Video: Schiller, „Kabale und Liebe“, I,2 – Szene mit Vorgängerin (Mat5588)

Worum es hier geht:

Auf den folgenden Seiten sind wir auf die erste Szene des Dramas „Kabale und Liebe“ von Friedrich Schiller eingegangen. Wir wollten zeigen, wie man einen solchen Text in veraltet erscheinender Sprache trotzdem versteht und auswerten kann:

Mat5579 Video 2023-08-06 Schiller Kabale und Liebe I-1 Inhaltsschritte Zitate Schaubild
https://textaussage.de/video-guide-schiller-kabale-und-liebe-i-1-entwicklung-zitate-schaubild

Mat5580 Video 2023-08-07 Schiller Kabale und Liebe I-1 Dramatische Entwicklung, Aussagen und Thema
https://textaussage.de/video-schiller-kabale-und-liebe-i-1-dramatische-entwicklung-aussagen-und-thema

Jetzt geht es um die Folgeszene.

An der wollen wir zeigen, was aus der „Vorgängerin“ dort noch hineinwirkt.

Hineinwirken in eine Szene kann natürlich nur das, was dort gewissermaßen Anschluss findet.

Deshalb muss man eigentlich erst mal die 2. Szene betrachten – genauso wie die erste. Nur dass man dabei an die erste Szene denkt und schaut, ob es da Zusammenhänge gibt.

Schauen wir uns die Szene kurz an:

Vorher aber noch der Hinweis auf das Video, das inzwischen fertig ist:

Videolink

Hier schon mal die Dokumentation

Die Dokumentation kann man sich anschauen und/bzw. herunterladen:
Mat5588 Video-Fassung Schiller Kabale und Liebe I,2

Nähere Ausführungen zur Dokumentation packen wir auf diese Seite:
https://textaussage.de/video-doku-schiller-kabale-und-liebe-akt1-szene2

Hinweis zum Originaltext

Finden kann man diesen Ausschnitt z.B. hier.

Was folgt ist Originaltext – dazu kommt unser Kommentar, eingerückt.

Worauf es uns bei dieser Szene ankommt:

In einem ersten Video ging es um den Einstieg ins Drama „Kabale und Liebe“.

  • Wichtig war dabei, den Grundkonflikt zu erkennen – die Schwierigkeiten einer Liebe zwischen verschiedenen Ständen.
  • Jetzt geht es darum, zu sehen, wie der Konflikt sich in der nächsten Szene weiterentwickelt.
  • Zunächst klärt man die Ausgangssituation –
  • dann schaut man sich an, was in der neuen Szene „abgeht“.
  • Anschließend beschreibt man,
    • was gleichgeblieben ist,
    • was sich geändert hat,
      was sich weiterentwickelt hat,
      was an neuen Elementen aufgetaucht ist.

Stand des Konfliktes am Ende von Szene 1

  1. .Vater sieht Problem in der Beziehung zwischen seiner Tochter und dem adeligen Ferdinand und will dem ein Ende machen.
  2. Angst hat er vor allem davor, dass seine Tochter mit einem unehelichen Kind sitzen gelassen wird. Das würde ihr alle Heiratschancen nehmen.
  3. Seine Frau will mögliche Gefahren nicht sehen und glaubt an wahre Liebe Ferdinands und den möglichen Aufstieg ihrer Tochter in die Adelsschicht.
  4. Die Szene endet damit, dass der Vater zum Präsidenten, dem Vater Ferdinands gehen will. Er will mit ihm von Vater zu Vater reden.
  5. Deutlich werden soll:
    1. Er glaubt nicht an eine mögliche Heirat,
    2. will aber auch keine einfache Affäre.

Vorab-Hinweise zur Szene: Figuren und Schauplatz

Sekretär Wurm. Die Vorigen.

  • Man sieht hier deutlich, was eine neue Szene ist – nämlich die Veränderung wichtiger Figuren auf der Bühne. In diesem Fall kommt ein „Sekretär“, in diesem Falle ein wichtiger Beamter, nämlich die rechte Hand des Präsidenten hinzu.
  • Der Ort bleibt gleich – alles findet immer noch im Haus des Musikers Miller statt.

Begrüßung und erste Andeutungen

FRAU. Ah guten Morgen, Herr Sekertare. Hat man auch einmal wieder das Vergnügen von Ihnen?

  • Die Frau begrüßt den Besucher ganz normal.
  • Der allerdings macht einige Bemerkungen, die deutlich machen, dass er von dem Adelskontakt Luises weiß.

WURM. Meinerseits, meinerseits, Frau Base. Wo eine Kavaliersgnade einspricht, kommt mein bürgerliches Vergnügen in gar keine Rechnung.

FRAU. Was Sie nicht sagen, Herr Sekertare! Des Herrn Majors von Walter hohe Gnaden machen uns wohl je und je das Bläsier, doch verachten wir darum niemand.

  • Warum hier Miller nicht so gut gelaunt ist, bleibt erst mal offen. Vielleicht richtet sich das aber auch aus das kleine Geplänkel von eben.

Wurm kommt gleich zur Sache

MILLER verdrüßlich. Dem Herrn einen Sessel, Frau. Wollens ablegen, Herr Landsmann?

  • Wurm kommt gleich zur Sache und fragt nach der Tochter, die er „zukünftig“ heiraten will. Wieder deutet er an, sie könnte auch eine „Gewesene“ sein – also in neuen Verhältnissen.

WURM legt Hut und Stock weg, setzt sich. Nun! Nun! und wie befindet sich denn meine Zukünftige – oder Gewesene? – Ich will doch nicht hoffen – kriegt man sie nicht zu sehen – Mamsell Luisen?

FRAU. Danken der Nachfrage, Herr Sekertare. Aber meine Tochter ist doch gar nicht hochmütig.

MILLER ärgerlich, stößt sie mit dem Ellnbogen. Weib!

  • Hier merkt man, dass Miller immer noch sauer auf seine Frau ist.

FRAU. Bedauerns nur, daß sie die Ehre nicht haben kann vom Herrn Sekertare. Sie ist eben in die Mess, meine Tochter.

WURM. Das freut mich, freut mich. Ich werd einmal eine fromme christliche Frau an ihr haben.

FRAU lächelt dumm-vornehm. Ja – aber, Herr Sekertare –

MILLER in sichtbarer Verlegenheit kneipt sie in die Ohren. Weib!

  • Wurm macht weiter mit seiner scheinbaren Gewissheit, die Frau verbreitet wieder etwas, was ihren Mann stört.

FRAU. Wenn Ihnen unser Haus sonst irgendwo dienen kann – Mit allem Vergnügen, Herr Sekertare –

WURM macht falsche Augen. Sonst irgendwo! Schönen Dank! Schönen Dank – Hem! hem! hem!

  • Hier merkt man, dass dieser Sekretär es gewohnt ist, so zu tun als ob.

Frau Miller macht klar, dass Ihre Tochter mehr erreichen soll

FRAU. Aber – wie der Herr Sekertare selber die Einsicht werden haben –

  • Die Frau ist immer noch auf dem Trip, dem Besucher zu sagen, dass ihre Tochter auf neuen Wegen ist.

MILLER voll Zorn seine Frau vor den Hintern stoßend. Weib!

FRAU. Gut ist gut, und besser ist besser, und einem einzigen Kind mag man doch auch nicht vor seinem Glück sein. Bäurisch-stolz. Sie werden mich je doch wohl merken, Herr Sekertare?

WURM rückt unruhig im Sessel, kratzt hinter den Ohren und zupft an Manschetten und Jabot. Merken? Nicht doch – O ja – wie meinen sie denn?

FRAU. Nu – nu – ich dächte nur – ich meine Hustet. weil eben halt der liebe Gott meine Tochter barrdu zur gnädigen Madam will haben –

  • Und dann haut die Frau brutal ihre Wahrheit raus.

Reaktion von Miller  und Wurm auf Adelsperspektive

WURM fährt vom Stuhl. Was sagen Sie da? Was?

  • Dementsprechend überrascht ist Wurm.
  • Miller versucht zu glätten, aber es kommt zum offenen Streit, wie er in der ersten Szene schon angelegt war.

MILLER. Bleiben sitzen! Bleiben sitzen, Herr Sekretarius! Das Weib ist eine alberne Gans. Wo soll eine gnädige Madam herkommen? Was für ein Esel streckt sein Langohr aus diesem Geschwätze?

FRAU. Schmäl du, solang du willst. Was ich weiß, weiß ich – und was der Herr Major gesagt hat, das hat er gesagt.

MILLER aufgebracht, springt nach der Geige. Willst du dein Maul halten? Willst das Violonzello am Hirnkasten wissen? – Was kannst du wissen? Was kann er gesagt haben? – Kehren sich an das Geklatsch nicht, Herr Vetter – Marsch du in deine Küche – Werden mich doch nicht für des Dummkopfs leiblichen Schwager halten, daß ich obenaus woll mit dem Mädel? Werden doch das nicht von mir denken, Herr Sekretarius?

Verweis Wurms auf seine angeblichen Ansprüche auf Luise

  • Wurm fängt jetzt an, seine angeblichen Ansprüche ins Spiel zu bringen.

WURM. Auch hab ich es nicht um Sie verdient, Herr Musikmeister. Sie haben mich jederzeit den Mann von Wort sehen lassen, und meine Ansprüche auf Ihre Tochter waren so gut als unterschrieben. Ich habe ein Amt, das seinen guten Haushälter nähren kann, der Präsident ist mir gewogen, an Empfehlungen kanns nicht fehlen, wenn ich mich höher poussieren will. Sie sehen, daß meine Absichten auf Mamsell Luisen ernsthaft sind, wenn sie vielleicht von einem adeligen Windbeutel herumgeholt – –

FRAU. Herr Sekertare Wurm! Mehr Respekt, wenn man bitten darf –

  • Jetzt wird es spannend. Man merkt, dass Miller mit diesem Bewerber doch nicht ganz glücklich ist. Er spürt zu viel Berechnung, zu wenig Verständnis und Gefühle.

Millers zwiespältige Haltung

MILLER. Halt du dein Maul, sag ich – Lassen Sie es gut sein, Herr Vetter. Es bleibt beim alten. Was ich Ihnen verwichenen Herbst zum Bescheid gab, bring ich heut wieder. Ich zwinge meine Tochter nicht. Stehen Sie ihr an – wohl und gut, so mag sie zusehen, wie sie glücklich mit Ihnen wird. Schüttelt sie den Kopf – noch besser – – in Gottes Namen wollt ich sagen – – so stecken Sie den Korb ein, und trinken eine Bouteille mit dem Vater – Das Mädel muß mit Ihnen leben – ich nicht – warum soll ich ihr einen Mann, den sie nicht schmecken kann, aus purem klarem Eigensinn an den Hals werfen? – Daß mich der böse Feind in meinen eisgrauen Tagen noch wie sein Wildbret herumhetze – daß ichs in jedem Glas Wein zu saufen – in jeder Suppe zu fressen kriege: Du bist der Spitzbube, der sein Kind ruiniert hat!

  • Jetzt geht die Frau aufs Ganze.

FRAU. Und kurz und gut – ich geb meinen Konsens absolut nicht; meine Tochter ist zu was Hohem gemünzt, und ich lauf in die Gerichte, wenn mein Mann sich beschwatzen läßt.

MILLER. Willst du Arm und Bein entzwei haben, Wettermaul?

Wurm will den Vater für sich und seine Interessen einspannen

  • Wurm macht jetzt den Fehler, den Eindruck zu verstärken, dass er selbst allein nicht genug bei Luise erreichen kann.

WURM zu Millern. Ein väterlicher Rat vermag bei der Tochter viel, und hoffentlich werden Sie mich kennen, Herr Miller?

Millers heftige Reaktion auf Wurms Liebeskonzept

  • Das bringt Miller regelrecht in Zorn. Er hat ein sehr modernes Liebesverständnis.

MILLER. Daß dich alle Hagel! ’s Mädel muß Sie kennen. Was ich alter Knasterbart an Ihnen abgucke, ist just kein Fressen fürs junge naschhafte Mädel. Ich will Ihnen aufs Haar hin sagen, ob Sie ein Mann fürs Orchester sind – aber eine Weiberseel ist auch für einen Kapellmeister zu spitzig. – Und dann von der Brust weg, Herr Vetter – ich bin halt ein plumper gerader teutscher Kerl – für meinen Rat würden Sie sich zuletzt wenig bedanken. Ich rate meiner Tochter zu keinem – aber Sie mißrat ich meiner Tochter, Herr Sekretarius. Lassen mich ausreden. Einem Liebhaber, der den Vater zu Hilfe ruft, trau ich – erlauben Sie, – keine hohle Haselnuß zu. Ist er was, so wird er sich schämen, seine Talente durch diesen altmodischen Kanal vor seine Liebste zu bringen – Hat er’s Courage nicht, so ist er ein Hasenfuß, und für den sind keine Luisen gewachsen – – Da! hinter dem Rücken des Vaters muß er sein Gewerb an die Tochter bestellen. Machen muß er, daß das Mädel lieber Vater und Mutter zum Teufel wünscht, als ihn fahren läßt – oder selber kommt, dem Vater zu Füßen sich wirft und sich um Gottes willen den schwarzen gelben Tod oder den Herzeinzigen ausbittet. – Das nenn ich einen Kerl! Das heißt lieben! – und wers bei dem Weibsvolk nicht so weit bringt, der soll – – auf seinem Gänsekiel reiten.

Wurm zieht ab und Miller schimpft über ihn

  • Damit sind die Fronten geklärt – Wurm sieht keine Chance mehr und verschwindet.

WURM greift nach Hut und Stock, und zum Zimmer hinaus. Obligation, Herr Miller.

MILLER geht ihm langsam nach. Für was? Für was? Haben Sie ja doch nichts genossen, Herr Sekretarius. Zurückkommend. nichts hört er und hin zieht er – – Ist mirs doch wie Gift und Operment, wenn ich den Federnfuchser zu Gesichte krieg. Ein konfiszierter widriger Kerl, als hätt ihn irgendein Schleichhändler in die Welt meines Herrgotts hineingeschachert – Die kleinen tückischen Mausaugen – die Haare brandrot – das Kinn herausgequollen, gerade als wenn die Natur für purem Gift über das verhunzte Stück Arbeit meinen Schlingel da angefaßt, und in irgendeine Ecke geworfen hätte – Nein! Eh ich meine Tochter an so einen Schuft wegwerfe, lieber soll sie mir – Gott verzeih mirs –

  • In diesem nachträglichen Kommentar wird ganz deutlich, wie Miller über so einen Brautwerber denkt.

FRAU spuckt aus, giftig. Der Hund! – Aber man wird dirs Maul sauber halten.

Millers Kritik an seiner Frau und seine Sorgen

MILLER. Du aber auch mit deinem pestilenzialischen Junker – Hast mich vorhin auch so in Harnisch gebracht – Bist doch nie dummer, als wenn du um Gottes willen gescheit sein solltest. Was hat das Geträtsch von einer gnädigen Madam und deiner Tochter da vorstellen sollen? Das ist mir der Alte. Dem muß man so was an die Nase heften, wenns morgen am Marktbrunnen ausgeschellt sein soll. Das ist just so ein Musje, wie sie in der Leute Häusern herumriechen, über Keller und Koch räsonnieren, und springt einem ein nasenweises Wort übers Maul – Bumbs! habens Fürst und Matress und Präsident, und du hast das siedende Donnerwetter am Halse.

  • Am Ende kommen noch Vorwürfe Millers an seine Frau. Er hat Sorgen, dass jetzt alles an die Öffentlichkeit kommt.
  • Er wollte ja lieber unter vier Augen direkt mit dem Präsidenten sprechen – von Vater zu Vater.

Auswertung in Richtung „Vorgänger“-Szene

  • Deutlich wird, dass der Streit zwischen Vater und Mutter sich hier voll fortsetzt
  • und noch eine Steigerung erfährt.
  • Die Mutter treibt zunächst Wurm in die Ende
  • und der greift zu einem traurigen Mittel,
  • was Miller wiederum extrem verärgert.
  • Angedeutet wird, dass aus der privaten Angelegenheit jetzt eine öffentliche wird.

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