Schopenhauer, Die Stachelschweine – Beispiel für „tiefes Lesen“ (Mat8030)

 

Schopenhauer, Die Stachelschweine – Versuch einer Annäherung an einen Text

Ergebnis „tiefen Lesens“ – Stufe 1

Im Folgenden nähern wir uns dem Text erst noch ziemlich stark von der Oberfläche aus. Dabei wollen wir vor allem auch Schülern helfen, die diesen Text im Unterricht behandeln. Von daher kommt einiges hier erst mal „schulmäßig“ rüber. Aber dafür ist Schule ja letztlich da, dass sie die Voraussetzungen für alles Weitere schafft.

Struktur des Textes

  1. Der Text beginnt mit einer Alltagssituation aus dem Tierreich, bei der die Stachelschweine zunächst mal eine ganz gute Lösung für ihre Probleme gefunden zu haben scheinen.
  2. Dann kommt aber als neues Problem hinzu, dass mit allem Guten auch etwas Negatives verbunden ist.
  3. In Zeile 4 wird die Entwicklung dann weiter beschrieben und dann zur Lösung des Problems hin verkürzt: Es geht um eine „mäßige Entfernung“, in der man es am besten mit anderen Lebewesen aushalten kann.
  4. Das erste Wort in Zeile 7 macht deutlich, dass jetzt ein Vergleich hergestellt wird. Jetzt geht es nicht mehr um das Modell aus dem Tierreich, sondern um ein Grundproblem der menschlichen Gesellschaft. Schopenhauer geht davon aus, dass der Kälte des Winters in der Natur die „leere Monotonie des eigenen Inneren“ entspricht. Die gegenseitigen Stacheln werden gleichgesetzt mit „widerwärtigen Eigenschaften und unerträglichen Fehlern“. Anschließend wird die „mäßige Entfernung“, die bei den Stachelschweinen eine rein räumliche Dimension hat, ebenfalls übertragen. Bei den Menschen geht es aber um den kulturellen Bereich, der hier konzentriert wird auf „Höflichkeit und feine Sitte“.
  5. Darauf wird nicht näher eingegangen. Stattdessen wird ein Beispiel aus England herangezogen, das die notwendige Distanz zwischen Menschen betont.
  6. In den Zeilen 14 und 15 wird noch einmal zusammengefasst, dass hier das richtige Maß zwischen Wärme und der möglichen Stichgefahr durch Andere hergestellt wird.
  7. Völlig überraschend kommt dann noch ein Nachsatz, der jetzt die Menschen mit einbezieht, die so viel eigene innere Wärme haben, dass sie die Gesellschaft nicht brauchen. Das wird offensichtlich als positiv verstanden, weil man so weder anderen Beschwerden zufügt noch man so etwas von Anderen ertragen muss.

Zusammenfassung der Textaussage

Nachdem man sich den Text so klar gemacht hat, kann man versuchen seine Intention, seine Aussage zu klären. Dabei bietet es sich an, möglichst differenziert vorzugehen. Von daher empfehlen wir immer eine Punkt-Aufzählung. Hilfreich ist eine einleitende Formulierung, die mit „Der Text zeigt,“ beginnt. In diesem Falle könnte man das dann wie folgt fortsetzen.

  1. Der Text zeigt, dass Menschen in Situationen sind, in denen sie Wärme brauchen, die sie von der Gemeinschaft beziehen können.
  2. Außerdem zeigt er, dass Menschen nicht nur Wärme geben, sondern auch Stacheln haben.
  3. Als Lösung wird empfohlen, dass man gewissermaßen einen Schutzbereich beibehält, der durchaus auch räumlich verstanden werden kann. Im Wesentlichen aber besteht er aus etwas, was Schopenhauer „Höflichkeit und feine Sitte“ nennt.
  4. Der Text zeigt aber auch, dass Schopenhauer all das am liebsten überschreiten würde und die Menschen für besonders glücklich hält, die so viel eigene innere Wärme haben, dass sie auf die Gesellschaft und all die damit verbundene Probleme verzichten können.

Kritik-, Übertragungs- und Sinnpotenzial des Textes

Nach der Klärung der Aussage des Textes geht es jetzt um die kritische Auseinandersetzung damit und vor allem auch die Nutzung beziehungsweise die Anwendung auf Situationen, die der Leser sich aussuchen kann.

Zum einen kann man sich noch genauer klarmachen, was mit „Leere und Monotonie des eigenen Inneren“ gemeint sein könnte. Genauso müsste man für sich klären, was zu den „widerwärtigen Eigenschaften und erträglichen Fehlern der Menschen“ zählt.

Vor diesem Hintergrund kann man dann auch gut klären, was mit „Höflichkeit und feine Sitte“ gemeint ist.
Am Ende taucht sicherlich dann die spannende Frage auf, inwieweit es Menschen gibt, die so viel eigene innere Wärme haben, dass sie auf die Gesellschaft verzichten können.

Besonders interessant dürfte sein, um was für eine innere Wärme es sich handelt, denn viel davon hängt natürlich auch mit dem Miteinander von Menschen zusammen. Es ist ja nicht so, dass man in die Gesellschaft hineingeht, nur um etwas zu empfangen, sondern man gibt auch etwas, wovon dann beide Seiten etwas haben.

Konkretisierungsversuche:

Die „Leere“ des Inneren zeigt sich immer dann, wenn man zum Beispiel Langeweile hat oder einem zu etwas nichts einfällt.

Zu den Widerwärtigkeiten gehört zum Beispiel, wenn jemand sich vordrängelt oder zu offen sagt, was er von Anderen denkt.

Fachwissenschaftlicher Nachtrag:

Am Ende soll noch kurz darauf hingewiesen, dass es sich bei dem Text von Schopenhauer um eine Parabel handelt. Darunter versteht man einen Text, der an einer ausgedachten Geschichte eine Art Moral, eine Lehre verdeutlichen will. Die überträgt sich dann mehr oder weniger klar auf eine andere Situation, meistens im Umfeld von Menschen. Wichtig ist dabei, dass nicht alle Einzelheiten der Bildseite auf die Sachseite übertragen werden müssen. Vielmehr kommt es auf den so genannten „gemeinsamen Punkt“ an, der für beide Seiten gilt und aus dem man dann die Lehre für die Menschheit ziehen kann.

Näheres zur Parabel ist hier zu finden:
https://www.schnell-durchblicken.de/durchblick-auch-in-deutsch/fragen-und-antworten/parabel/

Abschließend noch ein kreativer Impuls:

Wir haben die Schopenhauer-Parabel mal in einem Kurs in ein Kurz-Gedicht umwandeln lassen.

Herausgekommen ist dabei:

Von ferne und im Honeymoon
die Menschen sich sehr leicht wohl tun.
Wenn man sich dann ganz nahe kommt,
bei weitem nicht mehr alles frommt.
Und die Moral von der Geschicht,
Bedachtsamkeit ist höchste Pflicht!

Weitere Infos, Tipps und Materialien

https://textaussage.de/weitere-infos