5-Minuten-Tipp zu Nikolaus Lenau, „Herbst“ (Mat4450)

Tipp 1:

  • Der Titel sagt noch nicht aus, benennt nur eine Jahreszeit.
  • Es lohnt sich aber, sich zu überlegen, was man selbst dabei empfindet, dann hat man nämlich schon eine Position, von der aus man das Gedicht beurteilen kann.

Tipp 2:

Rings ein Verstummen, ein Entfärben:
Wie sanft den Wald die Lüfte streicheln,
Sein welkes Laub ihm abzuschmeicheln;
Ich liebe dieses milde Sterben.

  • Das lyrische Ich schildert seine Eindrücke.
  • Deutlich wird eine recht positive Sicht, die man durchaus als verharmlosend empfinden kann, wenn man daran gedacht hat, dass viele Menschen den Herbst auch als eine Zeit ansehen, in der die Lust am Leben zurückgeht und auch Krankheiten und Sterbefälle zunehmen.
  • Am Ende dann eine sehr beschönigende, verharmlosende Sicht auf das Sterben, auch wenn es hier nur bildlich auf den Herbst bezogen wird.

Tipp 3:

Von hinnen geht die stille Reise,
Die Zeit der Liebe ist verklungen,
Die Vögel haben ausgesungen,
Und dürre Blätter sinken leise.

  • Hier wird das Gedicht etwas widersprüchlich, weil auf die Liebe als verschwunden angesehen wird.
  • Auch der Gesang der Vögel ist verschwunden – dabei weiß man doch, wieviel Schwung er einem im Frühjahr geben kann.

Tipp 4:

Die Vögel zogen nach dem Süden,
Aus dem Verfall des Laubes tauchen
Die Nester, die nicht Schutz mehr brauchen,
Die Blätter fallen stets, die müden.

  • Hier geht es ähnlich weiter: Die Vögel haben gute Gründe, in den Süden zu ziehen. Wieso gilt das nicht auch für die Menschen?
  • Und wenn einen Müdigkeit umgibt, kann einen das auch selbst müde machen.

Tipp 5:

In dieses Waldes leisem Rauschen
Ist mir als hör’ ich Kunde wehen,
dass alles Sterben und Vergehen
Nur heimlich still vergnügtes Tauschen.

  • Jetzt kommt der Höhepunkt, eine Art Zusammenfassung und Schlussfolgerung:
  • Dabei geht das lyrische Ich sogar so weit, dass „alles Sterben und Vergehen“ nichts ist als ein „heimlich still vergnügten Tauschen“. Gemeint ist damit wohl erst mal der Wechsel der Jahreszeiten.
  • Aber das Gedicht überträgt das auf „alles Sterben“, was mindestens ziemlich gewagt ist, wenn nicht sogar eine Unverfrorenheit gegenüber allen, die unter dem Sterben ihrer Lieben leiden. Vielleicht ist es aber auch einfach die Flucht in irgendeine religiöse Vorstellung, dass das Leben nach dem Tod weitergeht. Bleibt die Frage: Und dann stirbt man noch mal? All das lässt das Gedicht offen – leider ohne irgendeine Andeutung, die dem Leser Lust macht aufs Selbst-Weiterdenken.

Tipp 6:

  • Je problematischer ein Gedicht, umso größer die Chance, dem etwas entgegenzusetzen.
  • Man könnte einfach mal ein paar Situationen zusammenstellen, in denen der Herbst überhaupt nicht als das „milde Sterben“ erscheint.
    • Keine Chance mehr auf schöne Treffen im Garten.
    • Am Spätnachmittag schon wird man von der tiefstehenden Sonne geblendet – und wenn man Pech hat, nimmt einen ein geblendeter Autofahrer auf die Hörner.
    • Oder man rutscht im dick liegenden Herbstlaub auf der Straße aus und darf sich einige Wochen  am Gips erfreuen.
    • Ganz neu im Jahre 2021 die Aussicht auf eine steigende Heizrechnung.
    • Und wenn für einen die „Zeit der Liebe verklungen“ ist – na dann viel Spaß in der Einsamkeit oder bei der frustrierenden Suche nach einem neuen Liebesfrühling – oder soll man immer ein halbes Jahr warten, weil Herr Lenau das schön findet?

       Wer noch mehr möchte …