Vergleich der Theaterauffassungen von Brecht und Dürrenmatt (Mat1118 )

Dürrenmatt und Brecht: Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Hinblick auf das Theater

  1. Dürrenmatt grenzt sich wie Brecht vom klassischen Theater ab, wie es seit der Zeit des alten Griechen Aristoteles und bis zu Goethe und Schiller und darüber hinaus praktiziert worden ist.
  2. Brecht kritisierte vor allem die Bedeutung der Illusion für die sogenannte Katharsis: Die Zuschauer sollten in das Geschehen des Stücks so einbezogen werden, dass sie die Handlung fast am eigenen Leibe spüren. Deshalb die sogenannten drei Einheiten: In der Einheit der Zeit eines Tagesablaufs, in der Einheit des Ortes – ein Ortswechsel würde die Illusion stören – und natürlich die Einheit der Handlung, am besten auf den Helden fixiert, sei es direkt oder indirekt.
  3. Zu den „drei Einheiten“ kam noch die Idee der sog. „Fallhöhe“: Gemeint war damit, dass möglichst hohe Personen im Mittelpunkt stehen sollten. Wenn die nämlich Opfer ihres Schicksals wurden – wie etwa der Königssohn Ödipus, der später seinen Vater umbringt und als neuer König seine Mutter heiratet (beides tut er, ohne das Verwandtschaftsverhältnis jeweils zu kennen) – ist nach Meinung der klassischen Autoren nach Aristoteles, der Erschütterungseffekt noch größer.
  4. Dem setzte Brecht ein „episches Theater“ entgegen – eigentlich ein Widerspruch in sich, denn in einem Drama wird alles auf der Bühne gespielt und nicht erzählt. Jetzt kommen kommentierende und kontrastierende Elemente als Verfremdungseffekte hinzu und sollen den Zuschauer aus seinem „Besoffensein“ – so formulierte es in etwa Brecht – herauslösen und zum Nachdenken bringen.
  5. Am deutlichsten wird das am Schluss des „Guten Menschen von Sezuan“, wo ausdrücklich gefordert wird, dass die Zuschauer sich selbst ein gutes Ende ausdenken sollen.
  6. Real war es bei Brecht in seinen sog. „Lehrstücken“ aber immer, dass die Zuschauer natürlich das am Ende denken sollten, was Brecht im Stück angelegt hatte. Ein klassischer Fall von „Intentionalität“, was ja bedeutet, dass alles auf bestimmte Zielpunkte zuläuft.
  7. Dürrenmatt nahm Ideen von Brecht auf – man denke an die Verfremdungseffekte in „Die Physiker“, das seltsame Vorwort, das genauso seltsame Verhalten des Inspektors bei seinen Ermittlungen und ähnliches mehr.
    Beim Vorwort kann man gut als Beispiel nehmen, wie über die ermordete Krankenschwester gesprochen wird:
    Sie „liegt auf dem Parkett, in tragischer und definitiver Stellung“ (13).
    Hier merkt man deutlich, wie es ganz offensichtlich mehrere Ebenen gibt – und eben auch eine des Kommentars.Besonders wendet er sich gegen die aristotelische Vorstellung des großen Helden. Für ihn gibt es so was in den komplexen Verhältnissen unserer Zeit nicht mehr.
  8. Der entscheidende Unterschied besteht darin, dass Dürrenmatt tatsächlich jede „Lehre“ aus dem Stück heraus offenlässt – ja noch viel schlimmer: Es scheint überhaupt keine zu geben – außer den kargen Andeutungen in den „21 Punkten zu den Physikern“. Dürrenmatt begnügt sich damit, eine groteske Welt darzustellen, in der die auf groteske Weise scheitern, die doch eigentlich das Gute wollten.

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