Klausur: Erörterung eines Sachtextes zu Büchners „Woyzeck“: Frage der Aktualität (Mat8275)

Aufgabenstellung:

  1. Analysieren Sie den Text „Warum es sich lohnt, heute Georg Büchners „Woyzeck“ zu lesen“ von Julian Jürgens unter besonderer Berücksichtigung seiner Position.
  2. Nehmen Sie vor dem Hintergrund der Unterrichtsergebnisse und eigener Erfahrungen dazu Stellung.

Zu finden ist der Artikel hier:
https://neuesmorgenblatt.de/beitrag/warum-es-sich-lohnt-heute-georg-b%C3%BCchners-woyzeck-zu-lesen

Hinweise zur Lösung der Aufgaben – Teil 1 des Textes

Den Text haben wir aus urheberrechtlichen Gründen hier nicht abgedruckt. Wir zeigen hier nur die Anfänge der Zeilen, um so Nachvollziehbarkeit bei den Hinweisen zur Lösung zu erreichen.

Außerdem haben wir in der Spalte rechts die einzelnen Abschnitte analysiert und ausgewertet. Dabei war es uns wichtig, kritische Gedanken sofort festzuhalten. Die braucht man schließlich zur Lösung der Aufgabe 2.

Hier zunächst ein Screenshot des ersten Teils – links die Anfangszeilen zur Orientierung – rechts daneben die Anmerkungen.

Weiter unten haben wir die Anmerkungen auch als Erläuterungstext herausgezogen.

  1. Einstieg über die Kurzvorstellung einer Messerstecherei in Würzburg -> „Attentäter“ für „möglicherweise schuldunfähig“ erklärt.
  2. Überleitung: Nutzung des Falls für das Aufwerfen der Fragen:
    1. Was bedeutet das?
    2. Und welche Voraussetzungen müssen vorliegen.
  3. Bereitstellung von Antwort-Informationen: 4 Fälle nach StGB
    1. wenn jemand „ohne Schuld“ gehandelt hat
    2. z.B. „wegen einer krankhaften seelischen Störung“
    3. „wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung“
    4. „wegen einer Intelligenzminderung“
    5. „oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln“.
  4. Auswertung durch den Autor: Erinnerung an Büchners „Woyzeck“
    1. Thema „(Un)Freiheit des menschlichen Willens“
    2. Konkreter Fall: 1821 Ein Arbeitsloser ersticht seine Geliebte
  5. Gemeinsamkeit und Untersuchungsfrage:
    1. Autor sieht als Gemeinsamkeit einen Erstechungs-„Gewaltakt“
    2. Frage nach der Verantwortlichkeit Woyzecks
    3. Büchner „hinterfragt“ „Schuldhaftigkeit des Täters“ (tut er das wirklich?)
    4. „zeigt in seinem Sozialdrama präzise die Umstände, die schließlich zum grausigen Mord an Marie führen.“ (Wirklich „präzise“, auch alle?)(Gibt es eine fachgerechte Untersuchung im Stück?)
  6. Hinweis auf Fachqualität Büchners als Arzt und sein Studium der medizischen und juristischen Berichte
    1. Gemeinsamkeit: hören beide Stimmen
    2. beide leiden „unter extremer Geldnot“ -> „zahlreiche Gelegenheitsjobs“
    3. „Untreue der jeweiligen Geliebten“
    4. Fazit: „Die literarische Figur und die reale Person haben mithin große Ähnlichkeit.
  7. „Selbstkundgabe“ des Autors
    1. liest lieber Literatur zu schönen Themen
    2. konnte zunächst mit dem Drama „nicht wirklich etwas anfangen“
    3. allmählich wachsendes Mitleid (Ist das ein Beurteilungskriterium?)
    4. Verständnis für jemanden, der sich bei solchem Druck „irgendwann nicht mehr unter Kontrolle“ hat (Reicht das aus für Schuldunfähigkeit?)
    5. Verbindung mit der Frage: „Ist der Mensch frei? Oder fremdbestimmt?(Es geht doch hier um einen kranken Menschen? Was hat das
    6. mit einem allgemeinen Urteil über Menschen zu tun?▪

Hinweise zur Lösung der Aufgaben – Teil 2 des Textes

8. Hinweis auf die Rasierszene – siehe die folgende Seite

  • Hauptmann predigt Moral
  • und verspottet Woyzeck
  • Woyzeck verweist auf die die sozialen Voraussetzungen von moralischem Verhalten
  • Woyzeck verhält sich hier doch völlig rational, ist dem Hauptmann geistig überlegen.
  • Erlaubt soziale Not dann jede Art von Selbsthilfe? Was wären die Konsequenzen?

9. Zusammenfassende Auswertung:

  • Zugeständnis, dass man Büchner nicht in allen Punkten zustimmen muss (Das wüsste man gerne genauer!)
  • Hinweis: Woyzeck sei ein „extremes Beispiel“ und damit nicht geeignet für ein allgemeines Urteil über „Willensfreiheit und Schuldfähigkeit des einzelnen“(Aber das genau haben doch Gutachter und Prozess zu klären versucht, was leistet hier ein fragmentarisches Drama?)
  • Rückzug auf Lektüre als Anregung zum selbständigen Nachdenken(Dann müssten wir die Akten lesen und mit Fachleuten sprechen. Das kann man auf Basis des Dramas überhaupt nicht beurteilen. Damit stellt sich die Frage: Was sind Anregungen wert, aus denen nichts direkt werden kann?)

10. Rückkehr zum Ausgangs-Ereignis:

  • Noch problematischer – denn im Unterschied zu Woyzecks Fall weiß man darüber fast nichts.

11. Schluss-Überlegungen

  • Hinweis auf Fragment-Charakter des Stückes
  • Hinweis auf Gerichtsurteil im realen Fall
  • Zitat eines Geistlichen, der den damaligen Täter scharf kritisiert
  • Das wird dann auf Woyzeck übertragen(Hier wird alles einfach vermischt – sehr problematischer Gedankengang)
  • Fazit: „Die Lektüre lohnt“ (Das ist nicht überzeugend nachgewiesen worden, im Gegenteil: Es sind eher Probleme deutlich geworden.)

12. Nachtrag:

  • Hinweis auf das Fragmentarische und die Kürze des Werkes, was angeblich „besticht“(Seit wann sind das die zentralen Kriterien für die Auswahl einer Schullektüre? Es müsste auch zumindest begründet werden.)
  • Hinweis auf die angeblich geringe Lese-Belastung im Vergleich zu einer Netflix-Folge(Das wird Schülis nicht unbedingt überzeugen. Sie könnten argumentieren, dass die Analyse einer Serie nach dem Sehen mehr bringt, z.B. für die Frage: Warum sich das so viele freiwillig anschauen …)

Hinweise zur Lösung der Aufgaben – Stellungnahme

  1. [Erst mal etwas Allgemeines und möglichst Positives]
    • Der Verfasser dieses Textes hat sich einer wichtigen Frage zugewandt:
    • nämlich der Frage der aktuellen Bedeutung dieses Dramenfragments im Unterricht,
    • verbunden mit der Frage der Schuldfähigkeit eines Angeklagten,
    • was er ausweitet auf die grundsätzliche Frage der Willensfreiheit des Menschen.
  2. [Wahl einer Strategie für die Stellungnahme]
    • Ein Grundproblem dieses Textes wird gleich am Anfang deutlich: Da wird nämlich eine minimale Gemeinsamkeit, nämlich ein tödlicher Angriff mit einem Messer zu mehr genutzt als nur einem Anfhänger.
    • Denn über den Angriff in Würzburg werden keine Einzelheiten mitgeteilt, sondern nur die Verlegung in ein psychiatrisches Krankenhaus mit dem Hinweis, er sei „möglicherweise schuldunfähig“.
    • Wichtig wäre zu klären, ob dieser Somalier in einer ähnlichen tendenziell krankhaften Ausnahmelage gewesen ist wie Woyzeck.
    • Es ist zu vermuten, dass das in Würzburg keine Beziehungstat gewesen ist – das hätte vom Verfasser wenigstens angesprochen werden müssen.
  3. [Positive Wertung der Erläuterung der StGB-Regelung]
    • Hilfreich ist sicher die Nennung der verschiedenen Möglichkeiten, die für eine Schuldunfähigkeit sprechen können.
    • Problem ist aber, dass es sich hier um juristische Fachbegriffe handelt, die ihre Bedeutung erst im Rahmen von Kommentaren und praktischer Rechtsprechung bekommen.
  4. [Problem des Vergleichs des Würzburger Attentäters mit Woyzeck]
    • Ganz problematisch ist dann die Vermischung der allgemeinen Frage nach der „(Un)Freiheit des Menschlichen Willens“ und der hier eigentlich anstehenden Ausnahmesituation.
    • Man könnte allgemein sagen: Das Vorliegen einer Ausnahmesituation sagt wenig bis nichts über den „gesunden“ Normalfall aus. Das ist ein erster Grundmangel dieses Artikels, der auch kaum behoben werden kann. Das hängt mit den weiteren Grundmängeln zusammen.
  5. [Die Frage der Schuldfähigkeit bei Woyzeck]
    • Hingewiesen wird, dass Büchner sich intensiv mit den Berichten auseinandergesetzt hat. Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass er über eine fachliche, nämlich medizinische Qualifikation verfügt.
    • Nicht berücksichtigt wird, dass Bericht nur Informationen und Einschätzungen aus zweiter Hand ermöglichen. Man stelle ich vor, Büchner hätte einen medizinischen Fall beurteilt, ohne den Patienten selbst gesehen zu haben. Hier wäre auch zu prüfen, wie es mit den psychiatrischen Kenntnissen Büchners ausgesehen hat. Praxis hatte er sicher nicht.
    • Interessant ist dann die Zusammenstellung der Faktoren, die möglicherweise auf Schuldunfähigkeit hindeuten: Hier wird allen Ernstes das Hören von Stimmen vermischt mit „Geldnot“ und Eifersucht. Man muss sich das mal vorstellen: Heißt das für den Autor, dass jeder Mörder aus Geldnot straffrei ausgehen kann? Und Raserei aus Eifersucht macht schuldunfähig? Außerdem hat Woyzeck seine Tat kaltblütig geplant, sonst hätte er nicht vorher ein Messer gekauft.
  6. [Das Problem des Mitleids]
    • Im weiteren Verlauf wird auf das Mitleid verwiesen, dass beim Autor im Hinblick auf Woyzeck entstanden ist.
    • Mal abgesehen von der Bedeutung von Gefühlen bei einem Richterspruch – wir haben viel mehr Mitleid mit Marie, die auf eine absolut hässliche, mitleidlose Art regelrecht abgeschlachtet wird. Dann wieder der Sprung in die philosophische Frage von Freiheit und Unfreiheit des Willens. Ist das eine Gefühlsfrage?
  7. [Die Rasierszene]
    • Ebenso erstaunlich ist, dass dem Autor nicht aufgefallen ist, dass gerade die Rasierszene überhaupt nicht geeignet ist, bei Woyzeck Schuldunfähigkeit zu diagnostizieren.
    • Schließlich argumentiert er nicht nur sehr überzeugend, sondern zeigt sich auch seinem Vorgesetzten absolut überlegen. Gerade diese erstaunlich kühle Rationalität im Hinblick auf das uneheliche Kind müsste berücksichtigt werden.
  8. [Der Schluss]
    • Seltsam ist auch die Feststellung des Autors, man müsse Büchner „nicht in allen seinen Ansichten zustimmen“. Was meint er damit? Hat Büchner seinen „Woyzeck“ kommentiert, vielleicht sogar im Dramenfragment, ohne dass wir das gemerkt haben?
    • Dafür dann der Rückzug auf das Anregungspotenzial des Dramas: Einverstanden – allerdings liefert das Drama keine Antworten auf die Frage der Willensfreiheit – siehe oben.
    • Dann der Hinweis auf den realen Prozess und das Urteil. Wir denken, es geht doch um den literarischen Woyzeck. Für den gilt nur, was im Text steht – und beim historischen Woyzeck müsste man mit den Schülis die Akten lesen, was kaum möglich und sinnvoll sein dürfte – denn dazu muss man juristische und medizinische Voraussetzungen mitbringen.
    • Was das Urteil des Geistlichen angeht, müssen wir es nicht teilen. Vom sachlichen Faktum dieses Abschlachtmordes aus niederen Motiven her gehört unser Mitgefühl wie schon gesagt ganz Marie. Und wenn das damalige Urteil nachvollziehbar ist, dann hat der reale Woyzeck schon so etwas wie „Verdorbenheit“ gezeigt – man muss nur klären, was damit genau gemeint ist.
    • Über den Schluss des Artikels muss man wohl gar nicht reden. Wir nehmen mal zu Gunsten des Autors an, dass es einfach witzig sein sollte. Zur Wahrheitsfindung über die Nützlichkeit von Schullektüren (und wir schließen hier Netflix-Serien grundsätzlich mit ein) sagt das kaum etwas aus. Wir kennen auch eine Videofassung von Goethes Faust, Teil 1, die an Gehalt nichts verloren hat, auch wenn sie das Werk auf 60 Minuten gekürzt hat. Und was Netflix-Serien angeht: Sie sollen gut gemacht sein – und allein schon die Beliebtheit und der Erfolg sind ein interessantes Thema auch für den Medienbereich des Deutschunterrichts.
  9. [Eigene Meinung]
    • Wir sind der Meinung, dass die Behandlung von Büchners Woyzeck vor allem auf einem Missverständnis beruht. Büchner hat sicher für seine Zeit etwas Außergewöhnliches geschaffen – man denke an die so genannte „Offene Form des Dramas“.
    • Leider ist der „Woyzeck“ nur als Fragment überliefert, wie der Autor des Artikels richtig feststellt. Wie man aus so etwas eine Form herausdestillieren will, ist und bleibt wohl das Geheimnis der Germanisten.
    • Und was den Inhalt des Dramas angeht: Entweder ist Woyzeck ein Verbrecher – und da gibt es sicherlich heute Fälle, die den Schülis näher liegen können – oder aber er ist krank, dann ermöglicht die Vorstellung eines Falles vielleicht Mitleid, aber eben eher mit Marie. Ansonsten lernt man als medizinischer Laie daraus absolut nichts. Allenfalls verbreiten sich Angstgefühle, wenn man auf Menschen trifft, die Stimmen hören. Und die können auch ganz nett und anregend sein.

Hinweise auf eine andere Seite

Auf der folgenden Seite wird der Text analysiert – mit Stellungnahme:

https://textaussage.de/uebung-sachtextanalyse-artikel-zur-aktuellen-bedeutung-von-buechners-woyzeck