Klausur: Vergleich von Heines Kritik am deutschen Volk mit seinem Gedicht „Erinnerung aus Krähwinkels Schreckentagen“ (Mat4824)

Worum es hier geht:

  • Vergleich von Heines Vorrede zu den „Französischen Zuständen“ mit dem Gedicht „Erinnerung aus Krähwinkels Schreckentagen“
  • Dieses Dokument präsentiert zwei Texte von Heine, die den Zusammenhang zwischen seiner Arbeit als kritischer Berichterstatter und Dichter deutlich werden lassen.
  • Herausgearbeitet werden dabei die Parallelen, wobei das Typische „In-der-Schwebe-Lassen“ wichtiger Fragen bei Heine genauso deutlich wird wie seine vielschichtige Ironisierung.
  • Die Bearbeitung der beiden Texte kann sehr gut in einer Klausur erfolgen – dementsprechend enthält dieses Dokument eine präzise Aufgabenstellung samt Lösungshinweisen.

Mögliche Klausur – Text und Aufgabenstellung

Konkrete Aufgabenstellung:

  1. Arbeiten Sie zunächst aus dem Text „Das deutsche Volk – „der große Narr“ die zentralen Aussagen heraus.
  2. Interpretieren Sie anschließend das Gedicht „Erinnerung aus Krähwinkels Schreckentagen“ und
  3. Zeigen Sie außerdem auf, inwieweit der erste Text das Verständnis des Gedichtes bestimmt.

Textvorlage 1: H. Heine, Das deutsche Volk – „der große Narr“

Seid auch außer Sorge in Betreff der kleinen Narren, die EuchKlausur: Vergleich von Heines Kritik am deutschen Volk mit seinem Gedicht „Erinnerung aus Krähwinkels Schreckentagen“ zuweilen mit bedenklichen Späßen umgaukeln. Der große Narr schützt Euch vor den kleinen. Der große Narr ist ein sehr großer Narr, riesengroß, und er nennt sich deutsches Volk.

O, das ist ein sehr großer Narr! Seine buntscheckige Jacke besteht aus sechsunddreißig Flicken [Heine bezieht sich hier auf die Zahl der Staaten des Deutschen Bundes]. An seiner Kappe hängen, statt der Schellen, lauter zentnerschwere Kirchenglocken, und in der Hand trägt er eine ungeheure Pritsche von Eisen. Seine Brust aber ist voll Schmerzen. Nur will es an diese Schmerzen nicht denken, und er reißt deshalb um so lustigere Possen, und er lacht manchmal um nicht zu weinen. Treten ihm seine Schmerzen allzubrennend in den Sinn, dann schüttelt er wie toll den Kopf, und betäubt sich selber mit dem christlich frommen Glockenläuten seiner Kappe. Kommt ein guter Freund zu ihm, der teilnehmend über seine Schmerzen mit ihm reden will, oder gar ihm ein Hausmittelchen dagegen anrät: dann wird er rein wütend und schlägt nach ihm mit der eisernen Pritsche. Er ist der schlimmste Feind seiner Freunde und der beste Freund seiner Feinde. O! der große Narr wird Euch immer treu und unterwürfig bleiben, mit seinen Riesenspäßchen wird er immer Eure Junkerlein ergötzen, er wird täglich zu ihrem Vergnügen seine alten Kunststücke machen, und unzählige Lasten auf der Nase balancieren, und viele hunderttausend Soldaten auf seinem Bauche herumtrampeln lassen. Aber habt Ihr gar keine Furcht, daß dem alten Narren mal all die Lasten zu schwer werden, und daß er Eure Soldaten von sich abschüttelt und Euch selber, aus Überspaß, mit dem kleinen Finger den Kopf eindrückt, so daß Eurer Hirn bis an die Sterne spritzt?

Fürchtet Euch nicht, ich scherze nur. Der große Narr bleibt Euch untertänigst gehorsam, und wollen Euch die kleinen Narren ein Leid zufügen, der große schlägt sie tot.

Französische Zustände, Vorrede, 18. Okt. 1832. III, 76 f.

Hinweise zum Kontext dieser Vorrede:

Heine ist zu diesem Zeitpunkt in Frankreich und beschreibt die dortigen Zustände nach der Julirevolution von 1830 in einer Reihe von Berichten. Als diese in Deutschland mit der Zensur zu tun bekommen, bricht Heine die Berichtserie ab und macht die erschienenen Teile zu einem Buch unter dem Titel „Französische Zustände“.

Die Julirevolution hatte in Frankreich die nach der Französischen Revolution zunächst wiederhergestellte Herrschaft der Bourbonenkönige beendet und einen liberalen, dem Bürgertum verpflichteten König an die Macht gebracht, der sich aber auch nur bis 1848 halten konnte, als es zu einer erneuten Revolution in Frankreich kam.

Textvorlage  2: H. Heine, Erinnerung aus Krähwinkels Schreckentagen

(1)
Wir Bürgermeister und Senat, [Gemeint sind die deutschen Fürsten]
Wir haben folgendes Mandat
Stadtväterlichst an alle Klassen
Der treuen Bürgerschaft erlassen.

(2)
Ausländer, Fremde, sind es meist,
Die unter uns gesät den Geist
Der Rebellion. Dergleich Sünder,
Gottlob! Sind selten Landeskinder.

(3)
Auch Gottesleugner sind es meist;
Wer sich von seinem Gotte reißt,
Wird endlich auch abtrünnig werden
Von seinen irdischen Behörden.

(4)
Der Obrigkeit gehorchen, ist
Die erste Pflicht für Jud und Christ.
Es schließe jeder seine Bude,
Sobald es dunkelt, Christ und Jude.

(5)
Wo ihrer drei beisammen stehn,
Da soll man auseinander gehen.
Des Nachts soll Niemand auf den Gassen
Sich ohne Leuchte sehen lassen.

(6)
Es liefre seine Waffen aus
Ein Jeder in dem Gildenhaus;
Auch Munition von jeder Sorte
Wird deponiert am selben Orte.

(7)
Wer auf der Straße räsonniert, [protestiert]
Wird unverzüglich füsiliert; [erschossen]
Das Räsonnieren durch Gebärden
Soll gleichfalls hart bestrafet werden.

(8)
Vertrauet eurem Magistrat,
Der fromm und liebend schützt den Staat
Durch huldreich hochwohlweises Walten;
Euch ziemt es, stets das Maul zu halten.

Hinweise zur Lösung

  1. Arbeiten Sie zunächst aus dem Text „Das deutsche Volk – „der große Narr“ die zentralen Aussagen heraus.
    • Entscheidend ist zunächst einmal, dass Heine sich in ironischer Absicht an die deutschen Fürsten wendet und sie auf das deutsche Volk als ihren größten Schutz hinweist – mit der kleinen Einschränkung, dass es sich dabei um einen „sehr großen Narren“ (2) handelt. Unklar bleibt, wer die „kleinen Narren“ sind, am meisten Sinn macht es, wenn es sich dabei um die Revolutionäre handelt, letztlich auch Leute wie Heine, der sich ja auch in seinen Gedichten „mit bedenklichen Späßen“ hervorgetan hatte.
    • Ab Zeile 4 wird dann das deutsche Volk in seiner Narreneigenschaften näher beschrieben, hier sollten einzelne Elemente genauer analysiert werden: So ist etwa von der Kleinstaaterei und von der drückenden Macht der Kirche die Rede. Ein weiterer Punkt ist die fehlende positive Reaktion auf die, die „teilnehmend über seine Schmerzen mit ihm reden“ wollen, wohl in aufklärerischer Absicht.
    • Ab Zeile 14 kommt dann ein Bruch: Plötzlich werden die Fürsten gefragt, ob sie nicht doch (berechtigte) Furcht vor diesem Volk haben. Auch hier bleiben Dinge in der Schwebe: Zum einen scheint dieses Volk für Heine viel Kraft zu haben, der „keine Finger“ reicht, um die Fürsten zu entmachten, andererseits würde das deutsche Volk so etwas nur „aus Überspaß“ machen – hier bleibt unklar, ob das Ironie ist oder – wohl wahrscheinlicher – dass auch eine solche Befreiungsaktion letztlich ein „bewusstloser“ Akt wäre, d.h. ohne revolutionäre Absicht und Strategie zustande käme.
    • Am Ende kehrt Heine zur Ausgangsposition zurück: Er gibt sich sicher, dass das Volk nichts unternehmen wird, zumindest nicht gegen die Fürsten, eher gegen die, die es aufrütteln und die Verhältnisse ändern wollen.
    • Insgesamt bleibt dieser Text in einem wesentlichen Punkt in der Schwebe: Es wird letztlich nicht klar, was Heine dem Volk wirklich zutraut, ob Anfang und Schluss gelten oder die Warnung dazwischen. Auf jeden Fall vermisst Heine aber im deutschen Volk revolutionären Elan und den richtigen Umgang mit denen, die es aufklären wollen.
  2. Interpretieren Sie anschließend das Gedicht „Erinnerung aus Krähwinkels Schreckentagen“ und
    • Das Gedicht beginnt mit der Beschreibung eines Aufrufs einer Stadtregierung an ihre Untertanen: Wichtig ist die nähere Beschreibung der „Sünder“ als solche, die „Rebellion“ (in Wahrheit eher „Revolution“) beabsichtigen. Scheinbar beruhigt oder auch beruhigend wird darauf hingewiesen, dass es sich meist um „Ausländer, Fremde“ handelt. Heine zählt sich selbst und die Emigranten wahrscheinlich dazu.
    • Nach der ersten näheren Beschreibung in der 2. Strophe kommt eine weitere in der 3. Strophe: Zur Gefahr des Aufstands gegen die Staatsgewalt kommt die der Infragestellung der Religion – offen wird dabei der Zusammenhang zwischen beiden Punkten (eine wunderschöne Zusammenfassung eines Kernphänomens im Gefolge der Aufklärung) aufgewiesen.
    • Nach der Beschreibung der Feinde wendet sich das Gedicht in der 4. Strophe den Untertanen zu, beschreibt ihre Pflichten, die im zweiten Teil schon ins Ironische hinein akzentuiert werden.
    • Die 5. Strophe macht dann in dieser Hinsicht weiter und beschreibt ein typisches Nachtwächteridyll, das diese Stadtväter wollen: Nur Spaziergänger, die auf gar keinen Fall zusammenstehen und Gedanken, vielleicht gar revolutionäre, austauschen, außerdem muss alles im Hellen geschehen, also kontrollierbar sein.
    • Die 6. Strophe spielt dann auf Zustände an, wie sie nur in (halb-)revolutionären Zeiten zustande kommen konnten: Eine schreckliche Vorstellung, dass die Bürger Waffen haben – damit wird wohl auf Restbestände der Freiheitskriege gegen Napoleon angespielt – damals brauchte man das Volk, jetzt soll es sich einfach nur noch fügen und alle Macht abgeben.
    • Die 7. Strophe knüpft an die 5. an und präzisiert sie: Neben dem Versammlungsverbot geht es um den Verzicht auf freie Meinungsäußerung, wobei das Gedicht wieder stark ins Ironische hineingeht: Deutlich werden die völlig überzogenen Reaktionen sowie der verzweifelte, letztlich misslingende Versuch, den Rückzug aus dem offenen Wort in Andeutungen auch noch zu unterbinden.
    • Die letzte Strophe knüpft an die erste an und beschreibt das Verhältnis zwischen Regierung und Volk, die letzte Zeile bringt dann die Pointe: Sie drückt inhaltlich das aus, was der Magistrat will, die sprachliche Form aber präsentiert Ironie und ruft eher zum Widerstand auf.
  3. Zeigen Sie außerdem auf, inwieweit der erste Text das Verständnis des Gedichtes bestimmt.
    • Der erste Text beschreibt aus der Sicht Heines die Schwäche des deutschen Volkes in revolutionärer Hinsicht. Es ist – ohne es zu wissen, zu merken und zu wollen – die größte Unterstützung des Bestehenden, während die wenigen, die anders, revolutionär denken, problemlos verfolgt werden können.
    • Der zweite Text nun beschreibt die Maßnahmen der Regierung, die auf diesem allgemeinen Verhaltenspotenzial aufbauen: Man glaubt, diesem Volk alles zumuten zu können und es in gewisser Weise gegen die Revolutionäre immunisieren und instrumentalisieren zu können.
    • Beide Text gehen in die gleiche Richtung, der eine als expositorische, der andere als fiktionale Variante. Das Gedicht setzt darüber hinaus aber auf ironische Elemente, die beim Leser die Einsicht wecken können in das, was hier eigentlich mit ihm geschieht. Am deutlichsten wird das in der Schlusszeile. Das damit gegebene Potenzial wird aber nicht näher genutzt – es wird nicht angedeutet, was jetzt konkret getan werden muss und kann. Damit ist das Gedicht in gleicher Weise in der Schwebe wie die Vorrede, was die Umsturzfähigkeit des deutschen Volkes angeht.
    • Darüber hinaus hat es als fiktionaler Text natürlich ein sehr viel größeres, weil zeitloses Potenzial: Es kann auf jede vergleichbare Situation bezogen werden, in der eine Obrigkeit sich fürsorglich gibt, dabei aber letztlich nichts im Sinne hat als das die Immunisierung gegenüber Aufmüpfigkeit und die Sicherung der eigenen Herrschaft. Hier bleibt es jedem Leser selbst überlassen, in welche Richtung er dieses Potenzial nutzt.

Weitere Infos, Tipps und Materialien 

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