Anmerkungen zu Ingeborg Bachmanns Gedicht „wenn einer fortgeht“
Uns geht es im Folgenden vor allem um die Erläuterung des Inhalts und die Herausarbeitung der Aussage:
- Schon die Überschrift passt in ihrer Halbsatz-Unvollständigkeit zum Thema, dem Umgang mit dem Verschwinden und letztlich wohl auch mit dem Tod. Bezeichnend, dass es um einen sehr allgemeinen Fall geht, allerdings hat man von vornherein den Eindruck, dass hier in einem sehr urtümlichen Sinne von einer Gruppe ausgegangen wird. Man kann sich vorstellen, dass – wie dieses Gedicht – so auch in früheren Zeiten Beerdigungsrituale entstanden sind.
- Die Überschrift wird dann in der ersten Zeile wieder aufgenommen – dann wird der Halb-Satz auf vielfältige Art und Weise fortgesetzt. Immer geht es dabei darum, dass der Betreffende, der geht, etwas aufgibt oder gar wegwirft.
- Ergänzt wird das durch eine genauere Kennzeichnung der dabei sichtbaren oder auch notwendigen Haltung: „mit wehendem Haar“ – also nicht gebückt über dem Rollator, sondern aufrecht, so wie Indianerhäuptlinge oder Wikingerfürsten noch im Tod versuchten, im wahrsten Sinne Haltung zu bewahren.
- Letztlich wird auch das aufgegeben, was man zum Weiterleben brauchen würde, nämlich den Schuh.
- Auf den ersten Blick rätselhaft wirkt die Zeile 13: „herz, anker, kreuz“: Das ist wohl eine Fortführung der Schuh-Idee ins Symbolische hinein. Man muss also auch das aufgeben, was einem innerlich wichtig war.
- Am Ende dann wieder die Wiederholung der Haltungszeile mit dem wehenden Haar.
- Ganz überraschend gibt es dann die Wende: Jetzt geht es nicht mehr um Verhalten und Haltung, sondern es wird eine Art Versprechen gegeben, wie es die großen Religionen tun: Es gibt ein Wiederkommen, ein Wiedersehen.
- Allerdings bleibt die Frage offen, die sich auch die frühen Christen mit jedem Jahr, mit dem sie sich vom Auferstehungs-Ostern entfernten, stellen mussten: Wann wird das sein?
- Und die Antwort ist wahrhaft göttlich, weil anmaßend, vielleicht auch von oben herab, vielleicht aber auch um Vertrauen bittend oder auffordernd, nicht zu viel wissen zu wollen: „Frag nicht.“
- Insgesamt zeigt das Gedicht
- auf sehr anschauliche und beim Begreifen schmerzliche Weise, was es bedeutet, endgültig Abschied nehmen zu müssen, denn man braucht anschließend keine Schuhe mehr,
- aber auch, um welche Haltung man sich bemühen sollte, nicht die der Verzweiflung, sondern der Hinnahme auch des letzten Schritts als Teil des Lebens
- am Ende ein über die biologische Erfahrung des Lebensendes hinausgehendes Verweisen in die Transzendenz, d.h. ein Wiederkommen , bei dem nur die Frage nach dem Zeitpunkt zurückgewiesen wird.
- Inwieweit das nur als Trost gemeint ist oder tatsächlich eine Hoffnung, wie sie die großen Religionen mehr oder weniger anbieten, muss der Leser für sich selbst entscheiden. Das wäre dann der „Sprung“ in sein eigenes Leben, bei dem er etwas aus dem Gedicht von Ingeborg Bachmann für sich macht.
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