Theodor Storm, „Lied des Harfenmädchens“ in der Sicht von Marcel Reich-Ranicki (Mat7156)

Worum es hier geht:

Wir wollen im Folgenden mal eine spezielle Art von Interpretation vorstellen. Es handelt sich um einen Beitrag in der „Frankfurter Anthologie“. Dabei handelt es sich um eine Sammlung von Gedicht-Vorstellungen – immer aus einer auch persönlichen Perspektive.

Im Falle von Storms „Lied des Harfenmädchens“ hat der Schöpfer und Gestalter dieser Anthologie mit vielen Beiträgen auch anderer Autoren sich selbst zu dem Gedicht geäußert.

Zu finden ist der Beitrag hier.

Schauen wir uns mal seinen Aufbau an:

  • Anders als in einer normalen Interpretation bezieht der Verfasser sich und seine Gefühle für Storm gleich am Anfang direkt ein.
  • Es folgt die Einschätzung eines zeitgenössischen Kollegen von Storm. Fontane ist der Meinung, dass sein Schriftstellerkollege „kein großer Dichter“ ist, aber ein „liebenswürdiger“  und „poetischer Poet“.
  • Es bleibt ein bisschen unklar, was damit gemeint ist, aber auf jeden Fall ist es positiv.
  • Im Die nächsten Abschnitt äußert sich Marcel Reich-Ranicki dann wieder selbst. Er beschreibt zunächst die Grenzen Storms, charakterisiert dann aber das, was Fontane als liebenswürdig bezeichnet hat, etwas genauer:
    „„Seine Verse sind still und scheu, herb und herzlich. In ihnen gibt es keine ärgerlichen Klänge, keine falschen Töne“.
  • Das ist zunächst einmal eine Charakterisierung mit Adjektiven:
    • „still“ und „scheu“ passen gut zusammen.
    • „herb und herzlich“ auch – man kennt solche Menschen, die nicht mit der Tür ins Haus fallen, aber auf die man sich verlassen kann.

  • Dann geht es um Storms kritische  bis negative Sicht des Lebens? Der Verfasser spricht von einer kleinen Welt, deren Licht „gedämpft“ ist. Das wird verbunden mit der Vorstellung von Nebel.
  • Der Verfasser wendet sich dann wieder seinen Jugend-Erinnerungen zu. Man ist etwas erstaunt, dass er auf die Novelle „Immensee“ eingeht. Der Bezug zum Gedicht, um das es hier geht, wird dann aber gleich hergestellt: Es ist Bestandteil dieser Erzählung.

  • Der Verfasser geht dann soweit, dieses Gedicht „zu den schönsten poetischen Gebilden in deutscher Sprache zu zählen“
  • Das wird dann näher ausgeführt:
    • Hervorgehoben wird vor allen Dingen die Kürze und damit der Verzicht auf alles Überflüssige.
    • Der Verfasser wundert sich dann, dass vier eigentlich recht einfache Feststellungen, die keinen neuen oder selbstständigen Gedanken zeigen, so viel „sanfte Kraft“ zeigen können.
  • Den Grund dafür sieht MRR vor allem im Stil Storms.
    • Es werde alles vermieden, „was auch nur im Entferntesten an etwas Feinsinniges erinnern würde“.
    • Nichts, was man als besonders poetisch bezeichnen würde.
    • Vor allem wird der „Wohlklang“ der Verse hervorgehoben.
  • Hervorgehoben wird, dass das scheinbar so Selbstverständliche wie die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens auf eine besondere Art und Weise dargestellt wird – und die trifft dann den Leser – als „Spiegel unserer Seele“,
  • Als besonderen Vorzug des Gedichtes sieht der Verfasser die drei Wörter
    • „heute“
    • „morgen“
    • und „sterben“.
  • Damit ergibt sich für ihn die „Achse des Liedes“, die durch die Wiederholung noch besonders akzentuiert wird. Darin sieht er sogar das „Geheimnis des Zaubers“ dieses Gedichtes.
  • Am Ende betont der Verfasser noch einmal von die einzigartige Schlichtheit und damit auch Originalität dieses Gedichtes.

Halten wir noch einmal fest:

  1. Es handelt sich um eine besondere Art von Interpretation.
  2. Sie geht aus von den persönlichen Erfahrungen und Empfindungen des Interpreten,
  3. versucht diese dann aber so darzustellen, dass sie auch von anderen nachvollzogen werden kann.
  4. Was die Schule angeht, so wird dort meistens bei den Schülis eine rückblickende Erfahrung mit einem bestimmten Text fehlen.
  5. Dafür kann man dann aber zumindest im Bereich der Stellungnahme am Schluss seine unmittelbare Empfindung und Einschätzung deutlich machen. Allerdings sollte man wie bei der Frankfurter Anthologie immer darauf achten, dass andere das möglichst nachvollziehen können. Auf jeden Fall ergibt sich so eine lebendige Auseinandersetzung mit literarischen Texten, die in der Schule zum Teil durch zu viel „Checklisteritis“ verhindert wird.

Das komplette handschriftliche Schaubild

Für die, die eine solche Verarbeitung eines Sachtextes mit Hilfe eines Schaubildes mal selbst ausprobieren wollen, finden hier die Komplett-Fassung.

Es geht darum, vor dem Ausschreiben erst mal eine Art inneres Bild vom Aufbau und von den wichtigsten Elementen zu bekommen. Dann fällt die eigene Darstellung hinterher viel leichter.

Mat7156 SB Storm Lied des Harfenmädchens

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