Werbung machen für ein Gedicht – Am Beispiel von: Conrad Ferdinand Meyer, „Zwei Segel“ (Mat4753)

Worum es hier geht:

  • Die Besprechung von Gedichten im Unterricht ist häufig mühsam. Vor allem, wenn immer das gleiche Analyseprogramm verwendet wird.
  • Viele Schülerinnen und Schüler fragen sich dann, was hat das mit meinem Leben zu tun.
  • Also könnte man doch hin und wieder den Spieß umdrehen.
    • Man stellt dann einfach gleich am Anfang eine direkte Beziehung her zwischen dem Gedicht, der heutigen Welt und dem eigenen empfinden.
    • Das geht gut, wenn man eine Anzahl von Gedichten prüft unter dem Gesichtspunkt: Was haben sie uns heute noch zu sagen.
    • Also könnte man zum Beispiel einfach eine Sammlung von Liebesgedichten unter diesem Gesichtspunkt bewerten lassen.
    • Wichtig dabei ist nur die Unterscheidung zwischen dem ganz persönlichen subjektiven Empfinden und einer möglichst auch allgemeinen Bedeutung.

Schauen wir uns einfach als Beispiel mal das Gedicht “Zwei Segel” von Conrad Ferdinand Meyer an:

Wir haben das Gedicht auf der folgenden Seite vorgestellt:

https://textaussage.de/5-min-tipp-zu-c-f-meyer-zwei-segel

  1. [Ungewöhnliche, Interesse weckende Einleitung]
    Man fragt sich ja häufig, was eigentlich das Besondere an der Liebe ist.
  2. Der Schweizer Dichter Conrad Ferdinand Meyer hat darauf eine sehr originelle Antwort gegeben.
  3. Er hat sich einfach zwei Segelboote vorgestellt, die in einer Bucht auf gleichem Kurs liegen.
  4. Dann hat er beschrieben, was zu sehen ist, wenn der Wind mal wechselt.
  5. [Warum dieses Gedicht in den Katalog der Gedichte aufgenommen werden sollte – zunächst einmal ist es sehr gut gelungen.]
    Das Gedicht beschreibt auf eine sehr inspirierende Weise, wie die Bewegung des einen Segelbootes sich dann im anderen fortsetzt.
  6. So ergibt sich am Ende ein gleicher Rhythmus, eine große Harmonie. Dass die Bewegung dabei bisschen zeitversetzt ist, lässt das ganze noch natürlicher erscheinen.
  7. [Das Gedicht regt aber auch noch zu eigenen Überlegungen an:]
    Am Ende fragt man sich, wie das mit der Harmonie in einer glücklichen Beziehung aussieht. Welche Art von Anregungen kann man sich vorstellen, die von den Partner oder die Partnerin dann direkt aufgenommen wird.
  8. Natürlich kann man auch Infragestellen, ob der Dichter bei der Entstehung dieses Textes wirklich gleich an Liebe gedacht hat. Vielleicht war es ja auch einfach Freundschaft, die durch die Gleichförmigkeit der Bewegung ausgedrückt zu werden scheint.
  9. [Das Gedicht regt aber auch dazu an, selbst kreativ zu werden – es gewissermaßen weiterzudenken.]
    Man kann sich durch das Gedicht aber auch anregen lassen, über etwas anderes nachzudenken. In einer guten Beziehung muss ja nicht immer die weitgehende Gleichförmigkeit herrschen. Wie könnte man in einem Gedicht ausdrücken, dass sich auch Anregungen ergeben, die auf unterschiedliche Art und Weise aufgenommen werden. Wichtig wäre nur, dass das Gefühl der Harmonie dabei erhalten bleibt.
  10. Ein Beispiel wäre etwa: Jemand beginnt zu singen, und der andere übernimmt die zweite Stimme dazu. Oder beim Basketball: Der eine lässt sich von einem geschickten Korbleger dazu anregen, ihn ein wenig zu variieren.

Nun gibt es immer wieder Lehrerinnen und Lehrer, denen so etwas nicht genügt.  Sie wollen zum Beispiel, dass man ausgehend von der inhaltlichen und sprachlichen Gestaltung auch noch die Wirkung beschreibt.

Das könnte dann zum Beispiel so aussehen:

  1. Inhaltlich
    1. haben wir gleich am Anfang die Beschreibung einer Gemeinsamkeit, die dem lyrischen Ich wie eine „Flucht“ vorkommt. Das ist ja eine Situation, in der das Für-einander-Einstehen eine besondere Bedeutung hat.
      „Zwei Segel erhellend
      Die tiefblaue Bucht!
      Zwei Segel sich schwellend
      Zu ruhiger Flucht!“
    2. Die zweite Strophe beschreibt dann die Gemeinsamkeit in Form eines Nacheinanders. Auch das zeigt ja ein tiefes Einvernehmen zwischen zwei Wesen, wenn das eine das andere einfach sofort nachahmt.
      „Wie eins in den Winden
      Sich wölbt und bewegt,
      Wird auch das Empfinden
      Des andern erregt.“
    3. Die dritte Strophe intensiviert das dann noch. Denn jetzt geht es nicht einfach nur um Bewegungsänderungen, sondern fundamentale Entscheidungen: Ob man etwa insgesamt beschleunigt oder erst mal eine Pause macht.
      „Begehrt eins zu hasten,
      Das andre geht schnell,
      Verlangt eins zu rasten,
      Ruht auch sein Gesell.“
  2. Was die sprachlichen Besonderheiten angeht,
    1. So merkt man am Anfang gleich die Konzentration auf die Objekte. Auf komplette Sätze wird verzichtet. Die Verben erscheinen nur mit Bezug auf die Substantive.
    2. In der zweiten Strophe hat man dann einen einen kompletten Vergleichssatz, den man so vorlesen kann, dass der Inhalt dabei in der Sprechweise deutlich wird. Man könnte das Sich-Wölben, Bewegen und Empfinden gut pantomimisch ausdrücken.
    3. Die letzte Strophe werden dann sprachlich die Anpassungsprozesse deutlich gemacht. Besonders in den ersten beiden Zeilen hat man das Gefühl, dass sich da etwas geradezu verzahnt.
  3. Bleibt die Frage nach der Wirkung:
    1. Das Gedicht ist so gestaltet, dass Inhalt und sprachliche Form in hohem Maße eine Einheit bilden.
    2. Das führt dazu, dass man regelrecht mitgeht, fast zu einem dritten Segel in diesem Gedicht wird.

Eine gesprochene Version, die die Wirkung zumindest andeuten soll

Weitere Infos, Tipps und Materialien 

https://textaussage.de/weitere-infos