5-Minuten-Tipp zu Benjamin Forester, „Ungeduld“ (Mat4507)

Worum es hier geht …

Im Folgenden wird ein Gedicht vorgestellt, das recht ungewöhnlich ist, auch sehr locker im Ton, aber das Spannungsfeld zwischen schreiben und lieben recht gut deutlich werden lässt.

Das Gedicht ist hier zu finden:
https://www.gedichte-oase.de/thema/kommunikation/seite/5

 

Der Titel und die Frage des Themas

Das Gedicht beschäftigt sich laut Titel mit einer menschlichen Eigenschaft, bei der man etwas schneller haben möchte, als es möglich zu sein scheint.

Das Thema wird erst klar, wenn man die Aussage verstanden hat. Also lässt man das erst mal offen, darf es aber weiter unten nicht vergessen.

Anmerkungen zu Strophe 1

  • Die erste Strophe bezieht die „Ungeduld“ dann auf das Schreiben von Gedichten. Offensichtlich geht das lyrische Ich davon aus, dass man mehr Zeit dafür braucht, als man es gerne hätte. Außerdem fällt ein Flüchtigkeitsfehler auf („einfa“ statt „einfach“) – was wohl die Folge von Ungeduld sein soll und durch die Nicht-Korrektur bestraft wird.

Anmerkungen zu Strophe 2

  • Die zweite Strophe beschreibt dann die Tätigkeit eines Dichters, so wie das lyrische Ich es sieht. Interessant ist, dass das „Handwerken“ im Vordergrund steht.
    Wer sich ein bisschen auskennt, dem fällt der Unterschied zwischen Barock und Aufklärung einerseits und der anschließenden Geniezeit ein, die im Dichten mehr sah als ein Handwerk.

Anmerkungen zu Strophe 3

  • Die dritte Strophe ist dann etwas unklar: Zunächst geht es um Gefühle, die beim Leser etwas in Bewegung setzen. Dem entgegen scheinen die Informationen zu stehen, die eher zum „verweilen“ führen. Vielleicht aber liegt auch beides auf derselben Linie.

Anmerkungen zu Strophe 4

  • Die vierte Strophe bezieht sich auf die Erfahrungen des lyrischen Ichs mit dem „ersten Mal“. Hier vermutet man schnell eine Anspielung auf sexuelle Erfahrungen. Die scheinen nicht so gut gewesen zu sein, sonst bekäme das lyrische Ich nach eigener Aussage „nicht soooo einen Hals.“ Als Leser wundert man sich nicht, dass auch hier wieder ein Flüchtigkeitsfehler auftaucht, schließlich wird das Gedicht offensichtlich in Erregung geschrieben.

Anmerkungen zu Strophe 5

  • Die letzte Strophe enttäuscht dann etwas, denn dort geht es wieder um die Schwierigkeiten beim Schreiben von Gedichten und um die Bitte um Geduld. Nur ein kleiner Impuls kommt noch, wenn das lyrische Ich sich selbst als „Hauptakteur“ bei dem Erleben des Inhalts bezeichnet.

Zusammenfassung und Versuch, die Aussage des Gedichtes zu klären

  • Insgesamt erscheint das Gedicht auf den ersten Blick ziemlich belanglos, aber es lohnt sich, genauer nachzuschauen. Offensichtlich ist der Widerspruch zwischen dem Bemühen um Substanz und dem, was geboten wird. Das einzig Witzige scheint zu sein, dass die Ungeduld tatsächlich Flüchtigkeitsfehler hinterlässt.
  • Wenn man dann etwas mehr nachdenkt, kommt man wohl zur eigentlichen Aussage des Gedichtes: Es zeigt einen Menschen, der offensichtlich eine negative Erfahrung im Liebesbereich durch das Schreiben eines Gedichtes loswerden will, aber die damit verbundenen Schwierigkeiten nicht bewältigt, sondern nur beschreibt.

Zu den besonderen literarischen Mitteln des Gedichtes

  • Wir gehen hier absichtlich nicht von den „sprachlichen“ Mitteln aus, weil das meistens zu einem Abarbeiten von Checklisten führt und dann irgendwas zwischen Anakoluth und Parenthese aufgeführt, aber nicht in einen Zusammenhang mit der Gesamtstrategie des Gedichtes gebracht.
  • Das ist wie bei der Intention (Aussage), auch dort zählt am Ende nur das, worauf das Gedicht gewissermaßen strategisch abzielt.
  • Deshalb versuchen wir mal zu klären, was dieser Autor sich hat einfallen lassen, um die Aussagen des Gedichtes wirkungsvoll in Sprache und Gedichtform umzusetzen:
    • Da ist erst mal der etwas ironische Ton, in dem angebliche Selbstverständlichkeiten präsentiert werden: Etwa wenn als Ziel der Arbeit des Gedichtschreibers erklärt wird: „Schließlich soll doch etwas zurück bleiben.“ Das kann einfach nicht ernst gemeint sein, zumindest nicht in diesem lockeren, scheinbar banalen Ton.
    • Genau im gleichen Ton geht es weiter, wenn beim Schreiben „Informationen hin geworfen“ werden.
    • Und wieder das seltsame simpel formulierte Ziel: „Es soll doch keine Enttäuschung werden“.
    • Das sind eigentlich alles Platitüden, die am eigentlichen Thema des Gedichtes vorbeireden.
    • Die scheinbare Gedankenlosigkeit zeigt sich auch in der Abfolge:
      Erst ist von großen Gefühlen die Rede, dann von Informationen, die den Leser „zum verweilen“ bewegen sollen.
    • Erst als es um das „eigentliche Gedicht zu meinem ersten Mal“ geht und von „Qual“ die Rede ist, wird es ernsthafter, wenngleich der umgangssprachliche Ton beibehalten wird: „bekomme ich imme wieder soooo einen Hals“.
    • Dann wieder gleich Entfernung von dem, was weh tut, und wieder der alte lockere, wenig sagende Ton: „Da müssen die Worte richtig überlegt sein / sonst falle ich mit meinen Gedichten nur rein.“
    • Am Ende wird dann die Katze aus dem Sack gelassen, aber wieder nicht „in echt“, sondern in einer Umschreibung: Nicht von den nur knapp angedeuteten echten Problemen der Liebe ist die Rede, sondern vom „Gedichteschreiben“, das angeblich so schwierig ist.
    • Am Ende dann noch ein kleines Highlight an Einfällen: Statt der zum Teil gelungenen, zum Teil auch recht unfertig wirkenden unreinen Reime am Ende ganz der Verzicht darauf: Denn „ist“ und „bin“ reimen sich nun wirklich nicht – genau, wie das ganze „Gedicht“ mehr verschweigt als verrät.
  • Wir hoffen, dass deutlich geworden ist, was die eigentlichen Mittel sind, auf die man sich bei Gedichten konzentrieren sollte, statt Begriffslisten abzuarbeiten: Hier geht es um den lockeren Ton, das Herumreden um das eigentliche Problem und am Ende die verschämt wirkende Aufdeckung des Geheimnisses, dass der Sprecher im Gedicht offensichtlich ein „Hauptakteur“ ist, der diese Rolle nicht ausgefüllt wird, ganz gleich, woran man dabei denken mag.
  • Und so ist das Gedicht am Ende genauso unvollkommen wie sein Liebesleben und es bleibt ihm nur, um Geduld zu bitten. Diese Bitte sollte er vor allem an sich selbst richten und nicht dem Leser in die Schuhe schieben.

Was man mit dem Gedicht anfangen kann

  • Interessant ist das Gedicht vor dem Hintergrund der Fragestellung, wann eigentlich Liebesgedichte entstehen. Hier gibt es die These, dass Gedichte nur geschrieben werden, wenn man gerade nicht glücklich ist oder das Glück zumindest nicht als Person vor einem steht. Denn dann hat man anderes zu tun als Gedichte zu schreiben.
  • Man könnte ja mal ein Gedicht schreiben, bei dem dieses Schreiben dazu führt, dass das geliebte Gegenüber eine ganz andere Art von Ungeduld zeigt und dann lieber die Wohnung verlässt und woanders Abenteuer sucht, als noch länger dem Möchtegern-Partner nur beim Schreiben zuzuschauen.

Nun ein Versuch, das Thema zu formulieren

Das Thema beschäftigt sich mit der Frage, wie es jemandem geht, der gerade unglücklich in der Liebe ist und das in einem Gedicht verarbeiten will.

Wer noch mehr möchte …