Friedrich Schiller, „Der Alpenjäger“ – eine etwas fragwürdige Ballade mit kreativer Herausforderung

Auch große Dichter können mal schwächeln

Wir lieben Menschen, die Außergewöhnliches geschaffen haben – aber wir freuen uns auch, wenn die sich an der einen oder anderen Stelle als Menschen zeigen, die sich auch irren können oder einfach mal nicht optimal drauf sind.

Das wollen wir an der folgenden Ballade zeigen.

Überschrift und Strophe 1

Friedrich Schiller

Der Alpenjäger

 

Willst du nicht das Lämmlein hüten? 

Lämmlein ist so fromm und sanft, 

Nährt sich von des Grases Blüten 

Spielend an des Baches Ranft. 

„Mutter, Mutter, lass mich gehen 

Jagen nach des Berges Höhen!

  • Die Ballade beginnt mit der Frage der Mutter, ob der Sohn nicht ein Lamm, das offensichtlich zum Haushalt gehört,  als hüten wolle.
  • in drei Schritten versucht die Mutter, ihm diese Aufgabe schmackhaft zu machen. Dazu beschreibt sie das Lamm als harmloses Tier, bei dem man sich durch aus gerne aufhalten kann.
  • die Antwort des Jungen macht dann deutlich, dass der ganz andere Ziele hat. Er möchte in die Berge gehen, um dort zu jagen. Das ist natürlich ganz das Gegenteil zur beschriebenen Friedfertigkeit des Tieres.

Strophe 2

Willst du nicht die Herde locken

Mit des Hornes munterm Klang? 

Lieblich tönt der Schall der Glocken 

In des Waldes Lustgesang. 

„Mutter, Mutter, lass mich gehen 

Schweifen auf den wilden Höhen!“

  • In der zweiten Strophe geht die Mutter dann zumindest etwas auf ihren Sohn ein, indem sie ihn mit dem hüten des Viehs schon etwas mehr Auslauf gewährt.
  • verbunden wird das mit der romantischen Vorstellung vom Glockenklang im Wald.
  • Der Sohn bleibt aber bei seiner Meinung und verstärkt die noch etwas, wenn er die „wilden Höhen“ und damit das Abenteuerliche jenseits der Zivilisation betont.

Strophe 3

Willst du nicht der Blümlein warten,

Die im Beete freundlich stehn? 

Draußen ladet dich kein Garten, 

Wild ists auf den wilden Höhn! 

„Lass die Blümlein, lass sie blühen, 

Mutter, Mutter, lass mich ziehen!“ 

  • Jetzt ist die Mutter wohl am Ende ihrer Fantasien und ihres Verständnisses für den Sohn angelangt, wenn sie das dritte Angebot auf den unmittelbaren Umkreis des Häuslichen beschränkt und sich negativ über die „wilden Höhn“ auslässt.
  • Die Antwort des Sohnes ist eindeutig: Er will all das, was die Mutter ihm anpreist, hinter sich zurücklassen und seine eigenen Ziele verfolgen.

Strophe 4

Und der Knabe ging zu jagen, 

Und es treibt und reißt ihn fort, 

Rastlos fort mit blindem Wagen, 

An des Berges finstern Ort, 

Vor ihm her mit Windesschnelle 

Flieht die zitternde Gazelle.

  • In dieser Strophe zeigt sich, wie der junge Mann drauf ist. Alles das, was die Mutter für problematisch hält, wohl sogar fürchtet, nimmt er voll auf sich.
  • Insgesamt zeigt er einen Wagemut, der für viele Jugendliche typisch ist, die erst noch ihre eigenen Grenzen und die ihre Umwelt austesten wollen.
  • Deutlich werden dabei vor allem zwei Dinge:
    • Zum einen, dass er regelrecht getrieben ist,
    • und zum anderen, dass er dabei für mögliche Gefahren und Probleme geradezu blind ist.
  • außerdem präsentiert die Strophe schon ein mögliches Opfer seiner Jagdlust.
  • interessant und möglicherweise fragwürdig ist dabei, dass die Gazelle als ängstliches Wesen gezeigt wird, obwohl sie doch eigentlich in ihrer Heimat ist und damit über Vorteile verfügen sollte.
  • Dass auch so berühmte Dichter die Schiller sich durch aus mal irren können, zeigt der Vergleich dieser beiden Zeilen mit einem Wikipedia Eintrag: “Das Verbreitungsgebiet der Gazellen umfasst ganz Afrika (ohne Madagaskar) und weite Teile Asiens (von der Arabischen Halbinsel bis in das nördliche Indien und das nördliche China). Ihr Lebensraum sind trockene, offene Regionen, meistens Grassteppen, bei manchen Arten auch Wüsten und Halbwüsten.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Gazelle)

Strophe 5

Auf der Felsen nackte Rippen 

Klettert sie mit leichtem Schwung, 

Durch den Riss gespaltner Klippen 

Trägt sie der gewagte Sprung, 

Aber hinter ihr verwogen 

Folgt er mit dem Todesbogen.

  • In dieser Strophe wird deutlich, dass tatsächlich die Zuschreibung des Zitats nicht überzeugt. Denn das Tier lebt von „leichtem Schwung“ und auch der „gewagte Sprung“ ist kein Problem für sie.
  • Es ist wohl eher der Dichter, der mit dem Tier Mitleid hat, weil er natürlich die gefaselt, die in der Waffe des Jägers liegt.

 

Strophe 6

Jetzo auf den schroffen Zinken 

Hängt sie, auf dem höchsten Grat, 

Wo die Felsen jäh versinken, 

Und verschwunden ist der Pfad. 

Unter sich die steile Höhe, 

Hinter sich des Feindes Nähe.

  • Auch in dieser Strophe häufen sich die Ungereimtheiten. Denn es ist wenig wahrscheinlich, dass das Tier sich in seiner Heimat nicht ausreichend gut auskennt und damit dem Jäger überlegen ist.
  • Allenfalls hätte Schiller deutlicher erklären können, dass das Verschwinden des Pfades zum Beispiel erst kürzlich erfolgt ist.
  • Was allerdings gut gemacht ist in den letzten beiden Zeilen ist die konzentrierte Beschreibung der gefährlichen Situation, in die das Tier geraten ist.

Strophe 7

Mit des Jammers stummen Blicken 

Fleht sie zu dem harten Mann – 

Fleht umsonst, denn loszudrücken 

Legt er schon den Bogen an. 

Plötzlich aus der Felsenspalte 

Tritt der Geist, der Bergesalte. 

  • Auch in dieser Strophe wird wieder deutlich, dass sie ganz aus der Perspektive fast schon eines Erzählers präsentiert wird. Allenfalls könnte man annehmen, dass der Jäger das in den Augen des Tieres sieht, was da beschrieben wird. Allerdings dürfte er ganz auf seine ja Lust konzentriert sein und er hat ja auch kein Mitleid mit dem Tier.
  • Am Schluss der Strophe dann plötzlich die überraschende Wendung, bei der Schiller einen regelrechten „deus ex machina“ auftreten lässt. So nennt man im Theaterbereich ja eine überraschende Lösung, die nicht aus dem Geschehen selbst kommt, sondern von außen, gewissermaßen durch das Eingreifen einer höheren Macht.

Strophe 8

Und mit seinen Götterhänden 

Schützt er das gequälte Tier. 

„Musst du Tod und Jammer senden“, 

Ruft er, „bis herauf zu mir? 

Raum für alle hat die Erde, 

Was verfolgst du meine Herde?“

  • Schiller begibt sich dann auch gleich auf die Ebene des Göttlichen
  • und lässt den Berggeist eine deutliche Zurückweisung aussprechen.
  • Sehr weltfremd ist dann auch die Begründung, die Erde habe genug Platz für alle Tiere, denn darum geht es überhaupt nicht. Es geht ja gerade um die Befriedigung der menschlichen Jagdlust, eventuell noch erweitert beziehungsweise vergrößert durch die Notwendigkeit, sich Nahrung zu beschaffen.
  • und warum der göttliche Geist eine Herde im Gebirge braucht, geht auch nicht erklärt.
  • insgesamt also eine sehr fragwürdige Ballade, die allerdings damit zugleich die Platz für bessere kreative Lösungen bietet: zum Beispiel könnte man tatsächlich so etwas wie Einsicht beim Jäger entstehen lassen, aber das sollte dann nicht von einer überirdischen Macht ausgehen, sondern sich aus der Situation beziehungsweise der Begegnung ergeben.
  • zum Beispiel könnte die Jäger sich an eine Situation erinnern, in der er auch plötzlich vor dem Abbruch eines bekannten Pfades stand und mehr als froh war, dass der Rückweg noch möglich war.

Weiterführende Hinweise