Minnesang: „Ich zog mir einen Falken“ – wenn der Freiheitsdrang stärker als Beziehung ist (Mat5695)

Das Folgende ist ein Beispiel für den sogenannten Minnesang. Das war eine kunstvolle Art der Liebeserklärung. Sie wurde von einem Ritter gewissermaßen knieend vor der Burg der hohen Herrin vorgesungen – ohne die Hoffnung, dass daraus Begegnung und Liebe wird.

Das folgende Gedicht ist u.a. hier zu finden:
https://lyricstranslate.com/de/ich-z%C3%B4ch-mir-einen-valken-ich-zog-mir-einen-falken.html

Der von Kürenberg
ein mittelhochdeutscher Dichter aus dem 12. Jahrhundert

 

Ich zôch mir einen valken mêre danne ein jâr.

dô ich in gezamete als ich in wolte hân

und ich im sîn gevidere mit golde wol bewant,

er huop sich ûf vil hôhe und floug in anderiu lant.

 

Sît sach ich den valken schône fliegen:

er fuorte an sînem fuoze sîdîne riemen,

und was im sîn gevidere alrôt guldîn.

got sende si zesamene die gerne geliep wellen sîn!

 

In heutigem Deutsch

Ich habe mir einen Falken großgezogen, hat länger als ein Jahr gedauert.

Als ich ihn gezähmt hatte – so, wie ich ihn haben wollte-

Und ihm noch um sein Gefieder goldene Bänder mitgab,

hob er sich einfach in die Lüfte und flog in ein anderes Land.

 

Danach habe ich ihn wunderbar fliegen gesehen,

mit Schlingen aus Seiden an den Füßen

und sein Gefieder war rundum golden.

Gott mag die zusammenbringen, die gerne geliebt werden wollen.

 

Letztlich macht das Gedicht deutlich, dass jemand mit großem Aufwand ein kostbares Wesen erzogen hat. Das hat sich dann die Freiheit gewählt. Dieser Falke wird auch immer wieder in schönem Flug gesehen, hat auch kostbare Schleifen an den Füßen, ist aber wohl nicht wirklich dadurch gefesselt. Sein Gefieder hat den Goldschmuck erhalten und vielleicht sogar noch erweitert.

Am Ende dann eine Bitte, die deutlich macht, dass dieser Falke ein Zeichen ist für eine nicht dauerhafte Beziehung, bei der Freiheit und Selbständigkeit wichtiger waren.