Kai Fischer, „Erinnerungsangebote – oder die Frage: Was kann eine „Ex“ noch mit einem machen (Mat719)

Worum es hier geht:

Wie schwer es sein kann, mit dem Ende einer Beziehung klarzukommen, zeigt sehr schön die Kurzgeschichte „Erinnerungsangebote“ von Kai Fischer.

Zu finden ist sie u.a. hier:
Die Kurzgeschichte auf dem Weg ins 21. Jahrhundert, Erarbeitet von Bettina Greese, Hrsg. von Johannes Diekhans
= EinFach Deutsch. Unterrichtsmodell, Bildungshaus
Schulbuchverlage, Braunschweig/Paderborn 2007, S. 32/33

Wir untersuchen diese Kurzgeschichte abschnittsweise. Am Anfang immer zum Vergleich mit der eigenen Textausgabe das Beginn-Zitat des Abschnitts. Dann die Erläuterungen:

  • „Es ist sonst nicht meine Art“
    • Direkter Einstieg
      • Gegen seine sonstige Art hat sich der Ich-Erzähler (IE) sich ganz plötzlich versteckt.
      • Es muss ihn also etwas Besonderes erschreckt oder gar bedroht haben.
      • Dabei handelt es sich um seine Ex, die mit einer Freundin aus einem Café kommt.
  • „Fast hätte sie mich entdeckt“
    • Den Supermarkt, in dem er sich versteckt hat, nutzt der IE dann gleich für Einkäufe.
    • Das wird kommentiert mit kritischen Bemerkungen zur Preisgestaltung angeblich kapitalistischer Kaufleute.
  • „Mein Mädchen, Ex-Mädchen muss ich sagen“
    • Der Anblick von Tomaten führt zu einer ersten Rückblende.
    • Der IE erinnert sich an daran, dass seine Ex Tomaten verschmäht hat.
    • Dafür hat sie an anderer Stelle tüchtig zugelangt.
  • „Die Strecke nutz ich, um Queen Elizabeth zu überholen“
    • Im weiteren Verlauf des Einkaufs macht der IE zunächst seine Abneigung gegenüber Sülzkoteletts und Fleischsalat deutlich.
    • Dann rennt er in ein Brotregal.
    • Das Aufräumen überlässt er mit einer hämischen Bemerkung einem Mitarbeiter des Ladens.
  • „An der Flaschenannahme “
    • An der Flaschenannahme kommt es zu einem kurzen Dialog mit einem Mitarbeiter, den er anscheinend kennt.
    • Der freut sich, dass er einen Job gefunden hat.
    • Der IE betrachtet es ziemlich herablassend.
    • Im Weitergehen wird der IE auf seine Ex angesprochen und versucht krampfhaft, sich auf den Einkauf einer Pizza zu konzentrieren.
    • Er verabschiedet sich mit einer weiteren hämischen Bemerkung und erntet dafür ein Schimpfwort.
    • Als Nächstes erinnert sich der IE an die Änderung seine Essgewohnheiten, seitdem Saskia weg ist.
  • „Jetzt nicht in den Getränkegang“
    • Im weiteren Verlauf wird immer deutlicher, dass der IE von Erinnerungen an die Beziehungszeit gequält wird.
    • Er selbst spricht von einem mühsam „zusammengelogenen Schutzwall“, der in diesem Geschäft immer wieder bricht.
  • „Sie war mal krank, Saskia“
    • Mit dem Hygienebereich verbindet ihn die besonders peinliche Geschichte, als er versucht hat, für seine kranke Freundin Tampons zu besorgen.
    • Interessant ist, dass er von seiner Freundin ausgelacht worden ist, aber dann selbst hat mitlachen können.
  • „Puuuuuuh, Sheba, Whiskas, Pedigree“
    • Eine ältere Frau mit Einkäufen von Hundefutter wird zum Anlass für weitere „Gehässigkeiten“ an, wie der IE es selbst nennt.
    • Er muss allerdings feststellen, dass ihn das nicht von seinem eigentlichen Thema und damit seinen Problemen mit der Erinnerung an die Ex ablenkt.
  • „Alles fing mit ’nem ereignisreichen Tag an, damals“
    • Als Nächstes erinnert sich der IE an die erste Begegnung mit Saskia,
    • bei der sie den Sex locker mal eben wegen eines kochenden Teekessels unterbricht
    • und nach einiger Zeit genauso locker weitermacht.
    • Der IE selbst kommt damit nicht ganz so gut klar – allein schon wegen der körperlichen Gegebenheiten.
  • „Die Hundeoma stieß mir ihren Wagen in die Hacken “
    • Die Geschichte endet mit dem Zusammenprall von den „Träumen“ des IE mit der Realität des Kassenbandes.
    • Der IE muss sich auch hier noch mal mit einer kleinen Frechheit aus dem Versagergefühl herausreden – mit einer wahrscheinlich erfundenen Geschichte von Rasierklingen im Tierfutter.
    • Der Abschluss- und Höhepunkt ist dann die Entdeckung, dass er all das, was bei ihm zum „Erinnerungsangebot“ geworden ist, auch wirklich als „Angebot“ verstanden und in seinen Einkaufswagen gelegt hat.
    • Am Ende dann die vom Erzähler wohl nicht ganz ernstgemeinte Feststellung: „Keine Ahnung, wie das Zeug zusammenkam. Echt nicht.“
    • Die Leser der Geschichte können ihm da leicht weiterhelfen.
    • Spätestens dann, wenn sie die folgende Auswertung gelesen haben 😉

Aussage(n) der Geschichte

Die Geschichte zeigt

  1. wie sehr jemand sich von seiner Ex als Inbegriff der gemeinsamen Beziehungsvergangenheit verfolgt fühlt,
  2. dass dahinter anscheinend einige Minderwertigkeitskomplexe stecken,
  3. die er bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit an Leuten im Laden rauslassen muss.
  4. Am wichtigsten ist natürlich das Phänomen, dass eine lange und eingeübte Gewohnheit nicht so leicht aus dem Körpergedächtnis verschwindet.
  5. Während der Kopf mit ganz anderen Dingen beschäftigt ist, machen die Gliedmaßen etwas, was nur in eingeschränktem Maße dazugehört.
    Auf gut deutsch: Der Kopf ist schon getrennt von der Partnerin, der Körper hat das noch nicht über neue Gewohnheiten lernen können.
  6. Der Schlusssatz ist insofern interessant, weil der Ich-Erzähler hier gewissermaßen aus seiner Verfolgtenrolle heraustritt und sich recht souverän zeigt: Solche peinlichen Geschichten aus dem eigenen Leben kann man später erst erzählen, wenn man sie verarbeitet hat und locker damit umgehen kann.

Thema der Geschichte

Das Thema kann man am besten als eine Frage formulieren, die den Aussagen der Geschichte zugrundeliegt. Die sind nämlich eigentlich Antworten auf eine Frage, die nicht direkt im Text ausgesprochen wird.

Man könnte das Thema zum Beispiel so formulieren:

  • Die Geschichte beschäftigt sich mit der Frage, wie man damit umgehen kann, wenn man plötzlich und unerwartet seine Ex wiedersieht und das als unangenehm empfindet.

    Eigentlich ist es besser zu formulieren:
  • Die Geschichte beschäftigt sich mit der Frage, was passiert, wenn man plötzlich und unerwartet seine Ex wiedersieht und das als unangenehm empfindet.
  • Der Unterschied liegt darin, dass der IE ja gar nicht mit dem Problem umgeht, sondern das Problem geht eher mit ihm um.

Kreative Anregung

Man könnte mal überlegen und es ggf. auch aufschreiben, wie man selbst mal automatisch etwas gemacht hat, was nicht angebracht war. Man war einfach im Kopf zu sehr mit etwas anderem beschäftigt.

Natürlich kann man auch überlegen, wie man selbst in einer solchen Situation umgehen könnte. Wichtig ist natürlich die Vorgeschichte, die in dieser Kurzgeschichte ja gerade nicht berichtet wird.

Kurzgeschichten-Eigenschaften

  1. Direkter Einstieg ist da, allerdings in der Form einer speziellen Einleitung, die schon auktorialen Charakter hat. Der Erzähler betrachtet sich selbst von außen und fällt ein Urteil über sich.
  2. Die Geschichte selbst ist ein „Ausriss“ aus dem Leben
  3. mit allerdings recht geringem Wendepunkt-Grad. Denn es wird am Ende deutlich, dass der Ich-Erzähler inzwischen anscheinend humvorvoll, also aus der Distanz, mit seiner Geschichte umgehen kann. Aber der Weg dahin wird keineswegs deutlich. Da kämpft nichts mit sich selbst.
  4. Damit ist auch die Frage des offenen Schlusses beantwortet: Der wird eingeschränkt durch die inzwischen sichtbare Souveränität. Der IE dürfte also sich positiv weiterentwickelt haben.

Vergleichsmöglichkeit:

Weitere Infos, Tipps und Materialien