Anders Tivag, „Wenn Kommunikation zur Kunst wird“ – eine Kurzgeschichte mit Dämmerungsende (Mat5275)

Worum es hier geht:

Unser Kollege bespricht gerade mit seinem Kurs Kurzgeschichten zum Thema „Kommunikation“. Dabei setzte er auch ein kurzes Video ein, das auf Youtube unter

Videolink

zu finden ist.

Als er einem Freund davon erzählte, meinte der nur. Kann man daraus nicht eine Kurzgeschichte machen?

Wie das bei Anders so ist, er liebt es zu experimentieren, weil man dabei am meisten versteht, wie Literatur funktioniert.

Hier nun also die Geschichte, die Anders uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat.

Anders Tivag

Wenn Kommunikation zur Kunst wird

Endlich Wochenende. Nach mehreren Klausuren in der Woche freute sie sich jetzt einfach auf ein bisschen Shoppen in der Stadt. Alles lief auch gut, bis sie plötzlich vor einem Schaufenster von jemand angesprochen wurde, dessen Stimme sie kannte. Und sie wusste auch, was sie nun erwartete. Es war Onkel Tom, seines Zeichens Lehrer und voller Geschichten, die er erlebt hatte. Und tatsächlich, es kam, wie es kommen musste.

„Hallo Mia, schön, dich mal wieder zu sehen. Wie geht es dir denn so? Was macht die Kunst?“

Onkel Tom liebte solche Wiederholungen mit einer zunehmenden Tendenz zu blumigen Wendungen.

Und jetzt ihr strategischer Fehler:

„Ach, Onkel Tom, ich hatte in der Woche einigen Stress mit Klausuren.“

Weiter kam sie nicht:

„Ich hoffe, dass das die bei dir besser ausfallen als bei den Schülern, mit denen ich mich mal rumschlagen musste. Du kannst dir gar nicht vorstellen, was man da erleben kann. Das Schärfste war mal ein Kurs, der überhaupt nicht kapiert, worauf es beim Analysieren ankommt. Ich hab mich da hingesetzt und für die extra mal eine Beispielsanalyse gemacht. Und weißt du was dann passierte?“

Hier machte Onkel Tom erwartungsvoll eine Pause, und das war das Ende seines Monologs. Denn Mia hatte inzwischen Zeit gehabt, sich einen Fluchtweg zu überlegen. Sie begann zu lächeln, was sie dann kunstvoll zu einem regelrechter Begeisterung steigerte.

„Richtig, Onkel Tom, da gab es doch diesen Schüler, der deine Musterlösung heftig kritisierte. Die sei doch auch nicht anders als ihre. Als du dann nachgefragt hast, hatte er die noch gar nicht richtig gelesen.

Mia merkte deutlich, dass Onkel Tom schwankte zwischen Freude darüber, dass seine Erzählung sich bei ihr so gut im Gedächtnis verankert hatte. Bevor ihm klar wurde, warum ihn das Ganze auch ein bisschen schmerzte, schaute Mia auf die Uhr und sagte schon halb im Abdrehen:

„Sorry, schön, dich getroffen zu haben. Ich muss jetzt schnell zum Bus. Du hast beim nächsten Mal sicherlich wieder eine schöne Geschichte parat.“

Und damit war sie weg. Auf dem Gesicht von Onkel Tom aber lag etwas, was man als Dämmerung bezeichnen konnte.

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