Sprachliche Gestaltung: Was ist das eigentlich? Am Beispiel von „Die Physiker“, S. 79-85 (Mat7127)

Worum es hier geht:

  • Eine typische Aufgabe für den Deutschunterricht ist, einen Text auf seine sprachliche Gestaltung hin zu untersuchen.
  • Bei Schülern und Schülerinnen gibt es dann den automatischen Reflex:
    Checkliste, sprachliche Mittel heraussuchen und in dem gegebenen Text nach Beispielen suchen.
  • Das endet dann in der Regel damit, dass am eine entsprechende Liste vorgelegt wird, aber man kaum etwas verstanden hat.
  • Sehr viel besser wäre es,
    • von vornherein die inhaltlichen Aussagen mit der Frage zu verbinden:
    • Was hat der Schriftsteller sich einfallen lassen, um das entsprechend auszudrücken beziehungsweise zu unterstützen?

Unser Beispiel:

  • Schauen wir uns einfach mal in Dürrenmatts Drama  „Die Physiker“, die Seiten 79-85 an.
  • Wir stellen das hier so vor, dass auch die das verstehen können, die den Zusammenhang nicht kennen.

Was man erkennen kann

  1. Es beginnt schon in der Mitte der Seite 79, wo das Fräulein Doktor den Befehl erteilt: „Holen Sie die drei, Sievers.“
    Der Oberpfleger antwortet dann auch in einer Kombination von Militärsprache und Umgangssprache Business: „Zu Befehl, Boss.“
    Es wundert den Leser da nicht, wie anschließend die Aufforderungen an die drei Physiker aussehen, die in dieser Anstalt gegen ihre vorgebliche Geisteskrankheit behandelt werden. In Wirklichkeit geht es um ganz andere Dinge.
  2. Ganz deutlich ist dann der Kontrast zu der Art und Weise, wie die drei Physiker sich in die Szene einbringen,
    eine Mischung aus Romantik,
    Philosophie
    und Lebenskunst.
    Bei Möbius wird deutlich, dass er eine spezielle Variante vertritt. Er schützt ja einen König Salomo vor, der ihm Befehle gibt, letztlich soll der sich dabei äußernde Wahnsinn sein Geheimnis schützen, nämlich wissenschaftliche Entdeckungen, die die ganze Menschheit gefährden können.
  3. Auf Seite 80 oben wechselt die Ärztin dann in eine formale Bürokratensprache, während die Pfleger den Kommandoton beibehalten.
  4. Auf Seite 81 zeigt sie zum einen ihre Überlegenheit, zum anderen, aber auch ein seltsames Mitteilungsbedürfnis. Sie verrät mehr oder weniger alle ihre Geheimnisse. Das ist zum einen natürlich aus dramaturgischen Gründen nötig (sonst erfährt der Theaterbesucher ja Wesentlichen nicht), zum anderen unterstreicht das noch mal ihr Selbstbewusstsein.
  5. Auf Seite 82 oben wechselt das Fräulein Doktor, entsprechend ihrer veränderten Rolle auch ihre Sprache und nähert sich dem an, was Möbius vorher präsentiert hat. Ihre Unterwürfigkeit unter König Salomo geht soweit, dass sie sich als seine „unwürdige Dienerin“ bezeichnet, was mit Rationalität nichts mehr zu tun hat.
  6. Auf Seite 83 oben verändert sich der Ton bei einem der Physiker. Er wechselt ins Emotionale und verwendet dabei auch Umgangssprache.
  7. Wenn die Ärztin bei weiteren Eröffnungen die Physiker als „meine Herren“ anredet, so ist das nur eine scheinbare Höflichkeit, die keine wirkliche Gleichrangigkeit bedeutet. Der Hintergrund für diese Sprechweise ist, ist, dass es jetzt für die Ärztin auf nichts mehr wirklich ankommt – sie hat den Sieg in der Tasche.
  8. Interessant ist, dass dann auch Möbius seine Rolle verlässt und eindringlich sich zu dem bekennt, was Realität ist. Es ist natürlich Unsinn zu glauben, dass der folgende Satz etwas bewirkt: „Sehen Sie ein, dass sie verrückt sind.“ Hier merkt man, dass auch dieser große Physiker nicht mehr ganz rational handelt. Auch in seiner Ausbeutungsklage zeigt sich ein hohes Maß an Emotionalität, der das Fräulein Doktor eiskalte Rationalität entgegensetzt.
  9. Dazu gehört auch, mit welcher Gefühllosigkeit sie bekennt, dass sie die Krankenschwestern für ihre Zwecke geopfert hat. Den Physikern nimmt sie auch die letzte Achtung vor sich selbst, wenn sie feststellt: „Ihr seid in euer eigenes Gefängnis geflüchtet.“
  10. Interessant ist am Ende die Einschätzung der Familienverhältnisse durch die Ärztin: Ihre normal in ihrem Reichtum lebenden Verwandten bezeichnet sie als unnormal, während sie sich selbst für normal hält.
  11. Am Ende wechselt das Fräulein Doktor, dann in eine fast religiöse Sprache, wenn sie ihr Verhältnis zu König Salomon beschreibt und sich dabei sogar als „alte, bucklige Jungfrau „bezeichnet. Offensichtlich geht sie so sehr in ihrer neuen Rolle auf, dass alles das, was normal das Leben eines Menschen bestimmt, für sie keine Rolle mehr spielt.
  12. Insgesamt spiegelt die Sprache in dieser Szene
    1. zum einen sehr stark die realen Machtverhältnisse wider,
    2. zeigt aber auch die Veränderungen, die sich in der Figurenkonstellation ergeben.
  13. Besonders deutlich wird das bei den beiden Gegenspielern:
    1. Die Ärztin übernimmt die hochgestimmte, feierliche Sprache, die Möbius früher benutzt hat.
    2. Der wiederum präsentiert sich nach dem Scheitern seines Plans als ganz normaler Mensch, der nur noch bitten kann, ansonsten nicht mehr weiter weiß.

Wir hoffen, dass wir hier deutlich machen konnten, dass man die sprachliche Gestaltung eines literarischen Texten herausarbeiten kann, ohne die üblichen Listen der sogenannten „sprachlichen Mittel“ abzuarbeiten.

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