Anmerkungen zur Kurzgeschichte „Mädchen mit Zierkamm“ von Botho Strauß (Mat4254)

Die Kurzgeschichte „Mädchen mit Zierkamm“ ist die Eröffnungsgeschichte in dem Band „Niemand anderes“ von Botho Strauß.

Einen eigenen Eindruck kann man sich von ihr im Rahmen der Leseprobe verschaffen:

  1. in der Geschichte geht es um eine 20-jährige junge Frau, die sich mittags in einer kleinen Anlage sonnt und dabei einen Haarschmuck entdeckt, den offensichtlich jemand liegen gelassen oder verloren hat.
  2. Die junge Frau wird dann im Folgenden so beeschrieben, dass es den Eindruck erweckt, dass sie eher am Rand der Gesellschaft lebt.
  3. Das Fundstück erscheint ihr als „denkwürdiges, ein willkommenes Ding, eine kleine Freude offenbar.“
  4. Dann wird auf das bisherige Leben der jungen Frau eingegangen: Sie „ist bisher schlecht und recht mit den Menschen ausgekommen. Ihrer Meinung nach haben sie alle zuviel von ihr verlangt […]  Sie läßt sich nichts gefallen, aber ihr gefällt auch von vornherein nie etwas. Alle wollen irgendwas von ihr, das sie absolut nicht will. Weil einfach nichts von ihr gewollt werden soll. Was sie aber will, versteht sowieso keiner.“
  5. Das Besondere ist die Reaktion der jungen Frau: „Sie hat sich immer in der Lage befanden, irgend jemand anblaffen zu müssen. Sie hat ein loses Mundwerk, sagte man früher. Aber das ist es nicht. Ihr Mund hat sich zu einer kleinen schnellfeuernden Schallwaffe entwickelt.“ Die kann aber durchaus auch eingesetzt werden, ohne dass es einen direkten Anlass gegeben hätte.
  6. Sie versteht sich selbst als eine Frau, „die ihre beste Zeit hinter sich hat, herumhängt und mit niemandem zurechtkommt“.
  7. Interessant der Rückblick auf eine Veränderung : „Vor vier, fünf Jahren, da waren noch eine Menge Leute wie sie. Oder sahen wenigstens so aus. Auf der Straße war noch viel los, und die Menschen waren überhaupt viel ansprechbarer. Aber es stellte sich heraus, das war auch bloß  Getue, nur Modezirkus. Von denen ist keiner übriggeblieben. Kaum einer.“
    Offensichtlich handelt es sich um einen jungen Menschen, der mehr will als „Getue“. Das erinnert etwas an die berühmte Forderung aus früheren Zeiten: „Mensch, werde wesentlich.“ Die Zeit liegt zwar lange vor dem Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Kurzgeschichte, wirkt aber natürlich nach.
    Näheres dazu z.B. hier.
  8. Im weiteren Verlauf merkt man dann, dass die junge Frau an einem Wendepunkt steht: „Es gäbe die Möglichkeit, wirklich die Frisur zu wechseln. Die Haare wachsen lassen, einfach ein anderer Typ sein.“
  9. Das führt bei ihr zu einem vertieften Nachdenken über Möglichkeiten: „Die Lage kann sich stündlich verbessern. Es hängt immer alles von irgendeinem entscheidenden Knackpunkt ab. Die Welt an sich macht alles mit. Es kommt bloß darauf an. wie du dich selber fühlst. An sich: jede Menge Erleichterungen. Man kann sich nicht beklagen. Die Möglichkeiten sind immer ihr Schönstes gewesen. Sobald jemand da ist, gibt’s keine Möglichkeiten mehr. Gibt’s meistens Krach. Menschenfreundlichkeit hängt stark vom Wetter ab. Ob man draußen allein auf einer Bank sitzen kann und von allen in Ruhe gelassen wird – dann sind die Leute Möglichkeiten, mit denen man umgehen kann.“
    Es lohnt sich sicher, darüber genauer nachzudenken.
  10. Im weiteren Verlauf wird dann deutlich, dass die junge Frau in Zukunft mit den Möglichkeiten der Kommunikation anders umgehen will: “ Herumreden ist genauso schädlich wie Rauschgift, Suff und Tabletten. Aber eben: man kann’s nur schwer lassen.Schöne Haare, große Mähne. Da braucht man nicht mehr viel sagen, das wirkt von selbst. Die Leute halten Abstand. Obwohl es wahrscheinlich zu mir nicht besonders passen würde. Da muß man schon den ganzen Typ verändern.Reden ist Suff.“
    Man merkt hier deutlich, wie diese junge Frau mit sich kämpft, ob und wie sie sich verändern kann.
  11. Mit einer gewissen Skepsis sieht sie dem Frühjahr entgegen: „Die ersten warmen Tage. Die Leute fangen an, sich draußen auf die Bänke zu pflanzen. Die Schmunzelkontakte breiten sich aus. Höchste Zeit, sich anderswo umzusehen.“
  12. Das ist wohl noch altes Denken bei ihr. Denn am Schluss heißt es: „Wer weiß, weshalb einer seine Stimme erhebt. Ob es noch einen anderen Grund gibt, als sich in ein allgemeines, beruhigendes Getuschel einzumischen? Es sind die vertrauten Stimmen von nebenan, die dich ruhig schlafen lassen. Sei du für einen anderen die Stimme von nebenan, undeutlich lebendig, nimmermüd.“
    Offensichtlich will sie sich stärker auf andere Menschen einlassen, ihnen zuhören und nicht sofort in ihre alten Abwehrmuster verfallen. Denn irgendwie hat sie der Zufallsfund des Zierkamms dazu gebracht, nicht nur den zu zerbrechen, sondern ihre alten Gewohnheiten.

Wer noch mehr möchte …