Endlich Durchblick: Goethes „Faust“
Mögliche Frage-Aspekte könnten sein:
- Thema des Werkes
- Das Streben des Einzelnen
- Möglichkeiten und Grenzen des Verständnisses der Welt
- Selbstgefühl und Verantwortung
- Entstehung
- Faust = regelrechtes Lebenswerk, das Goethe sechs Jahrzehnte lang beschäftigte
- Bekanntschaft mit dem Stoff in frühester Jugend über ein Puppenspiel
- Nach dem Abbruch des Studium in Leipzig Beschäftigung mit Mystik und Alchemie
- Zwischen 1772 und 1775 entsteht der so genannte Urfaust, eine frühe Fassung
- Während des Italien-Aufenthalts ab 1778 wird am Faust weitergearbeitet
- 1790 erscheint dann Faust als Fragment,
- 1808 wird der erste Teil des Dramas veröffentlicht
- Später kommt dann noch ein zweiter Teil zu, der im Jahr des Todes von Goethe 1832 veröffentlicht wird.
- Literaturgeschichtiche Einordnung
- Zwischen Sturm und Drang und Klassik, bsd. in Faust II
- Besonders der Faust am Anfang des Werkes mit seinem unbändigen Wissensdrang zeigt eine typische Haltung im Sinne des Sturm und Drang
- auch die uneinheitliche Struktur des ersten Teils ist typisch für die Zeit des Sturm und Drang; einige Szenen erinnern sehr stark an den von den damaligen Dichtern und besonders auch von Goethe verehrten englischen Dichter Shakespeare
- Der Faust-Stoff: zwei Quellen,
- zum einen als Volksbuch,
- zum anderen als Puppenspiel (baut auf Marlowes Drama auf, das die Überlieferungen um einen Gelehrten aus der frühen Neuzeit mit dem Motiv des Teufelsbundes verbindet)
- Die Struktur des Werkes
- Insgesamt sehr ungewöhnlich, was auch zeigt, dass die Dramen Goethes etwas Besonderes darstellen, eher auch biografische Zeugnisse sind als reine Kunstwerke
- Dreifaches Vorspiel:
- „Zueignung“: Reflexion des eigenen Verhältnisses zum Drama durch den Dichter
- „Vorspiel auf dem Theater“ mit allgemeinen und zeitgenössischen Anmerkungen zum Theater
- und der für das Drama selbst eigentlich nur wichtige „Prolog im Himmel“
- Der himmlische „Rahmen“: Die Wette zwischen Gott und Mephisto
- Gott erscheint im „Prolog im Himmel“ zwar als allmächtig, aber doch auch menschlich. Er ist an Kommunikation interessiert und auch bereit, sich auf eine Wette einzulassen.
- Dabei handelt es sich aber um ein begrenztes Spiel, es wird ganz deutlich, dass Gott sich seines „Knechts“ Faust sicher ist und ihn am Ende auf der sicheren Seite sieht.
- Das entwertet die anschließende Versuchsanordnung etwas.
- Selbstverständnis und Rolle Mephistos
- Er sieht sich zum einen als eine Art Zerstörer, verbunden mit einem hohen Maß an Zynismus
- Andererseits sieht er sich auch als Antreiber des Menschen, der ohne ihn erschlaffen würde
- Ausgangssituation des Dramas – Exposition
- zunächst wie im Puppenspiel = Unzufriedenheit des „begriffsdurstigen“ Wissenschaftlers mit der trockenen Traditionsgläubigkeit der herrschenden rationalistischen Wissenschaft
- Zuwendung zur Magie, allerdings keine Beschwörung satanischer Mächte, sondern Anrufung des Erdgeistes, des Inbegriffs der wirkenden Kraft der Natur
- Doppelte Ernüchterung: zum einen Zurückweisung durch den Erdgeist, zum anderen Konfrontation mit dem trockenen Wissenschaftsverständnis des zukommenden Famulus Wagner
- Selbstmordversuch als einziger Ausweg, Rettung durch religiöse Kindheitserinnerungen beim Hören der Osterglocken
- Erneute Ernüchterung beim Osterspaziergang mit Wagner
- Die Bedeutung der Magie im Drama
- Ursprünglich verstand man unter Magie eine schwarze Kunst, im wahrsten Sinne Teufelszeug, mit dem man sich selbst Vorteile verschaffen und häufig andere ruinieren konnte.
- In Goethes Faust wird Magie zum Zeichen und Werkzeug der Sehnsucht nach einem kompletten Verständnis der Welt.
- Die Tragik des Werkes besteht darin, dass Faust dann doch zu diesem modernen, zutiefst menschlichen Zweck sich alter Mittel, nämlich der teuflischen Künste Mephistos bedient. Dementsprechend gibt es mit Gretchen, aber auch ihrer Mutter und ihres Bruders wieder Opfer.
- Am Ende versucht Faust, sich von jeder „un-“ oder „übermenschlichen“ Variante von Magie zu befreien und durch reines Tätigsein für das angenommene Wohl von Menschen seine Ziele zu verwirklichen.
- Zwar scheitert er auch dabei, aber sein Streben wird anerkannt und am Ende belohnt.
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- Die Gretchen-Tragödie
- Sie beginnt damit, das Faust sich von Anfang an durch das Erlebnis in der Hexenküche in einer unnatürlichen „Anmach-Situation“ gegenüber Gretchen befindet, die sich demgegenüber recht souverän Ihre Würde bewahrt.
- Dementsprechend muss Mephisto mit seinem teuflischen Verführungsspiel eingreifen.
- Das Gespräch über Religion zwischen Faust und Gretchen zeigt die sozialen und intellektuellen Unterschiede zwischen den beiden, zugleich aber auch die Hellsichtigkeit des jungen Mädchens, die ein natürliches Empfinden für unklare oder gar falsche Verhältnisse hat.
- Nach der Anbahnung der Beziehung sorgt Mephisto dann auch dafür, dass Faust auf seine sexuellen Kosten kommt, was zum Tod der Mutter führt und Gretchen durch die anschließende Schwangerschaft aus der sozialen Gemeinschaft hinaus katapultiert (Szene „Am Brunnen“)
- Jetzt trennen sich die Wege: Während Gretchen Trost im Gebet sucht, bringt Faust mit Mephistos Hilfe in einem Degengefecht auch noch ihren Bruder um. Anschließend lässt er sich von Mephisto in die Walpurgisnacht entführen, lässt also die angeblich Geliebte allein.
- Besonders spannend ist die Szene „Trüber Tag Feld“, die als einzige in Prosa erscheint. Dort versucht Faust, die Verantwortung für das Geschehen ganz auf Mephisto abzuwälzen und ergeht sich ansonsten eher in Selbstmitleid.
- Am Ende wird Gretchen zwar aus dem Kerker gerettet, aber nicht durch Faust und Mephisto, sondern durch ein Eingreifen des Himmels. Voraussetzung dafür ist, das Gretchen sich ganz ihrem Schicksal stellt und jede Scheinlösung ablehnt. Faust muss dafür seinen Weg mit Mephisto weitergehen, was auf den zweiten Teil des Dramas hindeutet.
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- Ausblick auf Faust II = siehe weiter unten.
Versuch einer Gesamtbeurteilung Fausts (auf der Basis des ersten Teils)
Am Ende hier ein Schaubild, das im Rahmen einer Klausurbesprechung entstanden ist.
Aufgabe war es – auf der Basis der Kenntnis nur des ersten Teils die Frage zu beantworten, ob Faust eher eine „Unglücksfigur“ ist oder doch ein „guter Mensch in seinem dunklen Drange“, der sich des rechten Weges stets bewusst ist.
Aufgabe:
Ist Faust eher eine „Unglücksfigur“ – oder im Sinne des Prologs „auf dem rechten Weg“?
Ausblick auf den zweiten Teil des Faust und Klärung seines Anteils am Gesamtwerk
Wir sind immer wieder erstaunt, wie man sich in der Schule, aber auch im Theater mit Faust I begnügt. Natürlich ist der zweite Teil schwieriger, vor allem auch umfangreicher – und wird auch nur selten gespielt. Für das Gesamtverständnis des Dramas ist er aber unverzichtbar – denn dort erst wird der „Prolog im Himmel“ gewissermaßen zu einem „Epilog“, also abgeschlossen.
Erst dann weiß man, dass nicht nur Gretchen gerettet wird, sondern auch dieser in vielerlei Hinsicht „heillose“ Faust – und dann auch noch durch ein Gretchen, das zu einer Art Himmelsmutter weiterentwickelt worden ist und zum Inbegriff des schönen Satzes wird: „Das Weibliche zieht uns hinan.“
Deshalb nun unser Versuch, zumindest einen kurzen Überblick auch über den zweiten Teil zu geben, der diese Lücke füllt.
- Das halboffene Ende von Faust I
Der erste Teil des Faust endet mehr oder weniger als Fragment, weil nur das Schicksal Gretchen ansatzweise geklärt wird, aber zum Beispiel der Ausgang der Wette zwischen Gott und Mephisto völlig offen bleibt. - Faust II: Nach dem Gefühls- und Erlebnischaos jetzt ein Bildungsprozess
Dass der zweite Teil des Faust ganz stark von den Ideen der Klassik geprägt ist, sieht man daran, dass nicht mehr das individuelle Gefühlsleben einer Person im Mittelpunkt steht, sondern deren Entwicklung im Rahmen eines Bildungsprozesses. - Ein zentraler Punkt: Die griechische Antike und die Gegenwart Goethes
Ein wichtiges Thema ist die Beziehung zwischen der Klassik und ihren antiken Ursprüngen. Das wird im dritten Akt am Beispiel der Beziehung zwischen dem Gelehrten und der Helena der griechischen Mythologie präsentiert. Der frühe Tod des gemeinsamen Sohnes zeigt eine gewisse Skepsis, was die Möglichkeit der Poesie angeht, die Welt dauerhaft zu verändern. - Die Bedeutung des Schlussteils: Eine gute Absicht und erneute Schuld
Für die Rahmengeschichte des Dramas, die Wette zwischen Gott und Mephisto, ist der Schlussteil entscheidend. Dort versucht Faust, ein großes Projekt, nämlich die Gewinnung von Land, durchzuführen, also etwas für die gesamte Menschheit zu tun. Dabei nimmt er allerdings in Kauf, dass zwei glückliche alte Menschen von den Ereignissen überrollt werden und dabei sogar umkommen.
Hier wird deutlich, dass Fausts Weg nicht nur im ersten Teil von Opfern begleitet wird (Gretchen, ihr Kind, die Mutter, der Bruder). - Nur scheinbarer Sieg Mephistos und Rettung Fausts durch das „himmlische“ Gretchen
Der scheinbare Erfolg seines Projektes lässt Faust die verhängnisvollen Worte sprechen, die es Mephisto zu erlauben scheinen, ihn nun am Ende seines Lebens zu seinem Diener zu machen. Allerdings wird Faust in einer etwas komisch wirkenden Szene von Engeln gerettet und dann zu Gretchen gebracht, die inzwischen eine hohe Position in der Himmelswelt einnimmt und ihren ehemaligen Verehrer jetzt gewissermaßen mit nach oben zieht. Das heißt, es wird angedeutet, dass Faust Entwicklung nach seinem Tod noch weitergeht und schließlich harmonisch abgerundet wird. - Abschluss des im „Prolog im Himmel“ geöffneten Rahmens
Damit ist letztlich das eingetreten, was Gott am Anfang des Dramas gegenüber Mephisto bereits angedeutet hat, dass jeder strebende Mensch trotz aller Fehltritte am Ende auf den richtigen Weg zurückfinden wird und erlöst werden kann. Berühmt geworden sind die Worte: “Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen” (11936/7) Und dann noch wohl mit einer Anspielung auf die Kraft der Liebe: “Das Unbeschreibliche, hier ist’s getan; das ewig Weibliche zieht uns hinan. (12108-12111).
Vergleich von Faust I und Faust II
- Teil 1: Im Stil des Sturm und Drang, zum Teil mit Fetzen-Szenen, Teil II im Stil des klassischen Dramas mit 5 Akten
- Teil 1: Entwickelt im „Prolog im Himmel“ das große Rahmenprogramm, die Wette zwischen dem HERRN (Gott) und Mephisto (Teufel). Teil II erweitert dann Mephistos Versuch, Faust vom „graden Weg“ wegzuleiten um einen Weg in die weite Welt, an dessen Ende dann die Rettung Fausts steht.
- In Teil 1 zeigt sich Faust als der ungestüme Wahrheitssucher und Lebenserfahrer, der dabei auch schuldig wird – an Gretchen, ihrer Mutter, ihrem Bruder. In Teil 2 ist er der große Weltmann, der schließlich versucht, alle Menschen glücklich zu machen – und dabei an einem alten Ehepaar schuldig wird.
- In Teil 1 gibt es den Hexensabbat im Harz, in Teil 2 die klassische Walpurgisnacht. Darüber hinaus wird die antike Helena „wiederbelebt“, während im ersten Teil Fausts Interesse einem einfachen Mädchen (Gretchen) gilt.
- Insgesamt durchzieht Faust im ersten Teil die „kleine Welt“, im zweiten Teil die „große Welt“: Letztlich kann er auch im 2. Teil nicht so glücklich gemacht werden, wie er es verlangt, stattdessen wird er betroben und dann von himmlischen Mächten gerettet. Insgesamt ein umfassendes Menschheitsdrama mit – typisch für Goethe – Happy-End.
Hinweis auf ein interessantes Buch, das Faust bereits als „Global Player“ sieht
Nähere Infos dazu gibt es hier.
https://textaussage.de/michael-jaeger-goethes-faust-ein-frueher-global-player-rezension