Zu dem Gedicht „Ich höre Istanbul“ von Orhan Veli

Was das Gedicht interessant macht

  1. Zunächst einmal ist interessant, dass es neben dem Text auch einige Parallelgedichte von Schülern/Schülerinnen gibt, die auf der folgenden Seite eingesehen werden können. Sicherlich eine schöne Anregung.https://kaiser-karls-gymnasium.de/attachments/article/303/Klasse%208%20-%20Parallelgedichte.pdf
  2. Außerdem ist das Gedicht interessant, weil es den Leser zunächst in die Irre führt, was man am Ende aber aufklären kann.

Die Überschrift

  • Die Überschrift des Gedichtes nennt eine Stadt, die am Übergang von Europa zu Asien liegt und eine große Geschichte hat.
  • Verbunden wird sie mit einem menschlichen Sinn, an den man meistens bei Sehenswürdigkeiten nicht als erstes denkt, nämlich mit dem Hören – statt mit dem Sehen.
  • Von daher kann man gespannt sein, was sich dabei an Eindrücken ergibt.

Strophe 1

  • Die erste Zeile der ersten Strophe verdeutlicht dann noch mal die Situation. Ein  Wahrnehmungsorgan, nämlich die Augen, sind geschlossen. Das lyrische Ich konzentriert sich ganz auf das Hören.
  • Erstaunlicherweise geht es nicht um Verkehrslärm oder Geräusche, die von einem Fest ausgehen. Vielmehr geht es um Natur pur. Man ist gespannt, wie dieser Gegensatz von Erwartung und Präsentation aufgelöst wird.
  • Ab der fünften Zeile wird deutlich, dass das lyrische Ich eine Position mit deutlicher Entfernung von der Stadt eingenommen hat. Jetzt geht es um ein zweites Geräusch, das lauter und deutlicher sein sollte als das Rauschen der Blätter. Außerdem geht es um die Einbeziehung von Menschen, die anscheinend für Istanbul typisch sind.
  • Spannend bleibt, dass es sich hier nicht um typische Geräusche einer Stadt handelt, sondern besondere, die anscheinend für die Eigenart einer bestimmten Stadt stehen.
  • In der letzten Zeile wiederholt sich noch einmal die erste. Man hat den Eindruck, dass das lyrische Ich sich seiner besonderen Situation vergewissern will.

Strophe 2

  • Die zweite Strophe bezieht dann mit dem Schreien der Flügel ein lautes Geräusch der Natur mit ein.
  • Dann kommen zwei überraschende Wahrnehmungen, die auf den ersten Blick kaum etwas mit dem Hören zu tun haben können.
  • Bedauerlicherweise wird nicht näher erläutert, wieso man von einem entfernten Ort aus das Einholen von Fischernetzen hören soll.
  • Das gleiche gilt für die Füße einer Frau, die Wasser berühren. Hier hätte man zumindest darauf hinweisen sollen, dass ein solches Geräusch, das man von ferne hören kann, nur mit einer heftigen Bewegung erzeugt werden kann.
  • Hier wirkt das Gedicht also sehr fragwürdig oder aber das lyrische Ich will deutlich machen, dass es sich jetzt mit geschlossenen Augen etwas vorstellt, was es normalerweise nur aus der Nähe hören kann.

Strophe 3

  • In der nächsten Strophe verstärkt sich der Eindruck, dass trotz der Konzentration auf das Akustische optische und andere Eindrücke präsent sind. Denn einen kühlen Basar kann man kaum spüren. Das gilt schon eher für das Geschrei der Verkäufer.
  • Auch bei den Tauben muss man sich das, was man da hören kann, vorstellen. Im Gedicht wird es nicht genannt.
  • Anders ist das natürlich bei den Geräuschen, die von den Schiffsdocks herkommen.
  • In der sechsten Zeile dann ganz eindeutig der Hinweis auf einen anderen Sinn als den akustischen.
  • Damit wird deutlich, dass es dem lyrischen Ich offensichtlich gar nicht um das Hören geht, sondern um die Situation mit den geschlossenen Augen. Die bleibt natürlich offen auch für andere Sinneserfahrungen als nur das hören.

Strophe 4

  • Auch die vierte Strophe machten ganz eindeutig klar, dass es nicht um das geht, was aktuell gehört werden kann. Vielmehr geht es ja um Erinnerungen an Geräusche, die mit besonderen Situationen verbunden sind.
  • Das gilt auch für die Zeile mit der Strandvilla, in der es auch wohl primär um optische Eindrücke geht.
  • Es folgt ein Hinweis, der wohl auch stark von Erfahrungen geprägt ist, nämlich eine bestimmte Wind-Situation in Istanbul.

Strophe 5

  • Wie man das Gehen einer Dame hören kann, bleibt das Geheimnis des lyrischen Ichs. Möglicherweise wird hier mehr das gehört, was ich auf diese Frau bezieht, als das, was von ihr selbst ausgeht.
  • Wie man es hören kann, wenn jemand eine Rose fallen lässt, ist ebenfalls nicht nachvollziehbar.
  • Es verstärkt sich immer mehr der Eindruck, dass man die Überschrift des Gedichtes, die ja ständig wiederholt wird und die Strophen regelrecht einrahmt, nicht sehr ernst nehmen sollte.

Strophe 6

  • Die letzte Strophe ist sehr kurz geraten, eigentlich besteht sie ja nur aus einer einzigen Zeile.
  • Die erscheint zunächst besonders ärgerlich, denn wie ein Vogel an den Hängen von Istanbul zappeln kann, ist in der Natur schwer vorstellbar.
  • Zu Gunsten des Verfassers wollen wir mal annehmen, dass dieser Vogel mit dem lyrischen Ich identisch ist. Das würde dann ein einigermaßen nachvollziehbares Licht auf das gesamte Gedicht werfen.
  • Es würde nämlich deutlich machen, dass dieses lyrische Ich sich anscheinend von dieser Stadt nicht lösen kann.
  • Es läge also eine Situation vor, bei der das lyrische Ich sich wahrscheinlich an eine Heimatstadt oder eine, die ihm zur Heimat geworden ist, nur noch erinnern kann, wenn es die Augen geschlossen hat.
  • Was die einzelnen akustischen Wahrnehmungen angeht, wird man sie wohl mit verschiedenen Situationen verbinden müssen, in denen sie möglich werden.

Weiterführende Hinweise