadtwappen“ ist ein extremes Bild für falsches Verhalten, wenn es um große Dinge geht.

Man kann das wie immer auf die Situation des Menschen in der Welt übertragen.

In diesem Falle bietet es sich fast eher an, mal den Begriff „Prokrastination“ zu recherchieren. Die meisten Menschen kennen das: Mit den unglaublichsten Ausweichmanövern vermeidet man es, an die Fertigstellung einer Sache zu gehen.

Hier kann man sich allerdings kritisch fragen, ob das im Falle des Turmbaus nicht vielleicht sogar in Ordnung ist, wenn man ohne ihn auch gut oder zumindest normal leben kann.

Gefunden haben wir diese Geschichte z.B. hier:
https://www.textlog.de/kafka/erzaehlungen/nachlass/das-stadtwappen

Erläuterung der Erzählschritte

Als erstes zerlegen wir einen solchen Text immer in seine Bestandteile. Dabei versuchen wir, Zusammenhänge zu erkennen und auf Deutungsideen zu kommen.

Der Originaltext erscheint in kursiver Schrift.

Dazwischen eingerückt unsere Erklärungen.

Das Stadtwappen

  1. Anfangs war beim babylonischen Turmbau alles in leidlicher Ordnung;
  2. ja, die Ordnung war vielleicht zu groß, man dachte zu sehr an Wegweiser, Dolmetscher, Arbeiterunterkünfte und Verbindungswege, so als habe man Jahrhunderte freier Arbeitsmöglichkeit vor sich.
    • Problem 1: falsche Zielsetzungen
  3. Die damals herrschende Meinung ging sogar dahin, man könne gar nicht langsam genug bauen; man mußte diese Meinung gar nicht sehr übertreiben und konnte überhaupt davor zurückschrecken, die Fundamente zu legen.
    • Problem 2: Hinweis auf Überlegungen, die gegen einen schnellen Bau sprechen.
  4. Man argumentierte nämlich so: Das Wesentliche des ganzen Unternehmens ist der Gedanke, einen bis in den Himmel reichenden Turm zu bauen. Neben diesem Gedanken ist alles andere nebensächlich.
  5. Der Gedanke, einmal in seiner Größe gefaßt, kann nicht mehr verschwinden; solange es Menschen gibt, wird auch der starke Wunsch da sein, den Turm zu Ende zu bauen.
  6. In dieser Hinsicht aber muß man wegen der Zukunft keine Sorgen haben, im Gegenteil, das Wissen der Menschheit steigert sich, die Baukunst hat Fortschritte gemacht und wird weitere Fortschritte machen, eine Arbeit, zu der wir ein Jahr brauchen, wird in hundert Jahren vielleicht in einem halben Jahr geleistet werden und überdies besser, haltbarer.
    • Problem 1: Klärung: Gerade die dauernde Bedeutung spricht angeblich dagegen, ihn entsprechend dem aktuellen Entwicklungsstand zu bauen.
  7. Warum also schon heute sich an die Grenze der Kräfte abmühen?
  8. Das hätte nur dann Sinn, wenn man hoffen könnte, den Turm in der Zeit einer Generation aufzubauen. Das aber war auf keine Weise zu erwarten.
  9. Eher ließ sich denken, daß die nächste Generation mit ihrem vervollkommneten Wissen die Arbeit der vorigen Generation schlecht finden und das Gebaute niederreißen werde, um von neuem anzufangen.
  10. Solche Gedanken lähmten die Kräfte, und mehr als um den Turmbau kümmerte man sich um den Bau der Arbeiterstadt.
    • Problem 1: Absurde Schlussfolgerung: Was nicht in einer Generation geschafft werden kann, kann man gleich bleiben lassen.
    • Man denke etwa, was das für die Kathedralen des Mittelalters bedeutet. Einfach mal recherchieren, wie lange die Leute an so einer Kirche gebaut haben.
  11. Jede Landsmannschaft wollte das schönste Quartier haben, dadurch ergaben sich Streitigkeiten, die sich bis zu blutigen Kämpfen steigerten.
  12. Diese Kämpfe hörten nicht mehr auf; den Führern waren sie ein neues Argument dafür, daß der Turm auch mangels der nötigen Konzentration sehr langsam oder lieber erst nach allgemeinem Friedensschluß gebaut werden sollte.
    • Folge: Man konzentriert sich auf Auseinandersetzungen, weil die gemeinsame Herausforderung fehlt.
  13. Doch verbrachte man die Zeit nicht nur mit Kämpfen, in den Pausen verschönerte man die Stadt, wodurch man allerdings neuen Neid und neue Kämpfe hervorrief.
    • Folge: Zweite Ablenkung Verschönerung der Stadt, nicht des Turms.
  14. So verging die Zeit der ersten Generation, aber keine der folgenden war anders, nur die Kunstfertigkeit steigerte sich immerfort und damit die Kampfsucht.
  15. Dazu kam, daß schon die zweite oder dritte Generation die Sinnlosigkeit des Himmelsturmbaus erkannte, doch war man schon viel zu sehr miteinander verbunden, um die Stadt zu verlassen.
    • Langfristige Folge: Was zu erwarten gewesen ist. Statt eines späteren Baus gibt es nur Verzögerungen..
  16. Alles was in dieser Stadt an Sagen und Liedern entstanden ist, ist erfüllt von der Sehnsucht nach einem prophezeiten Tag, an welchem die Stadt von einer Riesenfaust in fünf kurz aufeinanderfolgenden Schlägen zerschmettert werden wird.
  17. Deshalb hat auch die Stadt die Faust im Wappen.
    • Rückkehr zur Überschrift: Die Faust im Wappen wird zum Symbol für die Reaktion des Himmels oder einer anderen übermenschlichen Kraft diesem Unternehmen ein Ende macht.

Auswertung

Die haben wir ausnahmsweise schon der Analyse vorangestellt. Damit haben wir gezeigt, dass wir auch mal „deduktiv“ analysieren und interpretieren können. Also: Erst Präsentation der Deutungsthese und dann die Ausführung bzw. Erläuterung.

Kreative Anregungen

  • Man kann sich fragen, ob es immer um so anscheinend unnütze Dinge gehen muss wie diesen Turm.
  • Könnte so etwas nicht auch beim Bau eines Flughafens passieren – oder gibt es da andere Gründe?

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