Anmerkungen zu Nietzsches Gedicht „Liebeserklärung“

Anmerkungen zu Nietzsches Gedicht „Liebeserklärung“

Vorbemerkung:

  • Im folgenden wird wie immer induktiv an das Gedicht heran gegangen. D.h. es wird geklärt, wie sich nach und nach, Zeile für Zeile ein Verständnis beim Leser aufbauen kann.
  • Dieses Verfahren hat den großen Vorteil, dass man nah am Text bleibt und sich damit am sichersten seiner Aussage nähert.
  • In diesem Falle wird aber auch ein Nachteil des Verfahrens deutlich, nämlich dass man längere Zeit auch ein Missverständnis mit sich mitschleppt, das aber am Ende aufgelöst wird.
  • In diesem Falle ist lange Zeit nicht klar, wer dieses „er“ ist, das bewundert wird.
  • Das führt dazu, dass das Gedicht längere Zeit so verstanden wird, dass es sich direkt auf den oben genannten Dichter bezieht.
  • Später wird dann klar, dass es um diesen Albatros, also einen Vogel gehr, der offensichtlich groß und stark und dank seiner breiten Flügel irgendwann sogar vom Aufwind getragen wird, ohne dass er sich anstrengen muss.
  • Das stellt aber die Interpretation nicht grundsätzlich infrage, da das lyrische ich sicher als Dichter mit dem Albatros vergleicht.
Liebeserklärung
  • Das Gedicht wird im folgenden ohne Klärung seines Entstehungshintergrundes auf seine Aussage hin untersucht.
  • Die Überschrift ist relativ allgemein gehalten, man erwartet aber auf jeden Fall das, was durch sie ausgedrückt wird, nämlich eine Erklärung von Liebe oder zumindest Zuneigung gegenüber einer Person oder einer Sache.

(bei der aber der Dichter in eine Grube fiel –)

  • Die ungewöhnliche Unter -Überschrift gibt dem Text des Gedichtes dann eine Wendung ins Komische,  Humorvolle. Das lyrische Ich spielt dabei mit der fiktiven Grundkonstruktion, stellt sie infrage (wenn sie plötzlich den Dichter ins Spiel bringen) oder schafft eine doppelte Ebene, in dem gewissermaßen über den eigentlichen Text hinausgewiesen wird.
  • Das würde dann bedeuten, dass das lyrische Ich zum einen das Ergebnis eines poetischen Produktionsprozesses präsentiert, zum anderen auch etwas über den Vorgang aussagt beziehungsweise seine Begleiterscheinungen.
  • Als Leser erwartet man auf jeden Fall irgendeine nähere Erklärung, was es mit dieser speziellen Grube (real oder im übertragenen Sinne) auf sich hat.

Oh Wunder! Fliegt er noch?

Er steigt empor, und seine Flügel ruhn?

Was hebt und trägt ihn doch?

Was ist ihm Ziel und Zug und Zügel nun?

  •  Das lyrische Ich drückt hier seine Verwunderung oder sein Erstaunen aus darüber, dass irgendetwas oder irgendjemand noch fliegt.
  • Rein grammatisch könnte es sich auf den Dichter beziehen.
  • Nachträgliche Anmerkung: Bei einer Klausur ist es natürlich sinnvoll, dieses induktive Vorgehen nur stichpunktartig durchzuführen. Dann kann man nämlich die Erkenntnis am Ende, das mit dem eher der Albatros gemeint ist, hier schon richtig einbezogen werden. Uns kam es hier darauf an, den Prozess der Entstehung und der Entwicklung des Verständnisses zeigen. Deshalb bleiben wir bei dieser Reihenfolge mit der Erkenntnisveränderung am Ende.
  • In der zweiten Zeile wird deutlicher, was hier die Bewunderung auslöst, nämlich ein Fliegen, das ohne Aktivität der Flügel erreicht wird.
  • Dazu passen dann auch die anschließenden Fragen, was hier den Auftrieb der Flügel ersetzt.
  • Die letzte Zeile verschiebt die Fragen dann von der reinen Aerodynamik hin zu Fragen des Ziels beziehungsweise des Antriebs und der Steuerung.

 

Gleich Stern und Ewigkeit

Lebt er in Höhn jetzt, die das Leben flieht,

Mitleidig selbst dem Neid –:

Und hoch flog, wer ihn auch nur schweben sieht!

  • In der zweiten Strophe wird dann ein großer Vergleichsrahmen aufgespannt, der deutlich machen soll, wie sehr dieses „“er“ –  und wir bleiben vorläufig jetzt mal beim Dichter, weil das am meisten Sinn ergibt,-  sich vom Leben entfernt.
  • Die dritte Zeile würde sich dann wieder auf den Dichter beziehen und seine Abgehobenheit betonen, sogar gegenüber dem Neid.
  • Die letzte Zeile deutet dann so etwas wie Kritik an, was das Verhältnis der Wahrnehmungen angeht. Die Dichter selbst sieht sich offensichtlich höher als andere Beobachter, was seinen Flug angeht.

 

Oh Vogel Albatross!

Zur Höhe treibts mit ewgem Triebe mich.

Ich dachte dein: da floss

Mir Trän um Träne, – ja, ich liebe dich!

  • Zu Beginn der letzten Strophe kommt noch eine neue Figur ins Spiel, nämlich mit dem Albatros ein großer Vogel, der über die wirkliche Fähigkeit des Fliegens verfügt.
  • Auch ändert sich die Sprecherperspektive, jetzt spricht das lyrische Ich nämlich über sich selbst und setzt sich damit wohl mit dem bisherigen „er“ gleich.
  • Hervorgehoben werden jetzt der Antrieb und das Ziel, also Elemente, die bisher eher infrage gestellt wurden.
  • Offensichtlich will das lyrische Ich – und wir bleiben bei der Gleichsetzung mit dem Dichter – ganz hoch hinaus Und sieht es auch nicht als persönliche Entscheidung, sondern als etwas, was ganz dauerhaft und wohl auch tief in ihm verankert ist.
  • Dann kommt die Auflösung des Titels, denn es handelt sich insgesamt wohl doch anscheinend um ein Liebesgedicht, das sich direkt an jemanden richtet.
  • Es bleibt beim Gedanken und damit verbunden bei Tränen. Am Ende steht dann die eindeutige Liebeserklärung.
  • Offen bleibt die Frage, wer das Objekt dieser Liebe ist. Rein grammatisch bezieht es sich auf den Vogel Albatros.
  • Da das die sicherste Erklärung ist und für andere jede Voraussetzung fehlt, soll abschließend von einer Liebeserklärung an den Vogel Albatros ausgegangen werden.
  • Der wird in den ersten Strophen bewundert. Am Ende setzt das lyrische Ich sich in eine Beziehung zu diesem Vogel, möchte wohl so sein wie er.
  • Die Tränen würden dann wohl bedeuten, dass das lyrische Ich jedoch eine große Differenz spürt, worunter es leidet, was aber seine Beziehung zu diesem Höhenflug nicht beeinträchtigt.
  • Wenn man dann die Unter-Überschrift mit einbezieht, verstärkt das noch die Distanz des Dichters zu sich selbst und seinem Bestreben. Der Eindruck eines Missverhältnis zwischen dem, was man erreichen möchte, und dem, was man real erreicht, verstärkt sich dadurch.

 

Wenn man jetzt nach der Aussage des Gedichtes fragt, muss man natürlich berücksichtigen, was sich erst im Verlaufe der Lektüre ergibt.

Alles scheint sich auf das Objekt der Begierde, nämlich den Albatros zu beziehen. Dabei geht es vor allem um dessen Flugfähigkeit, die vor allem mit der Vorstellung von Höhe verbunden ist.

Am Anfang steht das, was das lyrische Ich sieht und empfindet, dann folgt der Vergleich mit sich selbst mit den eigenen Wünschen. Am Ende steht dann die Einsicht in die Distanz zwischen dem, was man sich wünscht, und dem, was gelingt. Und das wird dann noch satirisch unterstrichen durch den Hinweis, dass das lyrische Ich nicht nur in Tränen ausgebrochen ist, sondern der Dichter auch beim Schreiben in eine Grube gefallen ist, Ein drastisches Bild für Selbstüberhebung, Realitätsverlust und die Folgen.

 

Veränderte zweite Strophe:

https://lyricstranslate.com/de/friedrich-nietzsche-vogel-albatross-lyrics.html

Prinzenvariante

http://www.thenietzschechannel.com/works-pub/ifm/ifmg.htm

Kurzer Hinweis in Google Books

https://books.google.de/books?id=lIvyCQAAQBAJ&pg=PA139&lpg=PA139&dq=Nietzsche+und+der+Vogel+Albatros&source=bl&ots=nN2TuHtlVq&sig=ACfU3U1vOPsPsmRCnkCs2aQtKAXHdW2ymw&hl=de&sa=X&ved=2ahUKEwipqJSy18H4AhUXP-wKHawVBXYQ6AF6BAguEAI#v=onepage&q=Nietzsche%20und%20der%20Vogel%20Albatros&f=false

Ausführliche Darstellung der Umstände, unter denen dieses Gedicht entstanden ist:

http://www.f-nietzsche.de/Schmidt_NK3-2_2016.pdf

Weiterführende Hinweise