Anmerkungen zum Gedicht „Menschliches Elende“ von Andreas Gryphius (Mat681)

Anmerkungen zur Überschrift

Menschliches Elende

  • Die Überschrift macht deutlich, dass es in dem Gedicht um Elend geht.
  • Das Attribut („menschliches“) bedeutet in diesem Zusammenhang im Normalfall, dass das Elend sich auf die Menschen bezieht und nicht zum Beispiel auf Tiere.

Anmerkungen zu Strophe 1

01 Was sind wir Menschen doch! ein Wonhaus grimmer Schmerzen?
02 Ein Baal des falschen Glücks / ein Irrlicht dieser Zeit /
03 Ein Schauplatz aller Angst / und Widerwärtigkeit /
04 Ein bald verschmelzter Schnee / und abgebrannte Kerzen /

  • Das Gedicht beginnt mit einer negativen Feststellung.
  • betont, dass die Menschen gewissermaßen von Schmerzen bewohnt werden.
    • Kritische Anmerkung:
      Diese Aussage ist natürlich nicht falsch, es wird aber übersehen, dass das Ausmaß an Schmerzen bei den einzelnen Menschen unterschiedlich ausfällt. Man wird schauen müssen, ob auch andere Aussagen so pauschal, undifferenziert sind.
    • Das ist zumindest eine berechtigte Kritik aus heutiger Zeit und löst die Frage aus, warum es dem Dichter so wichtig war, die Menschen so darzustellen. Wahrscheinlich im Dienste des Gegensatzes von irdischem und himmlischem Leben.
  • Die zweite Zeile betrifft den religiösen Bereich, indem ein mögliches irdisches Glück in einen Zusammen gebracht wird mit falschen Göttern – zumindestens aus der Sicht des Christentums, das im Barockkultur dominiert.
  • Wenn von einem „Irrlicht“ die Rede ist, bedeutet das, dass die Menschen falschen Lichtern als Wegweiser folgen und dementsprechend auch in eine falsche Richtung laufen.
    Als nächstes wird das menschliche Leben reduziert auf die Kombination von Angst und Widerwärtigkeit“.
  • Die letzte Zeile bezieht dann noch das Bilder der Vergänglichkeit mit ein, betrachtet den Menschen also nur als Kurzzeitpassagier des Lebens.
  • Zwischenfazit:
    • Das Gedicht präsentiert ein sehr negatives Bild der Menschheit, was wahrscheinlich so nur vor dem Hintergrund bestimmter religiöser Auffassungen möglich ist.
    • Nach dem Motto: Wer nicht so lebt, wie die Kirche das für richtig hält, lebt halt ein falsches Leben, auch wenn er es vielleicht gar nicht merkt.

Anmerkungen zu Strophe 2

05 Dies Leben fleucht davon wie ein Geschwätz und Scherzen.
06 Die vor uns abgelegt des schwachen Leibes Kleid /
07 Und in das Totenbuch der grossen Sterblichkeit
08 Längst eingeschrieben sind; sind uns aus Sinn‘ und Herzen:

  • Im gleichen Stil geht es weiter:
    • Die Kürze des Lebens wird verbunden mit einer absolut negativen Bewertung dessen, was es ausmacht.
    • Dass man etwas gegen Geschwätz, also wenig ergiebiges Gespräch zwischen den Menschen hat, kann man noch verstehen.
    • Die Ablehnung von Scherzen erinnert aber stark an ein Mittelalter, dessen Ablehnung des Lachens vielen aus dem Film „Der Name der Rose“ noch im Kopf ist. Dazu ein Zitat:
      „In den gebildeten, klerikalen Kreisen galt das Lachen über Jahrhunderte hinweg nicht nur als unschicklich, die entgleisten Gesichtszüge sah man als Manifestation tierischer Instinkte wie beim Affen bei Johann von Salsbury (1120 – 1180) oder gar als Manifestation des Teufels. Von der Spätantike bis zum 10. Jahrhundert galten in Klöstern strenge Lachverbote. Das Lachen störte Demut und Askese. Erst die Heiligen im Paradies könnten glücklich lachen.“
      https://www.fnp.de/lokales/wetteraukreis/bad-vilbel-ort112595/lachen-diese-teuflische-suende-10596251.html
  • Man hat den Eindruck, dass diese Vorstellungen den Hintergrund für das negative Urteil über das menschliche Leben abgeben.
    • Anmerkung: Man könnte diesem Gedicht schön entgegensetzen: Tja, wenn man alles ausklammert bzw. verbietet, was Spaß macht, darf man sich nicht wundern, wenn am Ende nur der Eindruck des Elends übrig bleibt.
  • Es folgt ein sehr negatives Verständnis, was den Körper angeht. Auch das hat viel zu tun mit Vorstellungen, die im Christentum in früheren Jahrhunderten eine Rolle gespielt haben.
  • Dabei geht es um die Menschen, die der aktuell noch lebenden Generation zeitlich voran verstorben sind.
  • Die letzte Zeile ist nicht so ganz klar, lässt sich aber am besten verstehen, dass diese Menschen aus dem Bewusstsein der Lebenden verschwunden sind.

Anmerkungen zu Strophe 3

09 Gleich wie ein eitel Traum leicht aus der Acht hinfällt /
10 Und wie ein Strom verfließt / den keine Macht aufhält;
11 So muss auch unser Nam / Lob / Ehr und Ruhm verschwinden.

  • Diese Hypothese bestätigt sich in dieser Strophe, denn dort geht es ja darum, dass vom gleichen Schicksal die aktuell lebende Generation bedroht ist.
  • Auch hier wieder eine starke Schwarzweißmalerei.
    • Weder wird berücksichtigt, dass selbst im christlichen Europa das Andenken an die Verstorbenen zumindest eine gewisse Rolle gespielt hat.
    • Außerdem wird völlig ausgeblendet, dass selbstverständlich auch in der Barockzeit das geschichtliche Bewusstsein die Menschen im Gedächtnis hatte, die sich in früheren Zeiten einen Namen gemacht haben.

Anmerkungen zu Strophe 4

12 Was itzund Atem holt; fällt unversehns dahin;
13 Was nach uns kommt / wird auch der Tod ins Grab hinziehn /
14 So werden wir verjagt gleich wie ein Rauch von Winden.

  • Die letzte Strophe konzentriert sich dann voll und ganz auf die Vergänglichkeit aller Generationen.
  • Zum einen bleiben auch hier die eben bereits formulierten Einwände bestehen.
  • Zum anderen zeigt sich in dem Gedicht eine erschreckende Einseitigkeit, die im Leben vor dem Tod überhaupt keinen Wert beimisst.
  • Zumindest wird in keiner Weise darauf eingegangen, dass ein Leben zunächst mal im Jetzt stattfindet.
    • Anmerkung: Diesem Barockdichter kann man zum Beispiel den Grundsatz der Stoiker entgegenhalten, der sinngemäß lautet: Solange man  lebt, ist man nicht tot und wenn man tot ist, lebt man  nicht mehr.
      Hierzu ein Zitat zum Denken des römischen Philosophen Seneca:
      “Die Todesproblematik wird bei Seneca also auf drei Wegen zu entschärfen versucht. Zum einen lässt sich mittels der stoischen Weltanschauung der Tod als nebensächlich abtun, womit man die gesamte Problematik als nicht real entlarvt. Hierbei wird der Argumentation gefolgt, dass solange man am Leben ist, nicht tot ist und wenn man schließlich tot ist, sich nicht mehr um das Leben zu kümmern braucht. Wieso sollte man also im Umkehrschluss, zu Lebzeiten über den Tod nachdenken? “
      https://www.grin.com/document/281997
  • Interessant in diesem Gedicht ist, dass nicht mal eine positive Jenseitsperspektive aufgezeigt wird, wie es in vielen Gedichten der Zeit üblich ist.
  • Das heißt: Hier wird mit negativen christlichen Vorgaben für das irdische Leben zumindest implizit gearbeitet, ohne dass dem irgendeine Belohnung im Jenseits gegenübersteht.
  • Kritische Anmerkung:
    Also ein Gedicht, das  die Behandlung im Unterricht eigentlich nur rechtfertigt, wenn es darum geht, eine vergangene Zeit kennenzulernen. Oder aber man wird in die Stimmung versetzt, dieser einseitigen Sicht ein bisschen mehr Vielfalt und Buntheit des Lebens entgegenzusetzen.

Zusammenfassung: Das Gedicht zeigt:

  1. zunächst die typisch barocke Sicht auf den Menschen – nur Negatives, wie die Überschrift es ja auch schon andeutet.
  2. Alles läuft auf die Perspektive des Todes, der Endlichkeit zu.
  3. Erstaunlicherweise wird das auch den beiden letzten Strophen so durchgehalten.
  4. Also ein ganz erstaunliches Gedicht der Zeit und für Gryphius – ohne positive Perspektive.
  5. Also eine wunderbare Möglichkeit, dem eine moderne, positivere Sicht entgegenzusetzen – gerne auch ein bisschen ausgewogen – aber nicht in dem Katastrophenstil dieses Gedichtes.

Anmerkung zur Form des Gedichtes

Was die Form des Gerichtes angeht, handelt es sich um ein sogenanntes Sonett. In den beiden Quaretten, also Strophen mit vier Zeilen, wird dabei in der Regel erst mal ein  Sachverhalt geklärt. In den dreizeiligen Strophen (den Terzetten) folgt dann häufig eine Konsequenz daraus.

In diesem Falle geht es in den Quartetten um das in der Überschrift genannte irdische Elend von Schmerzen, während das in den Terzetten noch verschärft wird durch den Hinweis der Vergänglichkeit des Andenkens.

Das Versmaß ist in diesem Gedicht wie in vielen anderen der Barockzeit der sogenannte Alexandriner. Das ist eine Abfolge von 6 Jamben  (Auf eine unbetonte Silbe folgt eine betonte). Dazu kommt als Besonderheit häufig eine Zäsur in der Mitte, also nach dem dritten Jambuspaar. Diese Zweiteilung der Verszeile wird häufig in eine Verbindung gebracht mit der zwei Seiten  des Lebensgefühls des Barocks. Auf der einen Seite Schönheit, auf der anderen Seite Tod und Vergänglichkeit. Diese Zweiteilung der Verse ist zumindest teilweise zu erkennen.

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