Wie prüft man Sicherung

Worum es geht …

Im Folgenden gehen wir von der Situation aus, dass eine Lehrkraft den Schülern nur vorgibt, auf welcher Seite sie ein Gedicht auswählen können. Dann sollen sie es analysieren. Vorteil des Verfahrens ist, dass man auf diese Art und Weise viele aktuelle Gedichte kennenlernt, wenn die dann vorgestellt werden.

In diesem Fall geht es um die Seite:
https://www.lyrikline.org/de/startseite/

Und das Gedicht mit dem Titel „Ich habe meinen Augenblick verpasst“ erscheint interessand, kommt also in die engere Auswahl. Glücklicherweise liegt es in einer deutschen Übersetzung von Andre Rudolph vor:

https://www.lyrikline.org/de/gedichte/przegapilem-swoj-moment-6211

Die zwei Fragen, die uns hier interessieren:

Wenn man vor der Frage steht, nehmen oder nicht: hat man eigentlich zwei Fragen zu beantworten:

  1. Kann man das Gedicht analysieren? Manche Gedichte überfordern einen einfach oder sind so individuell oder hermetisch (verschlossen), dass man sich besser nicht an sie wagt.
  2. Und wenn ja:
    Lohnt es sich, das Gedicht zu analysieren?
    Hat es genügend Aussagepotenzial – und: Interessiert man sich selbst dafür. Denn die Arbeit an diesem Gedicht ist ja freiwillig. Man könnte auch ein anderes nehmen.

Auswertung der Überschrift

„Ich habe meinen Augenblick verpasst“

  • in der Überschrift berichtet das lyrische ich von einer Situation und einer Erfahrung, die es gerade gemacht hat:
  • Es geht offensichtlich darum, dass es einen besonderen Moment irgendwie an sich hat vorbei streichen lassen.
  • Im Nachhinein deutet sich jetzt das Gefühl an, dass da mehr möglich gewesen wäre.
  • Interessant wird, wie das lyrische ich damit umgeht: zum Beispiel ärgerlich oder auch fatalistisch.
  • Fazit: die Überschrift ist auf jeden Fall verständlich und geht auch auf etwas wichtiges im menschlichen Leben ein.

Auswertung von Strophe 1

Wie soll man ihn auch nicht verpassen, wenn man im Internet

die Zeitung von morgen liest, die Songs der schwach leuchtenden Rock-

Sternchen hört, die sich als Supernovas ausgeben. Wenn man sieht,

  • In der ersten Strophe gibt es lyrische ich Begründungen an, warum so etwas passieren kann, dass man einen oder sogar den besonderen Moment seines Lebens verpasst.
  • Es folgen zwei Gegebenheiten, bei denen man prüfen müsste, wieso sie zum verpassen eines wichtigen Augenblicks führen:
  • Was die Zeitung im Internet angeht, könnte gemeint sein, dass man so viel mit den Zukunftsbeschreibungen anderer beschäftigt ist, dass man seine eigene verpasst. Denn wenn das lyrische ich seinen Augenblick genutzt hätte, wäre sein Leben ja anders verlaufen.
  • Der Hinweis auf die Songs geht möglicherweise in die Richtung, dass man zu viel auf eine Art und Weise unterhalten wird, die sich höher stellt, als sie wirklich ist.

Auswertung von Strophe 2

wie der Tsunami von vor Jahren immer noch dieselben

Dörfer verwüstet und die Türme des World Trade Centers sich jede Nacht

rasend schnell selbst wieder aufbauen, um dann am Tag faul

  • In der zweiten Strophe geht es dann um große Ereignisse der letzten Jahre.
  • Gemeint sein könnte damit, dass in den Medien ständig über so etwas berichtet wird, auch in Wiederholungen. Und auch das hindert einen anscheinend, das für ein selbst wichtige zu erkennen und zu nutzen.

Auswertung von Strophe 3

wieder einzustürzen. Ja, sag, wie soll man ihn auch nicht verpassen,

seinen Augenblick, in einer Welt, in der eine Zeitung

in vier Versionen rauskommt: einer konservativen,

  • In einem weiteren Schritt wird als weiterer Grund für die nicht Nutzung eines besonderen Augenblicks die Vielfalt andere Meinungen genannt, wie man sie zum Beispiel in Zeitungen vorfindet.
  • Es verfestigt sich immer mehr der Eindruck, dass dieses Gedicht die Informations- und Interpretationsflut kritisiert, die von außen kommt und der man eben zu wenig entgegensetzt an eigener Meinung und Einsicht.
  • Interessant ist natürlich der kleine Gag am Ende, dass von einer Zeitung sogar ohne Text die Rede ist. Möglicherweise bezieht sich das auf bestimmte Zeitungen, die mehr oder weniger nur Bilder bringen und auf die Art und Weise auf Emotionen setzen, ohne wirklich etwas zu sagen zu haben.

Auswertung von Strophe 4

einer liberalen, einer gemäßigten und einer ohne Text? In Zeiten,

in denen die ungenutzen Minuten aufs Konto des nächsten Monats

gutgeschrieben werden. Ich habe meinen Augenblick verpasst. Wann, wo?

  • Der Schlussteil des Gedichtes enthält eine Art auswertender Zusammenfassung.
  • Die Idee mit dem Konto soll wohl deutlich machen, dass es eben ungenutzte Minuten gibt, was wiederum der Überschrift entspricht, die einfach auf die Zukunft verschoben werden. Das ist eigentlich nichts anderes als eine Verallgemeinerung der Überschrift.
  • Am Ende ist das lyrische ich so verwirrt, dass es zwar das Gefühl hat, seinen Augenblick verpasst zu haben. Aber es weiß nicht mal mehr, wann und wo das passiert ist. So sehr ist es abgelenkt durch andere Dinge.

Auswertung von Strophe 5

Oder vielleicht hat er mich verpasst? Ist hinter dem

Horizont verschwunden, hat sich ausgebreitet in die Unendlichkeit.

 

Und wartet.

  • Der Schluss klingt dann zunächst sehr negativ, weil angedeutet wird, dass dieser besondere Moment verschwunden ist und damit erst mal unerreichbar wird.
  • Die Schlusszeile macht dann wieder etwas Hoffnung, deutlich wird aber auch, dass man jetzt aktiv werden muss. Konkret heißt das wohl: eine Zurückdrängung all dessen, was von außen und von anderen auf einen ein stürmt. Und sich auf das konzentrieren, was einem selbst weiter bringt. Und d.h. zunächst mal nichts anderes, als dass man die Augen aufmacht und alles prüft, inwieweit es in gewisser Weise auf einen gewartet hat
  • Vorläufiges Fazit: ein wunderbares Gedicht, dass man sogar auf den Sinn des Lebens beziehen kann, den jeder für sich finden muss.

Wer noch mehr möchte …