Lösungshinweise zur Klausur zum Roman „Heimsuchung“ – Frage des Humors und des Jahrhundertromans (Mat8630-khj-loe)

Worum es hier geht:

Auf der Seite
https://textaussage.de/klausur-zum-roman-heimsuchung-frage-des-humors-und-des-jahrhundertromans
haben wir eine Klausuraufgabe vorgestellt,

Hier nun Hinweise zur Lösung, die wir uns in der Basis von NotebookLM haben erstellen lassen. Wir werden sie hier aber noch in unserem Sinne erweitern – denn die KI kennt ja unseren Ansatz nicht: „Beyond the books“ – also über das hinaus, was überall schon in den Büchern steht.

Musterlösung Aufgabe 1:

Analyse der Ausschnitte aus dem Kapitel „Die Frau des Architekten“ (Z. 1–24)

a. Einordnung der Ausschnitte in den Gesamtzusammenhang des Romans

Der vorliegende Ausschnitt stammt aus dem Kapitel „Die Frau des Architekten“ (Kapitel 9) und behandelt zentrale Themen dieses Lebensabschnitts der Protagonistin. Die beschriebenen Szenen spielen auf der Terrasse des Hauses am See, während die Architektenfrau und ihr Mann Freunde bewirten und Krebse essen. Die Ereignisse, die erzählt werden, sind zeitlich vage verortet, als Geschehnisse, die sich „an irgendeinem der Sommerabende in irgendeinem der letzten zwanzig Jahre“ zugetragen haben. Diese zeitliche Unbestimmtheit unterstreicht die Haltung der Architektenfrau, für die die Zeit „zur Verfügung“ zu stehen scheint „wie ein Haus, in dem sie mal dieses, mal jenes Zimmer betreten kann“. Der Abschnitt markiert den Moment, in dem die Architektenfrau, die sich durch die Heirat ein „Stück Ewigkeit gekauft“ glaubte, erkennen muss, dass dieses Ideal zerbrochen ist. Das Ende des Ausschnitts verweist auf das „Loch“ in ihrer Ewigkeit, das der Russe gegen Ende des Krieges gebohrt hat, und leitet zur Beschreibung der nun folgenden Ereignisse der Flucht in den Westen über.

b. Herausarbeiten, was hier erzählerisch präsentiert wird

Die Erzählung präsentiert eine Reihe von Anekdoten, die am Beispiel von Krebse-Essen-Abenden die Bewältigungsstrategie der Architektenfrau gegenüber historischen und persönlichen Krisen zeigen. Die zentrale erzählerische Präsentation ist die dreifache Wiederholung eines Witzes oder einer Pointe: „Humor ist, wenn man trotzdem lacht“. Drei unterschiedliche Situationen aus der deutschen Geschichte werden in lockerer Gesellschaft besprochen, denen die Frau des Architekten mit demselben Satz begegnet: 1. Nationalsozialismus und Verfolgung: Ein Filmregisseur berichtet von den Schwierigkeiten, arische Schauspieler als „lästigen jüdischen Schieber Ipplmeier“ zu schminken, wobei die Maskenabteilung meint, die Schauspieler sähen aus „wie waschechte“ Semiten. 2. DDR-Aufbau und Bürokratie: Der Architekt erzählt, dass er mit privatem Geld Schrauben im Westen kaufen muss, um das Plan-Soll der jungen Republik für ein Gebäude zum dritten Jahrestag zu erfüllen. 3. Kriegstrauma und Zerstörung: Der Mann schildert, wie die Russen am Ende des Krieges den Garten zur Pferdekoppel umfunktioniert und alles zertrampelt hatten, und wie er den Gärtner dabei weinen sah. Die letzte Anekdote bricht mit dem Muster: Hier sagt der Architekt alles, seine Frau hingegen sagt nichts, sondern wischt sich nur die Hände ab. Erst ein Freund des Paares, der nur das Gesagte beurteilen kann, greift die Phrase auf. Erzählerisch wird durch diese Struktur die Diskrepanz zwischen der gefühlten Ewigkeit und der tatsächlichen, brüchigen Realität aufgebaut.

c. Welche Aussagen man dem entnehmen kann

Dem Ausschnitt lassen sich folgende zentrale Aussagen entnehmen: • Verdrängung und Humor als Überlebenstaktik: Die Phrase „Humor ist, wenn man trotzdem lacht“ funktioniert als Leitmotiv für die Verdrängung oder das Abmildern von traumatischen historischen Ereignissen. Die Frau des Architekten nutzt den Humor, um selbst angesichts von Krieg, Antisemitismus und politischer Absurdität ihre Selbstbehauptung und Lebenslust zu bewahren. • Die Wiederkehr des Traumas: Obwohl die Frau bei den ersten beiden Anekdoten souverän lacht und die Pointe liefert, versagt ihre Abwehrmechanismus bei der dritten Erzählung über den weinenden Gärtner und den zerstörten Garten. Dies deutet darauf hin, dass die Zerstörung des Hauses/Gartens durch die Russen das tiefste, nicht humorisierbare Trauma darstellt. • Illusionsverlust: Die Frau hat geglaubt, der Kaufvertrag habe ihr ein „Stück Ewigkeit“ gesichert. Diese Illusion ist durch die „eine Nacht in dem […] begehbaren Schrank“ (die auf die Vergewaltigung durch den Rotarmisten anspielt, wie im Kapitel „Der Rotarmist“ dargestellt) unwiderruflich zerstört. Die Historie hat ein „Loch“ in ihre private Ewigkeit gebohrt, durch das nun „die Zeit fortwährend aus“ rinnt. • Die Schwere der Zeit: Obwohl die Zeit unwiderruflich vergeht, beschreibt der Text, dass „nur, weil die Zeit so schwer ist, […] sie sich sogar mit dem Davonlaufen Zeit lassen muss“. Dies erklärt, warum die Frau sechs Jahre nach dem Krieg immer noch auf der Terrasse sitzt, bevor sie flieht.

d. Sprachliche und andere Mittel

Der Textausschnitt verwendet gezielt folgende sprachliche Mittel: • Leitmotiv: Die Wiederholung der Phrase „Humor ist, wenn man trotzdem lacht“ fungiert als zentrales, ironisches Leitmotiv, das die Strategie der Protagonistin zusammenfasst. • Indefinite Temporalangaben: Formulierungen wie „an irgendeinem der Sommerabende in irgendeinem der letzten zwanzig Jahre“ lösen die Geschehnisse aus der linearen Chronologie und verdeutlichen, dass die inneren Erfahrungen der Architektenfrau ihre eigene „Zeit“ besitzen. • Ironie und Sarkasmus: Die Erzählungen selbst sind ironisch: Ein Filmregisseur seufzt über die Schwierigkeit, Nicht-Semiten für die Rolle eines jüdischen Schiebers zu schminken. Der Architekt muss Schrauben illegal beschaffen, um das Soll des Staates zu erfüllen, der ihn später verfolgen wird. • Kontrast und Metaphorik: Der Krebstopf (Symbol für Genuss und Gesellschaft) kontrastiert stark mit den politischen und kriegerischen Themen. Die Metapher des „Lochs“ in der „Ewigkeit“ ist eine starke, körperlose Darstellung des Verlusts durch historische Gewalt. ——————————————————————————–

Aufgabe 2: Stellungnahme „Heimsuchung“ – ein Jahrhundertroman?

Typisch deduktive Ausgangsthese, die dann begründet wird:
Die These, dass es sich bei Jenny Erpenbecks „Heimsuchung“ um einen Jahrhundertroman handelt, kann durch die Analyse der vorliegenden Textausschnitte und des Gesamtkonzepts des Romans umfassend bejaht werden.

Der Roman erfüllt die Kriterien eines Jahrhundertromans, indem er die Geschichte des 20. Jahrhunderts anhand eines einzigen Ortes, dem Grundstück am Märkischen Meer, verdichtet.

  • Wir sehen das anders. Hier erfolgt eine Verdichtung, die eher Fragmentierung bedeutet. Das heißt: Es wird nur ein winziger Ausschnitt aus einer Epoche präsentiert – und fast nichts von dem aufgenommen, was man zum optimalen Verständnis auch des zeitlichen Hintergrunds braucht.

Argumentation für die These 1.

Abdeckung zentraler historischer Phänomene des 20. Jahrhunderts: Der Roman greift die wichtigsten Epochenbrüche und politischen Systeme in Deutschland und Europa auf:

• Antisemitismus und Holocaust: Die Textstelle erwähnt den „lästigen jüdischen Schieber Ipplmeier“, was auf die Verfolgung der Juden im Nationalsozialismus hindeutet. An anderer Stelle wird detailliert das Schicksal der jüdischen Vorbesitzer (Tuchfabrikantenfamilie Ludwig) dargestellt, deren Besitztum arisiert wurde und deren Familienmitglieder in Gaswagen ermordet wurden. • Zweiter Weltkrieg und Besatzung: Der Ausschnitt thematisiert direkt die russische Besatzung und die Zerstörung des Gartens durch die Rotarmisten.

• Teilung Deutschlands und DDR-System: Der Architekt wird gezwungen, Schrauben im Westen zu kaufen, um Planvorgaben im Osten zu erfüllen. Später wird er wegen dieses Verstoßes zur Flucht nach West-Berlin genötigt. Die Frau des Architekten blickt auf den See, der „inzwischen Volkseigentum geworden“ ist.

2. Die Fokussierung auf einen Ort als Brennpunkt der Geschichte:

Der Roman nutzt das Grundstück am See als Mikrokosmos der Geschichte. Die verschiedenen Besitzer (Schulzen-Tochter Klara, jüdischer Tuchfabrikant, Architektin, Schriftstellerin, unberechtigte Eigenbesitzerin) sind wie Schichten, die die Geschichte des Ortes bilden. Die Geschichte wird nicht linear, sondern spiralförmig oder überlagernd erzählt (dargestellt durch die zeitliche Vageheit in Z. 1, 7, 14). Dadurch wird sichtbar, wie Gewalt, Vertreibung, und der Verlust von Heimat (Heim) immer wiederkehren.

3. Die Thematisierung von Verlust, Heimat und Zeit:

Der Roman stellt die Suche nach „Heimat“ und die Illusion der „Ewigkeit“ in den Mittelpunkt. Die Frau des Architekten erlebt, dass ihr sicheres Zuhause („dritte Haut“ nach der Kleidung) zur „Falle“ wird. Die Erzählung geht über das Schicksal Einzelner hinaus und zeigt, wie sich die große Historie in die intimste Privatsphäre einschreibt und diese zerstört (das „Loch“ in der Ewigkeit). 4. Das Erzählprinzip der Überlappung und der zyklischen Wiederkehr: Der Roman verzahnt die Schicksale der Charaktere oft metaphorisch und sachlich: Die Frau des Architekten trocknet sich mit den Handtüchern des Tuchfabrikanten ab, der das Badehaus an sie verkaufen musste. Die unberechtigte Eigenbesitzerin, die das Haus später räumen muss, schläft im Schrank der Architektenfrau. Die Figur der „Frau des Architekten“ in den vorliegenden Ausschnitten verkörpert exemplarisch die deutsche Erfahrung des 20. Jahrhunderts: gezwungen, zwischen politischen Extremen zu lavieren und Verluste durch Zynismus und Verdrängung zu verarbeiten. Fazit: Angesichts der umfassenden thematischen Darstellung der deutschen Geschichte von der Arisierung und dem Holocaust über die DDR-Diktatur bis hin zu den Restitutionsforderungen der Nachwendezeit, und dem innovativen Versuch, diese Geschichte(n) über einen einzigen Ort zu vernetzen und in Beziehung zur geologischen und kulturellen Zeit zu setzen, ist die Bezeichnung „Heimsuchung“ als Jahrhundertroman vollauf gerechtfertigt.

Wir verweisen hier auf ein Video:

https://youtu.be/ZSotf3U7V3c

In ihm haben wir deutlich gemacht, dass das zentrale Thema des Romans die „Minimalisierung“ der Bedeutung des Menschen ist angesichts der Unerbittlichkeit der Natur – zu der auch die geschichtlichen Epochen in ihrem relativen Mini-Format gehören.

Es ist reiner Zufall und Entscheidung von Autorin und Verlag, dass hier Heimsuchungen aus der Zeit des Kaiserreichs bis in die Nachwendezeit präsentiert werden. Um diese Epochen geht es nicht, sondern um das Phänomen der Heimsuchungen, die die Menschen bedrohen.

Erstaunlich und wohl auch gewollt ist die einseitige Konzentration auf nur negative Fälle. Dass es auch Menschen gibt, die glücklich auf ein erfülltes Leben zurückblicken, würde auch zu dem Jahrhundert gehören, interessiert aber im Roman nicht.

Das ist das zentrale Argument für die „Minimalisierungsthese“ gegen die Jahrhundertroman-These, die wir für reine Marketing-Verständnis halten – dafür müsste aber der Roman „beyond the books“ gelesen werden.

Ausführlicher wird diese These hier erläutert:
https://schnell-durchblicken.de/essay-warum-man-goethe-braucht-wenn-man-den-roman-heimsuchung-liest

Weitere Infos, Tipps und Materialien

Infos, Tipps und Materialien zum Roman „Heimsuchung“ von Jenny Erpenbeck
https://schnell-durchblicken.de/themenseite-heimsuchung

Themenseite – Teil 1: Infos, Tipps und Materialien zum Einstieg:
Dazu sind vor allem die Videos hilfreich, die wir auf dieser Seite präsentieren.
https://schnell-durchblicken.de/roman-heimsuchung-tipps-und-hilfen-zum-einstieg

Themenseite – Teil 2: Materialien zu den Figuren mit ihren Themen
https://schnell-durchblicken.de/roman-heimsuchung-figuren-mit-ihren-themen

Themenseite – Teil 3: Materialien zu verschiedenen Aspekten der Interpration
https://schnell-durchblicken.de/roman-heimsuchung-aspekte-der-interpretation

Themenseite – Teil 4: Vorbereitung von Klausuren und Prüfungen
https://schnell-durchblicken.de/roman-heimsuchung-vorbereitung-klausuren

Tipps und Materialien zu weiteren Themen des Deutschunterrichts
https://textaussage.de/weitere-infos

Youtube-Playlist zum Roman „Heimsuchung“
https://www.youtube.com/playlist?list=PLNeMBo_UQLv3HeM299xejKEGxQIEM_eEY