Wolfgang Borchert, „Zwei Männer“ – Gewalt und Krieg in der Regenwurm-Perspektive (Mat5943)

Worum es hier geht:

Wolfgang Borchert hat viele Texte verfasst, die sich gegen Gewalt und Krieg richten.

Zu den kürzesten, aber deswegen nicht weniger eindrucksvollen gehört „Zwei Männer“.

Der Text ist u.a. hier zu finden:

Schauen wir uns ihn mal genauer an.
Den Originalwortlaut haben wir dabei kursiv formatiert.

Es waren einmal zwei Menschen.

  • Es fängt an wie im Märchen, aber man merkt dann schnell, dass es hier eher um eine Parabel geht, also eine sogenannte „Gleichniserzählung“. Da denkt sich jemand eine Geschichte aus, die nur einen einzigen Zweck hat, nämlich etwas an einer Art Modell klarzumachen.
  • Anschließend kann das, was klar geworden ist, auf etwas anderes, meistens die Wirklichkeit, übertragen werden.

Als sie zwei Jahre alt waren, da schlugen sie sich mit den Händen.

Als sie zwölf waren, schlugen sie sich mit Stöcken und warfen mit Steinen.

Als sie zweiundzwanzig waren, schossen sie mit Gewehren nach einander.

Als sie zweiundvierzig waren, warfen sie mit Bomben.

Als sie zweiundsechzig waren, nahmen sie Bakterien.

  • Man merkt hier, dass diese Erzählung auf das absolute Minimum reduziert worden ist. Man weiß nicht, wo diese Männer lebten, welchen Beruf sie hatten, worum es zwischen ihnen geht.
  • Verbunden sind sie nur durch Aggression – immer auf dem Level, der in dem Alter möglich ist.
  • Im letzten Falle geht es wohl um Biowaffen. Es ist erstaunlich, dass der schon 1947 gestorbene Schriftsteller schon wusste, worüber heute überall geredet wird. Dass eben auch biologische Kampfmittel wie zum Beispiel Viren eingesetzt bzw. erprobt werden.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Biologische_Waffe

Als sie zweiundachtzig waren, da starben sie. Sie wurden nebeneinander begraben.

  • Die gemeinsame Kampf-Lebensreise endet mit dem Tod. Das heißt: Es gab im Leben dieser beiden Männer, die wohl stellvertretend für alles und alle stehen, die nur den Kampf kennen, nur die Auseinandersetzung.
  • Alleine dadurch schon wird die Reduktion, die traurige Begrenztheit einer solchen Lebensweise deutlich.
  • Wichtig ist aber auch die ständige Eskalation. Das Gedicht zeigt, dass alles gemacht wird, was jeweils möglich is. Ohne jede Rücksicht – ohne jede Menschlichkeit.
  • Damit sind wir bei einer entscheidenden Lücke des Gedichtes. Es ist keine Rede von den anderen Opfern, die bei einer solchen Lebensweise leiden und ggf. sterben müssen.

Als sich nach hundert Jahren ein Regenwurm durch beide Gräber fraß, merkte er gar nicht,

daß hier zwei verschiedene Menschen begraben waren. Es war dieselbe Erde. Alles dieselbe Erde.

  • Am Ende dann die eigentliche „Lehre“ dieser Parabel. Am Beispiel des Schicksals der Leichen wird deutlich gemacht, dass die beiden Menschen eigentlich im wesentlichen gleich waren, nämlich Träger von Leben, das jetzt aufgehört hat, ohne eigentlich stattgefunden zu haben.
  • Die Aussage wird durch zwei besondere Mittel verstärkt:
    • Zum einen wird ein sehr kleines, meist wenig beachtetes Lebewesen genommen, das auch der körperlichen Existenz dieser beiden Männer schließlich ein Ende macht.
    • So ein – schnell mal zertretenes Tierchen – ist jetzt stärker als die Menschen.
    • Es steht wohl für die Macht der Natur, an die die Männer vielleicht früher hätten denken sollen.
    • Schließlich stellt sie eine Fülle von Geschenken bereit, die häufig genug bei bewaffneten Auseinandersetzungen Schaden nehmen.
  • Insgesamt ein Text, der sich auf einen einzigen Punkt konzentriert, nämlich auf das gemeinsame Mensch- und In-der-Natur-Sein.
  • Letztlich wird deutlich: Lasst doch die gegenseitige Quälerei sein – ihr seid eigentlich gleich und werdet später auf jeden Fall gleich sein, wenn es für das Leben zu spät ist.
  • Natürlich macht es sich Borchert auch sehr einfach: Es gibt sicher immer wieder Gründe, zur Waffe greifen zu müssen. Als Deutscher weiß man, dass nur der Sieg der Alliierten im Zweiten Weltkrieg einer besonders scheußlichen Form des Massen- und Völkermords ein Ende gesetzt hat.
  • Aber das ist nicht das Thema dieses Gedichtes. In ihm geht es nur um all die vermeidbaren Auseinandersetzungen zwischen Menschen, die nur der Zerstörung und auch der Selbstzerstörung dienen.

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