Schiller, „Kabale und Liebe“ Klausur 3. Akt, 4. Szene Aufgabe und Lösungshinweise

Klausur – 1. bis 3. Stunde

Aufgabenstellung:

Es geht um die Analyse der Szene III, 4 aus Schillers Drama „Kabale und Liebe“ (Reclam-Ausgabe: S. 63-66: „Zimmer in Millers Wohnung. / Luise und Ferdinand. / Luise. Ich bitte dich, höre auf.“ bis „wenn mein Verdacht sich bestätigt. (Geht schnell ab.)“

Aufgabe 1:

Analysieren Sie die Szene, indem Sie

1. sie zunächst allgemein mit Angabe des Themas vorstellen,

  • Szene aus dem dritten Akt von Schillers bürgerlichem Trauerspiel „Kabale und Liebe“, also dem Bereich der Peripetie, in der es um die unterschiedlichen Auffassungen von Luise und Ferdinand geht, was den Stand und die Perspektiven ihrer Beziehung angeht.
2. die Momente herausarbeiten, die den Stand der Entwicklung des dramatischen Konflikts zu Beginn der Szene bestimmen (dramatische Ausgangssituation),
  • Grundkonflikt ist die unstandesgemäße Liebe zwischen Ferdinand, dem adligen Sohn des Präsidenten eines absolutistisch regierten Fürstentums, und Luise, der Tochter eines Geigers, also einer Angehörigen des Bürgertums,
  • die zusätzlich gefährdet wird dadurch, dass der Sekretär des Präsidenten selbst ein Auge auf sie geworfen hat und alles tut, um sie und Ferdinand auseinanderzubringen.
  • Die Chancen dafür sind deshalb besonders gut, weil der Präsident seinen Sohn mit der Mätresse des Herzogs, der Lady Milford, verheiraten will.
  • Diese wiederum liebt Ferdinand ebenfalls und ist eigentlich für ihn die richtige Partnerin, die auch bereit ist, für eine Verbindung mit Ferdinand zu kämpfen.
  • Unmittelbar vor der zu analysierenden Szene hat der Präsident den Hofmarschall für den Plan seines Sekretärs gewonnen, durch eine angebliche Affäre mit Luise Ferdinand eifersüchtig zu machen und das ungleiche Paar damit auseinanderzubringen.
  • Um Luise zu zwingen, einen kompromittierenden Brief an den Hofmarschall zu schreiben, sind ihre Eltern verhaftet worden – der verräterische Brief ist auch fertig konzipiert – von daher hängt alles davon ab, wie offen Ferdinand und Luise miteinander umgehen und wie belastbar ihre Beziehung ist.
3. die Entwicklung des Konflikts im Verlauf der Szene beschreiben,
  • Gleich zu Anfang (63,15-63,30) wird der Gegensatz deutlich, die Hoffnungslosigkeit Luises und die Zuversicht Ferdinands, der seinen Vater ans Messer liefern will und an die Kraft der Liebe glaubt, am Ende aber schon die kritische Frage stellt, ob Luise das auch so sieht.
  • 63,31ff: Luise reagiert eher erschrocken darauf, Ferdinand setzt seinen Ego-Monolog fort, mit dem Kern, dass sie im wahrsten Sinne des Wortes sein Ein und alles ist, und mit der Lösung einer gemeinsamen Flucht.
  • Ab 64,19 kommt es dann zu einem richtigen Dialog, der auch gleich eine Auseinandersetzung darstellt: Luises Hinweis auf ihre Verpflichtungen gegenüber ihrem Vater beantwortet Ferdinand damit, dass er mit fliehen soll. Luise macht ihm daraufhin deutlich, dass es sich dabei für sie um keine echte Lösung handelt, sie will ihr Glück nicht über einen „Frevel“ (65,2) erreichen.
  • Bezeichnend ist, wie sich jetzt die Sprechanteile verändern: Während Luise alles tut, um ihrem Geliebten ihre Einstellung zu erläutern, reagiert der nur knapp, wohl ungehalten darüber, dass seine eigenen Ziele und Pläne damit gestört werden. Bezeichnend ist die Regiebemerkung in 65,12/13.
  • Luise geht daraufhin noch einen Schritt weiter auf Ferdinand zu, nimmt die Schuld für das Problem ganz auf sich und bittet Ferdinand nur, ihr wenigstens das Gefühl zu lassen, dass sie mit ihrem Verzicht ein Opfer bringt und die „Heldin dieses Augenblicks“ (65,17) sein kann.
  • Ab 65,26 verschärft sich die Lage, weil Ferdinand die hässliche Seite seines Wesens klar zum Ausdruck bringt, einmal durch seine Aggression gegen Sachen und sein „lautes Gelächter“ (65,29), und Luise ihren Verzichtsplan durch eine Verabschiedung versucht umzusetzen.
  • Ferdinand löst dann das Problem auf eine für ihn typische Weise, er will entfliehen. Was als neues Moment dazukommt, sind der Hass des scheinbar Verletzten und seine Eifersucht.
4. zusammenfassend möglichst differenziert klären, was die Szene zeigt (Intentionalität),
  • Die Szene zeigt zunächst einmal die unterschiedliche Einschätzung der Situation durch Luise und Ferdinand: Während dieser sich in kühnsten Träumen und einfachsten Lösungen ergeht, wirkt Luise sehr realistisch.
  • Dazu kommen unterschiedliche Einstellungen: Ferdinand denkt nur an sich und seine Vorstellung von Liebe, Luise denkt auch an ihren Vater und ist zum Opfer bereit.
  • Als drittes zeigt die Luise die unterschiedliche Art und Weise, wie beide ihre Ziele verfolgen. Ferdinand zunächst sehr impulsiv und monologisch, später aggressiv und zerfressen von sich verstärkender Eifersucht, Luise mit Verantwortungsbewusstsein und im Bemühen, es ihrem Geliebten möglichst leicht zu machen.
  • Am Ende wird aus Liebe zumindest bei Ferdinand Hass und es dominiert bei ihm die Erwartung radikaler Folgen.
5. an einigen Beispielen zeigen, mit welchen darstellerischen Mitteln Schiller in dieser Szene arbeitet (besonders Sprache, aber auch Regieanweisungen)
  • Gleich zu Beginn werden die gegensätzlichen Einschätzungen im Bild der fallenden und steigenden Hoffnungen verdeutlicht (vgl. 63,16/17).
  • Es folgt ein Parallismus in 63,17-19, der zeigt, wie sehr Ferdinand im Kampf mit seinem Vater ist.
  • Welch gefährliche Vorstellung von Liebe Ferdinand hat, wird in 63,28-30 deutlich, wo Ferdinand zunächst eine rhetorische Frage und anschließend eine direkte, geradezu inquisitorische Frage an Luise richtet.
  • Ganz unten auf S. 63 verwendet Schiller wieder das Motiv der Blässe, das er auch schon in 15,3 und in 34,15 verwendet hat. Es macht die Betroffenheit der beiden Frauen deutlich, während Ferdinand sich eigentlich immer im Zustand der Erregung befindet, der gut durch die Rötung des Gesichts ausgedrückt werden könnte.
  • Ganz allgemein ist die Veränderung der Sprechanteile ein zusätzliches Mittel, das Schiller verwendet: Im ersten Teil dominiert Ferdinand, im zweiten hat Luise mehr zu sagen und zu erklären, am Ende stehen sie sich gleich gegenüber, wenn auch gefühlsmäßig getrennt.
6. welches Sinnpotenzial die Szene hat (das heißt, was ein heutiger Leser mit ihr anfangen kann)
  • Auch für die heutige Zeit sind die beiden unterschiedlichen Möglichkeiten der Reaktion auf Liebeshindernisse von Bedeutung:
  • Auf der einen Seite der „Absolutismus der Liebe“, der nur starke Gefühle kennt und von großen Hoffnungen und Erwartungen lebt, auf der anderen Seite eine realistischere Sicht der Dinge, die Bereitschaft, sich in die Verhältnisse einzufügen und auch Opfer zu bringen, um sich und andere nicht zu gefährden.
  • Allerdings dürften heute die personellen Zuordnungen nicht mehr so eindeutig sein, es dürfte heute auch Männer geben, die zu Verzicht und Opfer bereit sind, und Frauen, die nicht nur blass werden im Angesicht von Schwierigkeiten und sich in stilles, einsames Leiden zurückziehen.

Aufgabe 2:

Stellen Sie sich vor, das Drama „Kabale und Liebe“ wäre nur als Fragment überliefert worden und endete mit der dritten Szene des IV. Aktes (S. 80, Zeile 19). Klären Sie, ausgehend von der in dieser Klausur analysierten Szene III,4 die Frage, inwiefern und inwieweit der scheinbare Stillstand am Ende von IV,4 auch dadurch aufgehoben werden könnte, dass Ferdinand Luise umbringt.

  • Die analysierte Szene macht deutlich, wie extrem und unbedingt Ferdinand seine Liebe sieht,
  • dass er wenig Rücksicht nimmt auf die Einstellung und die Gefühle Luises,
  • dass er vielmehr dieser die schlimmstmöglichen Motive unterstellt und
  • damit seinen und Luises Gegnern direkt in die Hände spielt.
  • Am Ende der Szene spricht er ja ganz deutlich davon, dass ein „Weh“ über Luise und ihn kommen werde, wenn sein Verdacht, betrogen worden zu sein, sich bestätigen sollte.
  • Das spricht dann aber eher dafür, dass er im Stil des Generals Bastian (den Fall muss man natürlich nicht kennen, es ist aber ein interessanter Vergleichspunkt) nicht nur die Geliebte, sondern auch sich selbst tötet.
  • Dagegen spricht natürlich an dieser Stelle, dass der Brief ja noch gar nicht seine Wirkung entfaltet hat, das ist aber nach IV,3 anders.
  • Aber auch da wäre eine zu diesem Zeitpunkt durchgeführte tödliche Aktion sehr undramatisch oder besser: untheatralisch im Sinne des Fünf-Akte-Schemas, weil ja noch die Phase der Retardation fehlt, bevor es zum tragischen Finale kommt. Von daher kann davon ausgegangen werden, dass Schiller noch etwas in der Hinterhand hatte und das Drama an dieser Stelle nicht enden lassen wollte.

Weiterführende Hinweise