Schnell durchblicken: Goethe, „An Schwager Kronos“ (Mat4969)

Worum es hier geht:

Im Folgenden zeigen wir mal an einem Gedicht von Goethe, wie das Selbstbewusstsein der Sturm-und-Drang-Epoche auch mal in gefährliche Grenzregionen führen kann. Dann nimmt man es sogar mit der Hölle auf.

Das Gedicht ist u.a. hier zu finden:

Anmerkungen zum Titel und zu Strophe 1

An Schwager Kronos

  1. Spute dich, Kronos!
  2. Fort den rasselnden Trott!
  3. Bergab gleitet der Weg;
  4. Ekles Schwindeln zögert
  5. Mir vor die Stirne dein Zaudern.
  6. Frisch, holpert es gleich,
  7. Über Stock und Steine den Trott
  8. Rasch ins Leben hinein!
  • Die Überschrift macht deutlich, dass dieses Gedicht sich an jemanden richtet, der viel mit einem altgriechischen Gott zu tun hat
  • Dazu kommt die Vermutung, dass dabei auch griechische Wort für Zeit eine Rolle spielt.
  • Das würde dann ja auch zum Inhalt der ersten Strophe passen,, wahrscheinlich aus der Perspektive des Insassen einer Kutsche, dem es vor allem um Schnelligkeit geht.
  • Dabei wird offensichtlich diesem Schwager unterstellt, dass er zu sehr zögert.
  • Beim lyrischen Ich ist das Ziel der Fahrt auf jeden Fall klar, nämlich ein rasches Hineinkommen in das Leben.
  • Da das lyrische Ich ja sicherlich sich schon lebendig fühlt, kann es nur um eine bestimmte Vorstellung vom Leben gehen. Vor dem Hintergrund der Sturm und Drang –  Zeit und auch unter Beachtung des Tones des Gedichtes, kann man davon ausgehen, dass es sich um ein intensives Leben handelt.
  • An dieser Stelle taucht der Gedanke auf, ob dieses Gedicht nicht auch etwas mit Eichendorffs Gedicht „Frische Fahrt“ und damit mit der Romantik zu tun hat.
    https://textaussage.de/eichendorff-frische-fahrt
  • Eine Hypothese könnte sein, dass in beiden Fällen Intensität angestrebt wird, aber auf unterschiedliche Weise. Im Falle dieses Gedichtes kommt einem das Bestreben sehr viel rabiater vor.

Anmerkungen zu Strophe 2

  1. Nun schon wieder
  2. Den eratmenden Schritt
  3. Mühsam Berg hinauf!
  4. Auf denn, nicht träge denn,
  5. Strebend und hoffend hinan!
  • In der zweiten Strophe geht es dann um einen bestimmten Streckenabschnitt, der dem lyrischen Ich schon wieder zu viel Langsamkeit führt.
  • Dem begegnet es mit einer erneuten Aufforderung, bei der man aber nicht weiß, an wen sie gerichtet ist. Möglicherweise meint das lyrische Ich sich hier selbst?

Anmerkungen zu Strophe 3

  1. Weit, hoch, herrlich der Blick
  2. Rings ins Leben hinein;
  3. Vom Gebirg zum Gebirg
  4. Schwebet der ewige Geist,
  5. Ewigen Lebens ahndevoll.
  • In dieser Strophe hat die Kutsche, wir gehen mal bis zum Beweis des Gegenteils von diesem Verkehrsmittel aus, das Goethe ja auch benutzt hat, eine Höhe erreicht.
  • Von der aus ist genau das möglich, was das lyrische Ich anstrebt, nämlich ein herrlicher Blick ins Leben hinein
  • Offensichtlich geht der Blick über ganze Gebirge hinweg. Interessant ist dabei, dass das lyrische Ich hier eine höhere Instanz, nämlich einen „ewigen Geist“ verspürt.
  • Diese Ewigkeit ist ein Hinweis darauf, dass das lyrische Ich sich zumindest gedanklich hier in einem göttlichen Bereich bewegt.

Anmerkungen zu Strophe 4

  1. Seitwärts des Überdachs Schatten
  2. Zieht dich an
  3. Und ein Frischung verheißender Blick
  4. Auf der Schwelle des Mädchens da.
  5. Labe dich! – Mir auch, Mädchen,
  6. Diesen schäumenden Trank,
  7. Diesen frischen Gesundheitsblick!
  • In dieser Strophe bestätigt sich die Vermutung, dass es sich um eine Kutschfahrt handelt.
  • Beim Blick aus dem Fenster sieht das lyrische Ich beziehungsweise der Reisende ein Mädchen, von dem er sich einen Trunk erhofft.
  • Insgesamt empfindet er das als einen „frischen Gesundheitsblick“.
  • Hier kann man annehmen, dass das lyrische Ich damit nicht nur den Trank, sondern auch die Situation insgesamt einschließlich des Mädchens als belebend empfindet.

Anmerkungen zu Strophe 5

  1. Ab denn, rascher hinab!
  2. Sieh, die Sonne sinkt!
  3. Eh sie sinkt, eh mich Greisen
  4. Ergreift im Moore Nebelduft,
  5. Entzahnte Kiefer schnattern
  6. Und das schlotternde Gebein –
  7. Trunknen vom letzten Strahl
  8. Reiß mich, ein Feuermeer
  9. Mir im schäumenden Aug,
  10. Mich geblendeten Taumelnden
  11. In der Hölle nächtliches Tor.
  • Konsequent in der Beschreibung dieser Kutschfahrt geht es in dieser Strophe jetzt bergab
  • Wieder die Bitte um eine Beschleunigung der Fahrt. Das wird begründet mit der sinkenden Sonne und damit dem Ende des Tages.
  • Dann wird es allerdings sehr extrem. Denn das lyrische Ich sieht sich selbst als alten Menschen, der durch den Strahl der sinkenden Sonne in Bewegung gesetzt wird, erstaunlicherweise in Richtung Hölle.

Anmerkungen zu Strophe 6

  1. Töne, Schwager, ins Horn,
  2. Rassle den schallenden Trab,
  3. Dassder Orkus vernehme: wir kommen,
  4. Dass gleich an der Türe
  5. Der Wirt uns freundlich empfange.
  • Am Ende dann noch mal die Aufforderung an den Schwager, also den Kutscher, ein Hornsignal zu senden.
  • Dann die überraschende Erklärung:
    Dieses lyrische Ich zeigt so viel Selbstbewusstsein, dass es davon ausgeht, in der Hölle freundlich empfangen zu werden.
  • Man merkt deutlich, dass man dieses Gedicht auch zu den Reisegedichten hinzunehmen kann. Und zwar geht es dann eben um die Lebensreise
  • Ansonsten ist es ein Gedicht, dass man gut mit dem Gedicht „Seereise“
    https://www.schnell-durchblicken2.de/goethe-vergleich-seefahrt-glueckliche-fahrt
    zusammennehmen kann.
    Auch dort geht es um die Bereitschaft zur äußersten Risiko.
    Bei diesem Gedicht kommt hinzu, dass das lyrische Ich einen großen Optimismus ausstrahlt. Man hat den Eindruck, es kann es mit jedem aufnehmen.

Eine noch heftigere Variante:

Es gibt eine Variante des Gedichtes, das noch heftiger endet:

  1. Töne, Schwager, ins Horn,
  2. Rassle den schallenden Trab,
  3. Dass der Orkus vernehme: ein Fürst kommt.
  4. Drunten von ihren Sitzen
  5. Sich die Gewaltigen lüften.

Das kann zunächst einmal so verstanden werden, dass die „Gewaltigen“, die Götter des Totenreiches, sich erheben vor diesem Neuankömmling.

Man kann das aber auch so verstehen, dass sie vor Schreck „einen fahren lassen“, wie man umgangssprachlich und ähnlich bildhaft sagt. Man sieht, dass auch Leute wie Goethe nicht immer nur in den höchsten Tönen dichteten, sondern auch mal derb wurden.

Weitere Infos, Tipps und Materialien 

https://textaussage.de/weitere-infos