Zur Frage des Rechts auf eine zweite Chance (Mat8044)

Das Folgende haben wir als Anstoßtext zum Nachdenken in der Schule veröffentlicht:

https://textaussage.de/anders-tivag-zweite-chance

Uns geht es hier vor allem um den letzten Absatz. Denn wir haben jedes Interesse daran, dass sich die Zahl derer, die aus Überzeugung gut sein wollen, so stark vergrößert, wie es nur irgend geht.

Schließlich gibt es den wunderbaren Satz, den Martin Luther so übersetzt hat:

„Ich sage euch: Also wird auch Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, vor neunundneunzig Gerechten, die der Buße nicht bedürfen.“

Daran sollte man sich orientieren, ganz gleich, welchen religiösen oder weltanschaulichen Hintergrund man hat.

Nun aber zu dem oben schon erwähnten „Anstoßtext“, der hier in der Originalfassung zu finden ist.

Wohl jeder stimmt heute dem Satz zu, dass man eine zweite Chance bekommen sollte. Schwieriger wird es, wenn man sich Situationen vorstellt, in denen dieser Satz angewendet werden soll. Fangen wir mit einem berühmten Fall an, bei dem eine Kassiererin fristlos entlassen wurde, die Flaschen-pfandbons an sich genommen hatte, die Kunden liegengelassen hatten. Mehrere Gerichte bestätig-ten die Entlassung zunächst, weil dadurch angeblich das Vertrauen zwischen der Firma und der Angestellten irreparabel zerstört worden sei. Erst das höchste deutsche Arbeitsgericht entschied anders und gab damit der Angestellten eine zweite Chance.

Schwieriger wird es schon, wenn jemand zu Recht eine Gefängnisstrafe bekommen hat und nach ihrer “Verbüßung” (übrigens ein interessantes deutsches Wort) wieder arbeiten möchte. Hier muss man wohl unterscheiden, ob jemand einen Kassierer einstellen kann, der schon mal Geld unter-schlagen hat. Anders sieht es sicher aus, wenn jemand gegenüber dem Verführer seiner Freundin handgreiflich geworden ist und ernsthaft erklärt, daraus gelernt zu haben.

Was aber ist mit den vielen kleinen Fällen, die alltäglich passieren. Da rutscht jemandem eine Beleidigung heraus – und er entschuldigt sich gleich. Oder aber jemand sagt seine Meinung – und Andere weisen ihn darauf hin, dass das als ausländerfeindlich oder als unmenschlich verstanden werden konnte. Darf so jemand sich wenigstens erklären und im Idealfall einsehen, dass er vorschnell geurteilt oder nicht an alles gedacht hat, was dazu gehört?
Wir haben genug echte Bösewichte in der Welt – sollten wir da nicht froh sein über jeden, der auf Kritik hört oder etwas sogar selbst einsieht?

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