Das Gedicht ist u.a. hier zu finden.
Wir gehen hier von der Fassung aus, die in Goethe. Gedichte, Hrsg. u. kommentiert von Erich Trunz, München 1999, S. 46/47 zu finden ist.
Anmerkungen zum Titel:
- Ganymed: eine Gestalt der griechischen Sagenwelt
- Ein Königssohn aus Troja, so schön, dass sogar der Göttervater Zeus sich in ihn verliebte.
- Typisch für ihn: Er verwandelt sich einfach mal in einen Adler und nimmt ihn mit zu sich auf den Olymp, den Sitz der altgriechischen Götter.
Anmerkungen zu Versgruppe 1:
- Wie im Morgenrot
- Du rings mich anglühst,
- Frühling, Geliebter!
- Mit tausendfacher Liebeswonne
- Sich an mein Herz drängt
- Deiner ewigen Wärme
- Heilig Gefühl,
- Unendliche Schöne!
- Das Gedicht beginnt mit einer begeisterten Anrede eines Geliebten und macht deutlich, dass es sich am frühen Morgen eines Frühlingstages angeglüht fühlt.
- Das heißt: Eine Situation im Frühjahr am Morgen wird mit ganz intensiven Liebesgefühlen verbunden.
- Die beziehen sich dann ganz eindeutig in Zeile 3 auf den Frühling.
- Hervorgehoben werden die Wärme und die Schönheit dieser Jahreszeit.
- Bei sich selbst spürt das lyrische Ich sogar ein „Heilig Gefühl“. Es ist also regelrecht ergriffen von der Situation.
- Kreative Anregung: Um die Strophe besser zu verstehen, ist es sicher sinnvoll, sich zu fragen: Habe ich so eine Situation selbst schon mal erlebt, wo ich hin und weg war zum Beispiel von einer Landschaft. Oder hat mir jemand so etwas mal erzählt und ich war erstaunt, wie da die Augen leuchteten.
Anmerkungen zu Versgruppe 2:
- Dass ich dich fassen möcht
- In diesen Arm!
- Hier wird deutlich, dass es dem lyrischen Ich nicht reicht, etwas Schönes zu sehen, sondern es möchte es auch regelrecht anfassen, in eine enge Verbindung kommen.
Anmerkungen zu Versgruppe 3:
- Ach, an deinem Busen
- Lieg ich, schmachte,
- Und deine Blumen, dein Gras
- Drängen sich an mein Herz.
- Du kühlst den brennenden
- Durst meines Busens,
- Lieblicher Morgenwind!
- Ruft drein die Nachtigall
- Liebend nach mir aus dem Nebeltal.
- Hier fühlt sich das lyrische Ich dem Frühling schon eng verbunden.
- Dabei wird eine doppelte Bewegung deutlich:
- Zum einen ist da von „schmachten“, also weiterhin Sehnsucht, die Rede.
- Dann aber wird das Gleiche auch auf der Seite der Natur gesehen und mit Blumen und Gras verbunden.
- Anschließend wendet sich das lyrische Ich einer Teilerfahrung des Frühlings zu, nämlich dem Morgenwind, der die innere Sehnsuchtshitze offensichtlich etwas kühlt und damit erträglicher macht.
- Die letzten beiden Zeilen deuten dann an, dass das lyrische Ich sich in eine Nachtigall hineinfantasiert und ihre diese Gefühle zuschreibt.
Anmerkungen zu Versgruppe 4:
- Ich komm, ich komme!
- Wohin? Ach, wohin?
- Hier wird die Sehnsucht zu einer Aufbruchsstimmung.
- Das lyrische Ich will sich der Welt der Natur noch mehr nähern,
- weiß aber nicht, wohin es sich wenden soll.
Anmerkungen zu Versgruppe 5:
- Hinauf! Hinauf strebt’s.
- Hier wird deutlich gemacht, dass das Streben nach oben geht. Das kann sich auf den irdischen Himmel beziehen, aber auch ggf. Transzendenz andeuten, zumal ja kurz darauf vom „alliebenden Vater“ die Rede ist.
- Es schweben die Wolken
- Abwärts, die Wolken
- Neigen sich der sehnenden Liebe.
- Mir! Mir!
- Das lyrische Ich wendet sich den Wolken zu und hat den Eindruck, dass sie ihm und seiner intensiven Liebessehnsucht entgegensinken.
- In euerm Schoße
- Aufwärts!
- Daraus entsteht der Wunsch, von diesen Wolken nach oben getragen zu werden, seinem Sehnsuchtsziel zu.
- Umfangend umfangen!
- Aufwärts
- An deinen Busen,
- Alliebender Vater!
- Die letzten Zeilen deuten dann noch einmal die innige Vereinigung zwischen Mensch und Natur an, die mit diesem Aufwärts-Steigen verbunden ist.
- Am Ende wird doch ein Ziel erkennen: Das lyrische Ich möchte an die Brust eines Vaters – gemeint ist wohl Gott -, der seiner Schöpfung und wohl besonders den Menschen mit allumfassender Liebe begegnet.
Zusammenfassung:
- Insgesamt ein Gedicht, das die Wirkung des Frühlings auf einen Menschen zeigt.
- Er fühlt sich geradezu geliebt von dieser Jahreszeit
- mit ihrer Wärme, Schönheit und Vielfalt der Natur.
- Dieses Liebesgefühl ist verbunden mit intensiver, zunächst zielloser Sehnsucht,
- die am Ende aber in dem seine Schöpfung umfassenden Gottvater ein Ziel findet.
- Angestrebt wird die maximale Vereinigung von Natur, Gottheit und Mensch.
Bleibt die Frage nach dem Titel:
Was hat er mit dem Inhalt zu tun, warum hat Goethe für die Schilderung von Frühlingsgefühlen gerade diese antike Gestalt gewählt?
Schauen wir uns die Elemente noch mal an, die z.B. im Lexikon der antiken Mythen und Gestalten, dtv/List 1987 aufgeführt werden.
- Die Herkunft aus einem Trojanergeschlecht können wir wohl vernachlässigen.
- Interessanter sind diese Hinweise:
- „Jüngling von großer Schönheit“
- „von den Göttern entführt, um unter ihnen zu leben und Zeus als Mundschenk zu dienen.“
- „Zeus wurde der Liebhaber des Ganymedes und erhob ihn als Stembild Wassermann an den Himmel, mit dem Adler (Sternbild Aquila) an seiner Seite.“
- Man merkt hier also, dass dieses Gedicht gewissermaßen die Gegenrichtung einschlägt: Nicht ein Gott entführt das lyrische Ich, sondern es selbst möchte angesichts der überwältigenden Schönheit der Schöpfung im Frühling von Wolken zu seinem himmlischen Vater emporgetragen werden. Das ist sicher ein interessanter moderner (im Sinne der Neuzeit) Umgang mit dem antiken Mythos.
Anregung:
Es lohnt sich, sich mal mit dem sogenannten „Pantheismus“ zu beschäftigen. Gemeint ist damit die Vorstellung, dass Gott mit der Natur identisch ist – oder auch umgekehrt.
Diese Gleichsetzung ist in diesem Gedicht natürlich nicht eindeutig gegeben, denn dieser „Vater“ erscheint ja etwas überraschend am Ende und kann die Schöpfung auch überragen.
Aber die Naturbegeisterung, die typisch ist für den „Sturm und Drang“ wird hier schon sehr weitgehend gestaltet.
Interessant ist auch der Vergleich zwischen dieser extremen Begeisterung und dem Naturgefühl der Romantik, das sehr viel leiser ist, aber auch von Sehnsucht geprägt.
Weitere Gedichte des Sturm und Drang werden hier vorgestellt:
https://textaussage.de/sammlung-gedichte-des-sturm-und-drang