Was kennzeichnet eine Kurzgeschichte? Gezeigt an einem Wolkenbild (Mat6050)

 

Worum es hier geht:

  • Uns ist es immer wichtig, wirklich zu verstehen, um was es geht. Das ist sehr viel besser, als irgendwelche Kennzeichen auswendig zu lernen.
  • Wer sich jetzt fragt, was dieses Bild hier soll, der soll sich erst mal die Beispielgeschichte und unsere Anmerkungen dazu durchlesen.
  • Am Ende gehen wir noch mal auf dieses Bild ein.

 

Wir zeigen das mal an einem Beispiel:

Hajo Frerich,

Was die Welt der Elementarteilchen uns über die Liebe verraten

Der direkte Einstieg in ein Geschehen

Natürlich hatte er schnell gemerkt, dass es in seinem Freund Jacko tüchtig brodelte. Als sie nach der Physikstunde in die Pause gingen, war er dann aber doch etwas erstaunt, wie fertig der Mann war.

  • Anm: Hier merkt man, dass eine Kurzgeschichte sehr ungewöhnlich für normale Erzählungen einsetzt. Sie setzt direkt in irgendeinem Geschehen ein, keine Einleitung oder ähnliches. Häufig werden auch einfach nur Personalpronomen für die Personen verwendet.

Er versuchte es gleich auf die direkte Art: „Sag mal, was ist los? So kenne ich dich überhaupt nicht.“

Ein Auszug aus dem Alltagsleben von Menschen

Und siehe da, es funktionierte: „Ach, es ist wegen Anna, ich hatte wirklich gedacht, das wäre was mit uns. Seit etwa zwei Wochen ist es plötzlichanders. Sie ist am Telefon ziemlich kurz und entschuldigt sich immer schnell. Hat angeblich viel zu tun.“ Es gab eine kleine Pause, dann kam doch noch was nach: „Vielleicht hängt sie ja doch noch an ihrem Ex, der war wohl letztens wieder aufgetaucht. Ich weiß echt nicht, was ich tun soll.“

  • Hier merkt man, dass es sich um einfaches Alltagsgeschehen handelt.

Da half nur eine Antwort, wie man sie gibt, wenn man selbst nicht drinsteckt: „Am besten ist, du wartest noch ein bisschen ab. So etwas klärt sich manchmal und verhindern kannst du es sowieso nicht, dass es zu Ende ist.“

In Jacko wuchs ganz offensichtlich der Widerstandsgeist: „Mensch, Leo, Ich will es aber wissen, ich will wissen, woran ich bin. Hab ich kein Recht dazu?“

Mit der Antwort hätte Jacko eigentlich rechnen können: „Und warum fragst du sie nicht?“

Jacko schüttelte den Kopf: „Ich weiß nicht, wie sie reagiert. Sie ist dann auch schnell beleidigt und das macht die Sache vielleicht noch schlimmer.“

Keine Nebenhandlungen

An der Stelle kam Leo der rettende Einfall: „Vielleicht hättest du heute einfach in der Physikstunde besser aufpassen sollen.“

  • Es gibt nur eine Handlungsschiene, keine Nebenhandlungen. Hier wird zwar scheinbar das Thema gewechselt – aber es wird bald klar, dass beides in dieser Geschichte zusammengehört.

Jackos Gesicht verzog sich zu einem einzigen Fragezeichen: „Willst du mich auf den Arm nehmen?“

„Nein, aber heute ging es um die Unschärferelation, die dieser Heisenberg herausgefunden hat.“

Sein Freund schien sich zu erinnern: „Ja, das habe ich am Rande mitbekommen, aber interessiert hat es mich nicht.“

„Aber es passt doch genau zu dir und Anna.“

Der Schmerz kehrte in Jackos Gesicht zurück: „Ja, wenn du Physik mit Spannung und Gefahr eines Stromschlags verbindest, dann hast du natürlich recht. Das kann jetzt passieren.“

„Nein, es ging doch darum, dass man bei diesen kleinen Elementarteilchen nicht gleichzeitig alles bestimmen kann, was man wissen will.“

Er hatte es geschafft. Eigentlich interessierte sich Jacko nämlich für die Welt der immer kleineren Teilchen in den Atomen: „Aja, jetzt verstehe ich, worauf du hinaus willst. Aber dass diese Minis auch Liebesprobleme haben, das wusste ich bisher nicht.“

Jetzt war etwas Nachhilfe angesagt: „Nein, die Liebesprobleme hast du – aber dieser Heisenberg hat doch herausgefunden, dass man, wenn man etwas bei einem Teilchen messen will, dass man es dann gleichzeitig verändert. Du schaust gewissermaßen genau hin, bekommst auch ein Ergebnis, dafür ist das Teilchen aber weg.

Ein mehr oder weniger offenes Ende

Jacko schaute überrascht auf: „Du meinst also …“

„Ja genau: Wenn Anna aktuell ein Problem mit dir hat und du bedrängst sie jetzt mit Fragen, dann kann es sein, dass sie endgültig keine Lust mehr auf dich hat. D.h.: So eine Frage ist wie ein Impuls und ändert möglicherweise etwas bei ihr und eurem Verhältnis. Und wenn du Pech hast …“

„Und was soll ich jetzt tun?“

Leo hatte Glück: Es klingelte – und zur nächsten Stunde mussten sie in unterschiedliche Kursräume: Immerhin konnte er Jacko noch hinterherrufen: „Das weiß ich auch nicht, aber zumindest hast du gesehen, dass der Physik-Unterricht etwas mit dem Leben zu tun hat.“

  • Hier merkt man deutlich, was ein offenes Ende ist. Jacko hat zwar einen Impuls bekommen, aber ob er damit was anfangen kann, wird in der Geschichte nicht geklärt.
  • Hier kann sich der Leser Gedanken machen.

Zusammenfassung: Kurzgeschichte als „Ausriss“ aus einem Leben mit Wendemöglichkeit

  • Insgesamt wird deutlich, dass diese Geschichte nur einen kurzen Ausschnitt aus dem Leben vor allem von Jacko präsentiert, aber einen, der bei ihm eine Veränderung auslösen kann. Wendepunkte oder zumindest die Chance dazu gibt es also häufig in Kurzgeschichten.

Und nun die „Auflösung“ unseres Wolkenbildes

  1.  Man sieht hier sehr schön, wie aus dem Nicht-Sichtbereich plötzlich ein heller Fleck hervorkommt. Da geht es einem wie einer Flugzeugbesatzung, die sich vielleicht verflogen hat und plötzlich wieder Sichtkontakt zum Boden bekommt. Aber es ist nur ein Ausschnitt – in der Kurzgeschichte eben aus dem Leben einer Person.
  2. Daraus entwickelt sich dann eine passende Handlung,
  3. bei der es plötzlich eine neue Erkenntnis und damit die Möglichkeit des Lernens mit anschließendem anderen Verhalten gibt, also eine mögliche Wende.
  4. Als Leser bekommt man noch ein paar Schluss-Impulse,
  5. aber das Ende bleibt letztlich mehr oder weniger offen, weil die Wolken wieder die mögliche weitere Entwicklung verdecken.

Ü3: Weitere Infos, Tipps und Materialien