Zunächst: Franz Kafka, Kleine Fabel
„Ach“, sagte die Maus, „die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, dass ich Angst hatte, ich lief weiter und war glücklich, dass ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, dass ich schon im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe.“ – „Du musst nur die Laufrichtung ändern“, sagte die Katze und fraß sie.
- Der Text beginnt mit der Klage der Maus, dass die Welt für sie immer enger ist.
- Das wird verbunden mit einem Rückblick, der die damit verbundenen Ängste (eng?) noch verstärkt.
- Dieser wiederum stellt zugleich eine Steigerung dar – bis zu der Erwartung des tödlichen Endpunktes.
- Aber Kafka setzt noch einen drauf, indem der Todfeind aller Mäuse, die Katze eine scheinbare Lösung anbietet, die an Zynismus nicht zu überbieten ist, denn sie führt direkt in den Tod.
- Wie immer bietet es sich an, auch diese Parabel (denn es ist nicht nur eine Tiergeschichte, sondern auch eine Beispiel-, eine Gleichniserzählung, wenn auch eine kurze) als Blick auf die Situation des Menschen in der Welt zu sehen. Das ist dann an Ausweglosigkeit nicht zu überbieten.
- Aber es gibt ja auch andere „Bild-Geschichten“ von Kafka – siehe zum Beispiel die folgende.
- Ansonsten hier schon mal der Verweis auf unsere Themenseite zu diesem Schriftsteller:
https://textaussage.de/kafka-themenseite
Dann: Franz Kafka, Eine kaiserliche Botschaft
- Der Kaiser – so heißt es – hat dir, dem Einzelnen, dem jämmerlichen Untertanen, dem winzig vor der kaiserlichen Sonne in die fernste Ferne geflüchteten Schatten, gerade dir hat der Kaiser von seinem Sterbebett aus eine Botschaft gesendet.
- Den Boten hat er beim Bett niederknien lassen und ihm die Botschaft ins Ohr geflüstert; so sehr war ihm an ihr gelegen, dass er sich sie noch ins Ohr wiedersagen ließ. Durch Kopfnicken hat er die Richtigkeit des Gesagten bestätigt. Und vor der ganzen Zuschauerschaft seines Todes – alle hindernden Wände werden niedergebrochen und auf den weit und hoch sich schwingenden Freitreppen stehen im Ring die Großen des Reichs – vor allen diesen hat er den Boten abgefertigt.
- Der Bote hat sich gleich auf den Weg gemacht; ein kräftiger, ein unermüdlicher Mann; einmal diesen, einmal den andern Arm vorstreckend schafft er sich Bahn durch die Menge; findet er Widerstand, zeigt er auf die Brust, wo das Zeichen der Sonne ist; er kommt auch leicht vorwärts, wie kein anderer.
- Aber die Menge ist so groß; ihre Wohnstätten nehmen kein Ende.
- Öffnete sich freies Feld, wie würde er fliegen und bald wohl hörtest du das herrliche Schlagen seiner Fäuste an deiner Tür.
- Aber statt dessen, wie nutzlos müht er sich ab; immer noch zwängt er sich durch die Gemächer des innersten Palastes; niemals wird er sie überwinden;
- und gelänge ihm dies, nichts wäre gewonnen; die Treppen hinab müsste er sich kämpfen;
- und gelänge ihm dies, nichts wäre gewonnen; die Höfe wären zu durchmessen; und nach den Höfen der zweite umschließende Palast; und wieder Treppen und Höfe; und wieder ein Palast;
- und so weiter durch Jahrtausende; und stürzte er endlich aus dem äußersten Tor – aber niemals, niemals kann es geschehen -, liegt erst die Residenzstadt vor ihm, die Mitte der Welt, hochgeschüttet voll ihres Bodensatzes.
- Niemand dringt hier durch und gar mit der Botschaft eines Toten. – Du aber sitzt an deinem Fenster und erträumst sie dir, wenn der Abend kommt.“
Auswertung:
Wir haben die Geschichte mal zerlegt, damit die Abläufe deutlicher werden.
- Es beginnt mit dem größtmöglichen Glück für alle Menschen, denen sich die höchste Macht auf Erden offensichtlich zuwendet.
- Grandios sind die Vorbereitungen der großen Reise der Botschaft an das „Du“ dieser Geschichte, das wohl jeden meint.
- Dann aber wird deutlich, dass die Größe dieses Kaiserreichs auch ihre Probleme mit sich bringt.
- Wer es religiös interpretieren will, könnte sagen, dass es für den Menschen wirklich schwer zu begreifen ist, dass der Schöpfer der Welt zugleich auch an ihn denkt.
- Genau das und letztlich die Reduktion aller Hoffnungen auf einen Traum macht Kafka in dieser Geschichte deutlich.
- Zumindest die Träume bleiben den Menschen – eine wunderbare Sicht auf die Poesie in allen ihren Varianten.
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