Worum es hier geht:
Für die Schule ist es immer eine reizvolle Aufgabe, sich von Literatur anregen zu lassen – zu einer eigenen Variante.
Bei Roths Roman „Hiob“ bietet sich das in besonderer Weise an. Denn die harmonische Wende am Ende, die alles zum Guten fügt, wird zwar vorbereitet, überzeugt aber nicht jeden.
Deshalb präsentieren wir hier die Lösung eines Schülers, der einen seiner Meinung nach „realistischeren“ Schluss entwickelt hat – eine sehr gute Anregung für die Diskussion im Kurs.
Die Lösung eines Schülers:
Hiob – ein realistischerer Schluss
(Eingesetzt wird im 15. Kapitel.)
„Ein schönes Lied, nicht wahr?“ „Was will er nur?“, dachte Mendel. „Ja, ja ein schönes Lied.“ „Weil ich
gehört habe, dass Ihnen dieses Lied so gut gefiel, habe ich Ihnen eine Originalplatte vom Orchester
mitgebracht. Die Platten von „Menuchims Lied“ wurden gestern kostenlos verteilt. Wussten sie eigentlich,
dass ein Enkel des Komponisten Menuchim hieß? Ihm ist dieses Lied gewidmet.“
Diese Nachricht traf Mendel Singer nicht so stark, wie er es eigentlich befürchtet hatte. Was sollte er sich
auch für Hoffnungen machen? Er war ein armer Jude, den Gott strafte. Niemals würde er ihm so ein
Geschenk machen.
„Was machen Sie denn für ein Gesicht?“, fragte der junge Frisch. „Stimmt was nicht?“ „Doch, doch. Alles in
Ordnung,“ antwortete Mendel mit einer Verbeugung. Sein Eis ließ er stehen und verließ fluchtartig den
Raum. Die Ladenklingel schrie, als er den Raum verließ.
Nun stand er draußen. Er wusste nicht wohin. Zurück zu Skowronnek? Dort erwartete ihn diese schreckliche,
angsteinflößende Frau, die ihn sicherlich fragen würde, was der Frisch denn gewollt hätte. Stehen bleiben?
Frisch würde ihn sicherlich fragen, warum er nicht nach Hause geht. Also setzte sich Mendel Singer in
Bewegung. Er irrte umher, ohne festes Ziel, ohne Motivation, ohne Hoffnung.
Ihm kam Moses in den Sinn. Der musste auch in der Wüste umherirren, und das vierzig Jahre lang. Aber ihm
hatte Gott versprochen, dass er ihn retten würde. Er hingegen war unrettbar verloren, von Gott im Stich
gelassen, von seiner Familie auf ewig getrennt, gestraft und einsam und verbittert zurück gelassen.
In Mendel Singer reifte ein Plan.
Das Osterfest stand vor der Tür. Alles war bei Skowronnek bereitet. Das Essen war gekocht, die Männer
versammelt und die Stube bereit für die Feier.
Alles setzte sich an die Tische. Auch Mendel, der sich aber demonstrativ an das Ende des Tisches setzte.
Dann begannen die Gebete. Alles pries den Herrn für seine großen Taten, die Juden aus Ägypten
rauszuführen und die Ägypter zu bestrafen. Alle sangen von seiner Herrlichkeit, seinem Ruhm, seiner nie
endenwollenden Güte. Alle beteten voller Inbrunst, schwangen vor und zurück, während sie die Verse
rezitierten, die auch schon ihre Großväter gebetet hatten. Alle beteiligten sich. Außer Mendel. Er saß am
Ende des Tisches, ein zitterndes Häufchen Elend, gebeugt und verbittert.
Die Osterbrote standen in der Mitte des Tisches, verdeckt unter einem weißen Tuch, ein schneebedeckter
Gipfel in der weiten Einöde des Tisches. Mendel sah sie nicht. Er konzentrierte sich auf das, was er in der
Tasche hatte. Bald war der Zeitpunkt gekommen.
Die Anwesenden gingen nun dazu über, die Becher mit rotem Wein zu füllen, in Anlehnung an das
vergossene Blut der Söhne der Ägypter, die der Todesengel des Herrn umgebracht hatte.
Mendel beugte sich zu seiner Tasche hinab und holte die Schweinskeule hervor, die er am Tag zuvor im
italienischem Viertel geholt hatte. Auch die Ampulle mit Schweineblut kam zum Vorschein. Er öffnete sie
und goss das ganze Blut über die Osterbrote. Alle Anwesenden waren geschockt. „Er rast!“, riefen sie, und:
„Haltet ihn auf!“. Mendel ließ sich nicht beirren. Er holte seine Gebetsriemen hervor, langte nach einer
Kerze und tat das, was er all die Male vorher nicht gekonnt hatte, wogegen er sich innigst gesträubt hatte. Er
verbrannte sie. Das Feuer züngelte hoch, eine verzehrende Brunst, der der weiche Baumwollstoff schnell
zum Opfer fiel. Aber das war noch nicht alles.
„Frau Skowronnek, sie wollten doch wissen, wo Ihr Messer ist. Hier, in meiner Hand, da müssen Sie
suchen.“ Und Mendel Singer hob das Messer hoch. „Gott hat mich gestraft, er hat mich verlassen, nun ist es
Zeit, zurückzuschlagen. Gott, Jachweh, Jehova, oder welche Namen auch immer du hast, schaue auf mich.
Du hast mich gestraft, obwohl ich immer gottesfürchtig war, nie gegen deine Gesetze verstoßen habe. Nun
verstoße ich gegen das allerheiligste Gesetz. Wir sollen deine Abbilder seien, sagst du. Nun, dann sieh, was
ich damit mache. Wenn ich mich töte, töte ich auch dich. Durch meinen Tod töte ich auch dich. Sieh, zu
wie du deine Knechte durch deine Grausamkeit treibst.“ Und Mendel Singer hob das Messer, sah alle
Anwesenden an und stieß sich das Messer in die Brust, und das war es dann mit Mendel Singer.
Henri Vogt
Hier wird ganz auf Harmonie und Happy End verzichtet – Mendel bleibt im Krieg mit Gott, beendet ihn dann aber auf ganz eigene Weise.
Alternativer Schluss von Roths Roman Hio[…]
Mat8148 Alternativer Schluss für Roths Hiob-sd
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